Neues Rezept für dehnbare Leiterbahnen
Nanopartikel sorgen für hohe elektrische Leitfähigkeit eines Polymers auch bei starker Dehnung.
Elektronik soll elastisch werden. Im Raum stehen dabei elektronische Module, die in unsere Kleidung integriert oder direkt auf der Haut getragen werden. Aber auch eine neue Generation von weichen Robotern oder medizinische Prothesen, die ihren Trägern Sinnesempfindungen liefern, könnten sich eine solche Technologie zunutze machen. Neben aktiven elektronischen Komponenten und Sensoren sind dafür allerdings auch flexible und dehnbare elektrische Leiter nötig. Eine japanische Forschergruppe hat nun eine mit Silberflocken versetzte Gummimischung vorgestellt, in der sich während der Verarbeitung quasi von selbst Silber-Nanopartikel ausbilden, die auch unter fünffacher Dehnung des Materials eine hohe Leitfähigkeit gewährleisten.
Abb.: Die Silber-Nanopartikel bilden sich durch thermische Anregung und sorgen für die elektrische Leitfähigkeit zwischen den größeren Silberflocken – auch noch bei fünffacher Dehnung des Materials. (Bild: Someya group, U. Tokyo)
Das Rezept für die Mischung wirkt einfach: Man nehme fluorierten Gummi, mikrometergroße Silberflocken, etwas Netz- und Lösungsmittel – fertig. Das Ergebnis ist eine Flüssigkeit mit der Konsistenz von zähem Honig, aus der mit einfachen Druckverfahren wie Schablonen- oder Siebdruck beliebige Leiterbahnen auf ein elastisches Substrat gedruckt und anschließend bei 80 °C getrocknet werden können. Das Problem dabei: mit einer Leitfähigkeit von 5,5 x 10-5 Siemens pro Zentimeter (S/cm) ist die Bezeichnung „Leiterbahn“ noch eher fehl am Platz.
Die Silberflocken haben untereinander keinen Kontakt und die Gummimatrix wirkt als Isolator. Erst durch einen weiteren Heizzyklus bei 120 °C bilden sich die Nanopartikel, die die elektrische Leitung zwischen den Flocken überbrücken. Das Resultat ist eine Leitfähigkeit von 4000 S/cm im ungedehnten Zustand und immerhin noch knapp 1000 S/cm bei einer Dehnung auf die fünffache Länge. Zum Vergleich: Die Leitfähigkeit von reinem Silber beträgt 630.000 S/cm.
„Die Entstehung der Nanopartikel haben wir nicht erwartet“, kommentiert Takao Someya, der Leiter der Forschungsgruppe, die überraschende Entdeckung. Auch was den genauen Entstehungsprozess angeht, halten sich die Forscher bedeckt und sprechen von einer Hypothese. Dieser zufolge diffundieren zunächst positive Silberionen aus der Silberoxidschicht der Flocken in den Gummi, wo sie aufgrund der thermischen Anregung zu Nanopartikeln reduziert werden. Wie Experimente zeigen, spielt dabei auch das Netzmittel eine entscheidende Rolle: sowohl zu wenig als auch zu viel davon reduzieren die Dichte der Partikel und damit die Leitfähigkeit. Um die mechanische Belastbarkeit zu erhöhen, haben die Forscher ihre Leiterbahnen in eine Schutzschicht aus Polyurethan verpackt. Nach 550 Belastungszyklen mit einer Dehnung von 50 Prozent ist dennoch Schluss – es entstehen winzige Risse, und der Widerstand schnellt in die Höhe.
Die Leitfähigkeit des Materials reicht aus, um ein Netzwerk aus Sensoren auf einem dehnbaren Substrat präzise auszulesen. Zu Demonstrationszwecken haben die Forscher die Fingerspitzen eines Gummihandschuhs mit Drucksensoren bestückt und diese über die neuartigen Leiterbahnen mit fünf Leuchtdioden auf der Höhe des Armgelenks verbunden. Die Intensität der LEDs spiegelt dabei den Druck wieder, mit dem die Fingerspitzen ein Objekt fassen. Neben einem möglichen Einsatz in der Sensorik weicher Roboter wollen Someya und seine Kollegen damit vor allem auf das Potenzial ihres Materials bei der Entwicklung neuartiger Prothesen hinweisen.
Konkret beziehen sie sich dabei auf die Arbeit der Forschergruppe um Zhenan Bao an der Universität Stanford. Bao hat es sich zum Ziel gesetzt, eine künstliche Haut zu entwickeln, die sensorische Eindrücke von Berührungen und Temperatur aufnimmt. Aufgebracht auf Prothesen soll sie die Signale in Zukunft direkt in das menschliche Nervensystem einspeisen und dem Träger Sinneseindrücke vermitteln. 2015 hat die Gruppe zweischichtige Drucksensoren vorgestellt, die an den Fingerspitzen einer Modellhand angebracht waren.
Die obere Schicht stellt einen mechanischen Sensor dar, der über Deformierung den Druck misst. Dazu haben die Forscher einem elastischen Kunststoff Kohlenstoff-Nanoröhrchen beigemengt, sodass sich bei einer Formänderung dessen Leitfähigkeit verändert. Die untere Schicht dagegen ist ein flexibler, elektronischer Schaltkreis, der die Signale verarbeitet und weiterleitet. Um die Kompatibilität dieser Signale mit Nervenzellen zu demonstrieren, veränderten die Forscher Neuronen von Mäusen, um sie empfindlich für optische Reize zu machen. Dann übersetzten sie das elektrische Signal des Sensors in ein optisches und konnten so die Neuronen aktivieren. Bao zufolge könnte dieser Umweg über die Optik in Zukunft aber vermieden werden, da es inzwischen auch geeignete Methoden gibt, Neuronen direkt mit elektrischen Pulsen anzuregen – ein mögliches Einsatzgebiet für die dehnbaren Leitungen von Someyas Gruppe.
In Zukunft wollen Someya und seine Kollegen mit anderen Materialien und Herstellungsprozessen versuchen, ähnliche elastische Leiter zu erzeugen. So soll etwa ein Ersatz für die Silberflocken gefunden werden, um die Kosten weiter zu reduzieren.
Thomas Brandstetter
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