08.05.2019 • Quantenphysik

Neues Material mit neuen Quasiteilchen

Erstmals Rarita-Schwinger-Fermionen nachgewiesen.

Forscher am Paul-Scherrer-Institut in der Schweiz haben eine neue Sorte Quasiteilchen gefunden. Quasiteilchen sind Zustände im Material, die sich in gewisser Weise wie tatsächliche Elementarteilchen verhalten. Eine bestimmte Sorte Quasiteilchen hatten William Rarita und Julian Schwinger bereits 1941 vorhergesagt, die nach ihnen als Rarita-Schwinger-Fermionen benannt wurden. Genau diese wurden jetzt erstmals experimentell nachgewiesen – unter anderem dank Messungen an der Synchrotron-Lichtquelle Schweiz SLS am PSI. „Soweit wir wissen, sind wir – zeitgleich zu drei weiteren Forschungsgruppen – mit die ersten, die Rarita-Schwinger-Fermionen gesehen haben“, freut sich Niels Schröter vom PSI.

Abb.: Niels Schröter (links) und Vladimir Strocov an ihrer...
Abb.: Niels Schröter (links) und Vladimir Strocov an ihrer Experimentierstation in der Synchrotron-Lichtquelle Schweiz SLS des PSI. (Bild: M. Dzambegovic, PSI)

Auf die Quasiteilchen stießen die Forscher bei der Untersuchung eines neuartigen Materials, eines besonderen Aluminium-Platin-Kristalls. „Mit bloßen Augen betrachtet war unser Kristall einfach ein kleiner Würfel, etwa ein halber Zentimeter groß und schwarz-silbern“, sagt Schröter. „Unsere Kollegen am MPI für chemische Physik fester Stoffe in Dresden haben ihn nach einem besonderen Verfahren hergestellt.“ Das Ziel dabei war, eine maßgeschneiderte Anordnung der Atome im Kristallgitter zu erreichen. In dem jetzt untersuchten Aluminium-Platin-Kristall sind in nebeneinanderliegenden Elementarzellen einzelne Atome so gegeneinander versetzt, dass diese der Form einer Schraubenlinie folgen. „Es hat also genau wie geplant geklappt: Wir hatten einen chiralen Kristall“, erklärt Schröter.

„Mathematische Modelle machen etliche Voraussagen, dass sich in chiralen Kristallen exotische physikalische Phänomene finden lassen“, sagt Vladimir Strocov vom PSI. Und so war es tatsächlich bei dem jetzt untersuchten Aluminium-Platin-Kristall. Mit der Röntgenstrahlung der SLS und über die Methode der Photoelektronenspektroskopie machten die Forscher die elektronischen Eigenschaften im Inneren des Kristalls sichtbar. Komplementäre Messungen desselben Kristalls an der Diamond Light Source in Oxfordshire, England, erlaubten zudem den Blick auf die elektronischen Strukturen an seiner Oberfläche.

Die Untersuchungen zeigten, dass es sich bei dem besonderen Kristall nicht nur um ein chirales Material handelte, sondern zusätzlich um ein topologisches. „Wir nennen diese Materialsorte ein chirales topologisches Semimetall“, so Strocov. „Dank der hervorragenden spektroskopischen Fähigkeiten der ADRESS-Strahllinie hier an der SLS sind wir nun mit die ersten, die ein solches Material experimentell nachgewiesen haben.“

„Dass unser Kristall ein topologisches Material ist, bedeutet, dass im übertragenen Sinne die Anzahl der Löcher im Inneren des Kristalls eine andere ist als außerhalb des Kristalls. An dem Übergang zwischen Kristall und Luft, also an der Kristalloberfläche, ist die Anzahl der Löcher darum nicht gut definiert. Klar ist jedoch: Hier ändert sie sich“, erläutert Schröter. „Wir sagen dazu, dass an der Kristalloberfläche ein topologischer Phasenübergang stattfindet. Als Folge entstehen dort neue elektronische Zustände: topologische Fermi-Bögen.“ Genau die Kombination dieser beiden Phänomene, der Chiralität sowie der Topologie des Kristalls, führen zu den ungewöhnlichen elektronischen Eigenschaften, die sich ebenfalls im Inneren des Materials sowie an seiner Oberfläche unterscheiden. Während die Forscher im Inneren des Materials die Rarita-Schwinger-Fermionen nachweisen konnten, offenbarten komplementäre Messungen an der englischen Synchrotronstrahlungsquelle Diamond Light Source andere exotische elektronische Zustände an der Oberfläche des Materials: vier Fermi-Bögen, die zudem alle deutlich länger sind als bisher beobachtete Fermi-Bögen.

„Es ist ganz klar, dass die Rarita-Schwinger-Fermionen im Inneren und diese besonderen Fermi-Bögen an der Oberfläche zusammenhängen. Beide werden bedingt dadurch, dass es sich um ein chirales topologisches Material handelt“, sagt Schröter. „Dass wir nun mit als erste ein solches Material gefunden haben, freut uns sehr. Denn es geht nicht nur um diese beiden elektronischen Eigenschaften. Die Entdeckung topologischer chiraler Materialien wird eine ganze Spielwiese von neuen exotischen Phänomenen eröffnen.“

Für neue Materialien und exotische Verhaltensweisen von Elektronen interessieren sich Forscher, weil einige davon sich für Anwendungen in der Elektronik der Zukunft eignen könnten. Das Ziel ist – beispielsweise mit Quantencomputern – eine auch in Zukunft immer dichtere und schnellere Speicherung sowie Datenübertragung zu erhalten sowie den Energieverbrauch der elektronischen Bauteile zu senken.

PSI / RK

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