15.05.2017

Neues Rezept für dehnbare Leiterbahnen

Nanopartikel sorgen für hohe elektrische Leitfähigkeit eines Polymers auch bei starker Dehnung.

Elektronik soll elastisch werden. Im Raum stehen dabei elek­tronische Module, die in unsere Kleidung integriert oder direkt auf der Haut getragen werden. Aber auch eine neue Generation von weichen Robotern oder medi­zinische Prothesen, die ihren Trägern Sinnes­empfindungen liefern, könnten sich eine solche Techno­logie zunutze machen. Neben aktiven elek­tronischen Komponenten und Sensoren sind dafür allerdings auch flexible und dehnbare elek­trische Leiter nötig. Eine japa­nische Forscher­gruppe hat nun eine mit Silber­flocken versetzte Gummi­mischung vorgestellt, in der sich während der Verar­beitung quasi von selbst Silber-Nanopartikel ausbilden, die auch unter fünf­facher Dehnung des Materials eine hohe Leit­fähigkeit gewähr­leisten.

Abb.: Die Silber-Nanopartikel bilden sich durch thermische Anregung und sorgen für die elektrische Leitfähigkeit zwischen den größeren Silberflocken – auch noch bei fünffacher Dehnung des Materials. (Bild: Someya group, U. Tokyo)

Das Rezept für die Mischung wirkt einfach: Man nehme fluorierten Gummi, mikrometer­große Silber­flocken, etwas Netz- und Lösungs­mittel – fertig. Das Ergebnis ist eine Flüssig­keit mit der Konsistenz von zähem Honig, aus der mit einfachen Druck­verfahren wie Schablonen- oder Siebdruck beliebige Leiter­bahnen auf ein elas­tisches Substrat gedruckt und anschließend bei 80 °C getrocknet werden können. Das Problem dabei: mit einer Leit­fähigkeit von 5,5 x 10-5 Siemens pro Zentimeter (S/cm) ist die Bezeichnung „Leiter­bahn“ noch eher fehl am Platz.

Die Silber­flocken haben unter­einander keinen Kontakt und die Gummi­matrix wirkt als Isolator. Erst durch einen weiteren Heiz­zyklus bei 120 °C bilden sich die Nano­partikel, die die elek­trische Leitung zwischen den Flocken über­brücken. Das Resultat ist eine Leit­fähigkeit von 4000 S/cm im unge­dehnten Zustand und immerhin noch knapp 1000 S/cm bei einer Dehnung auf die fünffache Länge. Zum Vergleich: Die Leit­fähigkeit von reinem Silber beträgt 630.000 S/cm.

„Die Entstehung der Nano­partikel haben wir nicht erwartet“, kommen­tiert Takao Someya, der Leiter der Forschungs­gruppe, die über­raschende Entdeckung. Auch was den genauen Entstehungs­prozess angeht, halten sich die Forscher bedeckt und sprechen von einer Hypothese. Dieser zufolge diffun­dieren zunächst positive Silber­ionen aus der Silberoxid­schicht der Flocken in den Gummi, wo sie aufgrund der thermischen Anregung zu Nano­partikeln reduziert werden. Wie Experi­mente zeigen, spielt dabei auch das Netzmittel eine ent­scheidende Rolle: sowohl zu wenig als auch zu viel davon reduzieren die Dichte der Partikel und damit die Leit­fähigkeit. Um die mecha­nische Belast­barkeit zu erhöhen, haben die Forscher ihre Leiter­bahnen in eine Schutz­schicht aus Polyurethan verpackt. Nach 550 Belastungs­zyklen mit einer Dehnung von 50 Prozent ist dennoch Schluss – es entstehen winzige Risse, und der Wider­stand schnellt in die Höhe.

Die Leit­fähigkeit des Materials reicht aus, um ein Netzwerk aus Sensoren auf einem dehn­baren Substrat präzise auszulesen. Zu Demonstrations­zwecken haben die Forscher die Finger­spitzen eines Gummihand­schuhs mit Druck­sensoren bestückt und diese über die neu­artigen Leiter­bahnen mit fünf Leucht­dioden auf der Höhe des Arm­gelenks verbunden. Die Inten­sität der LEDs spiegelt dabei den Druck wieder, mit dem die Finger­spitzen ein Objekt fassen. Neben einem möglichen Einsatz in der Sensorik weicher Roboter wollen Someya und seine Kollegen damit vor allem auf das Potenzial ihres Materials bei der Ent­wicklung neuartiger Prothesen hinweisen.

Konkret beziehen sie sich dabei auf die Arbeit der Forscher­gruppe um Zhenan Bao an der Uni­versität Stanford. Bao hat es sich zum Ziel gesetzt, eine künst­liche Haut zu entwickeln, die sen­sorische Eindrücke von Berührungen und Tem­peratur aufnimmt. Aufge­bracht auf Prothesen soll sie die Signale in Zukunft direkt in das mensch­liche Nerve­nsystem einspeisen und dem Träger Sinnes­eindrücke vermitteln. 2015 hat die Gruppe zwei­schichtige Druck­sensoren vorgestellt, die an den Finger­spitzen einer Modell­hand ange­bracht waren.

Die obere Schicht stellt einen mecha­nischen Sensor dar, der über Defor­mierung den Druck misst. Dazu haben die Forscher einem elas­tischen Kunst­stoff Kohlenstoff-Nano­röhrchen beigemengt, sodass sich bei einer Form­änderung dessen Leit­fähigkeit verändert. Die untere Schicht dagegen ist ein flexibler, elek­tronischer Schaltkreis, der die Signale verar­beitet und weiter­leitet. Um die Kompa­tibilität dieser Signale mit Nerven­zellen zu demon­strieren, verän­derten die Forscher Neuronen von Mäusen, um sie empfindlich für optische Reize zu machen. Dann über­setzten sie das elek­trische Signal des Sensors in ein optisches und konnten so die Neuronen aktivieren. Bao zufolge könnte dieser Umweg über die Optik in Zukunft aber vermieden werden, da es inzwischen auch geeignete Methoden gibt, Neuronen direkt mit elek­trischen Pulsen anzuregen – ein mögliches Einsatz­gebiet für die dehn­baren Leitungen von Someyas Gruppe.

In Zukunft wollen Someya und seine Kollegen mit anderen Materialien und Herstellungs­prozessen versuchen, ähnliche elas­tische Leiter zu erzeugen. So soll etwa ein Ersatz für die Silber­flocken gefunden werden, um die Kosten weiter zu redu­zieren.

Thomas Brandstetter

JOL

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