18.02.2022

Neuer Weg zu Biomolekülen

Entstehung von Peptiden auf kosmischen Staubkörnern kann schon unter sehr einfachen Bedingungen stattfinden.

Forscher der Universität Jena und des Max-Planck-Instituts für Astronomie haben eine ungewöhnliche neue Form von chemischer Reaktion nachgewiesen. Sie könnte ermöglichen, dass kleine Biomoleküle, genauer Peptide, auf der eisigen Oberfläche von kosmischen Staub­körnern entstehen. Peptide sind einer der Grund­bausteine des Lebens. Die neue Entdeckung stützt Szenarien, denen zufolge sich komplexe organische Moleküle, die sich auf Staubkörnern in Molekül­wolken im Weltraum gebildet haben, anschließend von Meteoroiden, Asteroiden oder Kometen zur Erde getragen wurden und dort zur Entstehung des ersten Lebens beitrugen.

 

Abb.: Eine neuartige chemische Reaktion kann erklären, wie auf den...
Abb.: Eine neuartige chemische Reaktion kann erklären, wie auf den Eis­mänteln von kosmischen Staub­körnern Peptide entstehen können. (Bild: S. Krasnokutski / MPIA)

Der Ursprung des Lebens auf der Erde könnte sowohl einen kosmischen als auch einen irdischen Anteil gehabt haben: Organische Moleküle, die sich im Weltraum gebildet haben und von Meteoriten zur Erde getragen wurden, könnten organische Bausteine geliefert haben, die bei die Entstehung des Lebens, also von sich selbst reproduzierenden Einheiten wie Protozellen, eine Rolle spielten. Solche Szenarien stellen eine interessante Alternative zu einem rein irdischen Szenario dar, bei dem die notwendigen organischen Chemikalien für die Entstehung von Lebensformen direkt auf der Erde entstanden. Vor einigen Jahren haben Astronomen der McMaster University in Kanada und des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA) eine Berechnung für Szenarien vorgelegt, in denen diese Art von Molekül-Lieferungen aus dem Weltall warme, flache Teiche auf der Erde in geeignete Orte für die Entstehung von Leben verwandelt.

Offen ist jedoch, wie komplex die kosmischen organischen Moleküle überhaupt werden können – und damit auch, welche Beiträge zum Ursprung des Lebens sie überhaupt hätten leisten können. Die hier vorgestellten neuen Ergebnisse zeigen, dass organische Moleküle aus dem Weltraum komplexer sein können als bisher gedacht. Sogar Peptide, die kürzeren Pendants zu Proteinen, könnten im Weltraum entstehen. Peptide spielen in lebenden Organismen eine Reihe wichtiger Rollen – und eine neu entdeckte chemische Reaktion zeigt, wie diese Moleküle in den Tiefen des Weltraums in großer Zahl entstehen können.

Thomas Henning, Mitautor der neuen Studie und Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie, sagt: „Es ist erstaunlich, dass komplexe organische Moleküle im Weltall existieren können – in Materiewolken zwischen den Sternen, in protoplanetaren Scheiben, primitiven Meteoriten und in Kometen. Solche Moleküle können durch eine Vielzahl von Prozessen gebildet werden: in Gasphasenreaktionen, auf vereisten Staubkorn­oberflächen oder in wässrigen Regionen auf denjenigen Körpern, von denen uns hier auf der Erde Bruchstücke in Form von Meteoriten erreichen.“

Für die neuen Forschungsergebnisse sind die eisigen Oberflächen von Staubkörnern wichtig. Solche Staubkörner entstehen beispielsweise in den äußeren Schichten kühler Sterne und in der Umgebung von Supernova-Explosionen. Neuere Forschungen zeigen aber, dass der meiste Staub in Galaxien direkt im interstellaren Medium gebildet wird – also in denjenigen Regionen in den riesigen Zwischenräumen zwischen den Sternen, die Materie geringer Dichte sowie Strahlung enthalten. Der Staub besteht aus Kohlenstoff- oder Silizium­atomen, die zu Konglomeraten von weniger als einem Millionstel Meter Durchmesser verklumpt sind. Lässt man Wasserstoff und Helium beiseite, dann besteht die restliche Materie in den riesigen Molekülwolken des interstellaren Mediums gut zur Hälfte aus Staub. Solche Molekülwolken sind der Ort, an dem neue Sterne geboren werden – und aus einem Teil des Staubs entstehen dann neue Planeten.

Der Schlüssel zur kosmischen Chemie der Staubkörner sind Eisschichten, die sich um die Staubkörner herum bilden. Dort können Wasser- und Kohlen­monoxid­moleküle, aber auch andere Moleküle auf der Oberfläche der Körner hängenbleiben. Die Eisschichten werden so zum kosmischen Chemielabor. Dort können sich Moleküle ansammeln und einander nahe genug kommen, um chemische Reaktionen auszulösen. Aber wie komplex können Moleküle unter Weltraumbedingungen überhaupt werden, auf der eisigen Oberfläche von Staubkörnern in riesigen Molekülwolken? Die Antwort auf diese Frage könnte für die Entstehung von Leben auf der Erde von Bedeutung sein. Daran entscheidet sich schließlich, was Meteoroide oder größere Körper überhaupt an kosmischen Molekülen auf die Erde tragen können.

Die neuen Ergebnisse, die jetzt veröffentlicht wurden, zeigen: Unter realistischen Bedingungen können die Bedingungen auf solchen eisigen Oberflächen sogar zur Bildung von Peptiden führen. Peptide spielen eine wichtige Rolle in der Physiologie der Lebewesen auf der Erde. Sie sind die Kurzversionen der Proteine. Der Erstautor der Studie, Serge Krasnokutski (Universität Jena und Forschungs­gruppe Laborastrophysik des MPIA) beschäftigt sich schon seit längerem mit der Rolle einzelner, ungebundener Kohlenstoffatome für die Chemie in Molekülwolken und in den Gas- und Staubscheiben um junge Sterne bei tiefsten Temperaturen.

Als Krasnokutski begann, sich für Kohlenstoff­atome zu interessieren, gab es noch nicht einmal eine geeignete Möglichkeit, solche Atome in die Experimente einzubeziehen, mit denen Prozesse auf interstellaren Staubkörnern simuliert werden. Also entwickelte er erst einmal eine Technik zur Erzeugung von Kohlenstoffatomen mit niedriger Energie, die für Experimente bei niedrigen Temperaturen geeignet ist. Im Jahr 2014 wurde sein Verfahren patentiert; kurz danach wurde es kommerziell verfügbar und wird seitdem in einer Reihe von Labors weltweit eingesetzt.

Gemeinsam mit der Leiterin der MPIA-Labor­astrophysik­gruppe, Cornelia Jäger, und MPIA-Direktor Thomas Henning veröffentlichte Krasnokutski 2020 einen durch experimentelle Daten untermauerten Vorschlag, wie sich Glycin, die einfachste Aminosäure (die eine wichtige Rolle für alles Leben auf der Erde spielt), auf kosmischen Staubkörnern bilden könnte – ohne dass ultraviolette Photonen als Energielieferanten für die fraglichen chemischen Reaktionen benötigt würden. Krasnokutski sagt: „Einzelne Kohlenstoffatome sind selbst bei niedrigsten Temperaturen erstaunlich reaktionsfreudig. Sie können als eine Art molekularer Klebstoff dienen, der Moleküle miteinander verbindet und anorganische Substanzen in organische verwandelt.“

Aminosäuren wiederum können kettenartige Moleküle bilden, nämlich Peptide oder Proteine. Findet dieser Prozess in lebenden Organismen statt, muss er eine Hürde überwinden: Damit sich die Kette per Polymerisation bilden kann, müssen die Wassermoleküle von den Aminosäuren abgelöst werden. Das kostet Energie und erfordert daher eine bestimmte Mindesttemperatur, und die liegt deutlich höher als die Temperatur der kosmischen Eiskörner. Allerdings war das Problem bei der Bildung der Aminosäure Glycin bei niedrigen Temperaturen genau umgekehrt gewesen: Unter niedrigen Temperaturbedingungen auf einem kosmischen Staubkorn war es schwierig, Glycin zu bilden, da dies die Anlagerung eines Wassermoleküls erforderte.

Aber wenn sowohl das Anlagern eines Wassermoleküls zur Bildung einer Aminosäure und später das Entfernen des Wassermoleküls zur Bildung von Peptiden oder Proteinen problematisch ist, dachte sich Krasnokutski, warum dann überhaupt diesen Umweg nehmen? Da Kohlenstoff im All nicht nur in der gebundenen Form von Kohlenmonoxid, sondern eben auch in Form einzelner C-Atome vorliegt, gab es vielleicht einen direkteren Weg zu Peptiden – und damit auch zu den längeren Proteinen.

Mit Hilfe von quantenchemische Berechnungen konnte Krasnokutski zumindest eine wahrscheinliche Vorläufer­verbindung für einen solchen direkten Weg identifizieren: Unter den Bedingungen, die auf kleinen Eisflächen herrschen, scheint die Reaktion, bei der Kohlenmonoxid, einzelne C-Atome und Ammoniak in Aminoketen umgewandelt werden (das entspricht der Aminosäure Glycin minus einem Wassermolekül) tatsächlich spontan abzulaufen und keinen zusätzlichen Energieaufwand zu erfordern.

Die Bildung von Aminoketen wiederum ist ein vielversprechender Schritt hin zur Bildung der einfachsten Form von Peptiden, nämlich solchen, in deren Ketten Glycin eingebaut ist. Aber es gab keine Möglichkeit, einfach zu berechnen, was als Nächstes kommt und ob sich das Aminoketen tatsächlich in die für Peptide benötigten Polymerketten umwandelt. Hier waren Experimente gefragt, und zwar eine Apparatur, welche die wichtigsten Eigenschaften einer eisigen Staubkornoberfläche im Weltraum reproduzieren kann: Das INter-Stellar Ice Dust Experiment (INSIDE), das einige Jahre zuvor in der MPIA-Labor­astrophysik-Arbeitsgruppe an der Universität Jena unter der Leitung von Cornelia Jäger entwickelt worden war. Das Schlüsselelement des Aufbaus ist eine Ultrahochvakuumkammer, die künstlich einen Zustand ähnlich geringer Dichte erzeugen kann, wie er in Molekülwolken im interstellaren Medium herrscht.

In der für diese Experimente verwendeten Version wurde die Oberfläche der Staubkörner durch eine 2 Millimeter dicke Kalium­bromid­scheibe mit einem Durchmesser von 2,5 Zentimetern simuliert, deren Temperatur sehr genau reguliert werden kann, und zwar bis auf wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt. Auf dieser Oberfläche können sich Atome und Moleküle anlagern, und das unter recht ähnlichen Bedingungen, wie man sie auf den Oberflächen kosmischer Staubkörner erwarten würde.

Mit Hilfe eines Infrarot-Spektrographen (FTIR), der diejenigen Anteile des Lichts analysiert, die auf der anderen Seite wieder herauskommen (also von der Probe weder absorbiert noch gestreut wurden), ist es möglich, bestimmte Moleküle oder Teile solcher Moleküle zu identifizieren. Die Forscher kühlten die Testoberfläche auf zehn Kelvin ab (entsprechend der typischen Temperatur im Inneren von Molekülwolken) und sammelten dann verschiedene Puzzleteile: So fand die Reaktion nicht statt, wenn nur zwei der drei Zutaten vorhanden waren. Außerdem beobachteten die Forscher sorgfältig, was mit ihrer Probe geschah, als sie sie langsam wieder auf Raumtemperatur erwärmten, und bestätigten durch Massen­spektroskopie, dass der Rückstand tatsächlich die erwarteten Mengen von Molekülen mit genau der richtigen Masse enthielt. Offensichtlich entstand auf dem Staubkorn-Ersatz tatsächlich Aminoketen.

Die Erwärmung der Probe diente dabei einem weiteren wichtigen Zweck. Bei Temperaturen um die 110 Kelvin begann sich die auf dem künstlichen kosmischen Staubkorn abgelagerte Substanz zu verändern. Die Infrarotspektroskopie zeigte Peptidbanden im Spektrum für genau diejenige Art von chemischer Bindung, die Aminosäuren in den kürzeren Molekülketten von Peptiden sowie in den längeren Ketten von Proteinen zusammenhält.

Für interstellare Staubkörner gibt es dabei mehrere Möglichkeiten, wie diese leichte Erwärmung zustande kommen könnte. Insbesondere wird eine Staubwolke aufgewärmt, wenn in einigem Abstand davon ein neuer Stern entsteht. Es ist aber auch möglich, dass die entsprechenden Reaktionen erst stattfinden, wenn das Staubkorn bereits auf eine Planeten­oberfläche gefallen ist, etwa in der habitablen Zone eines Sterns. Zusammengenommen können die Niedrig­temperatur-Reaktionen, bei denen Aminoketen entsteht, und die Erwärmung, bei der sich die Aminoketen-Moleküle zu Peptiden verbinden, Peptide auf interstellaren Staubkörnern erzeugen.

Dieser Weg für die Bildung von Peptiden und Proteinen war bislang nicht bekannt. Entscheidend dabei ist das Überspringen der Zwischenstufe der Bildung von Aminosäuren. Damit fällt dann nämlich auch der energieaufwändige Prozess des Wasserentzugs weg, der bei herkömmlichen Reaktionen nötig ist, um Aminosäuren zu Peptiden oder Proteinen zusammenzufügen. Die für die Reaktion benötigten Bestandteile (C-Atome, Kohlen­monoxid, Ammoniak) gehören zu den am häufigsten vorkommenden Molekülarten im interstellaren Raum. Da die Hürde des erhöhten Energiebedarfs wegfällt, könnte die alternative Art der Bildung von Peptiden und allgemeiner von Proteinen zu einer beträchtlichen Menge dieser Art von organischem Material im Weltraum führen.

Krasnokutski erklärt: „Die einzelnen Kohlenstoffatome setzen eine reiche und vielfältige Chemie in Gang. Selbst unter den Bedingungen, die im Weltraum herrschen, geht diese Chemie viel weiter in Richtung dessen, was für die Entstehung von Leben notwendig ist, als bisher angenommen.“

MPIA / DE

 

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