05.02.2008

Neun Schlüsselstellen fürs Klima

Der Grönländische Eisschild und der Amazonas-Regenwald gehören nach Ansicht führender Klimaforscher zu den neun Schlüsselstellen des Klimawandels.

Neun Schlüsselstellen fürs Klima

Washington/Potsdam (dpa) - Der Grönländische Eisschild und der Amazonas-Regenwald gehören nach Ansicht führender Klimaforscher zu den neun Schlüsselstellen des Klimawandels. In diesen Bereichen könnten schon kleine Veränderungen riesige Auswirkungen haben - die Systeme könnten leicht kippen, schreiben der Leiter des Potsdam- Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber, sein Mitarbeiter Stefan Rahmstorf und britische Wissenschaftler.

Der Grönländische Eisschild und das arktische Meereis seien besonders anfällige «Kippelemente», berichtet die Gruppe in den «Proceedings» der US-Akademie der Wissenschaften («PNAS», online vorab veröffentlicht). Sie hatte die Ergebnisse eines Workshops mit 36 führenden Klimaforschern, der Befragung von 52 Experten und wissenschaftliche Literatur berücksichtigt. Die neun «Kippelemente» sollten in der Klimapolitik besonders berücksichtigt werden.

Wenn das arktische Meereis schmelze, komme darunter die dunklere Wasseroberfläche hervor. Da sie mehr Sonnenstrahlen aufnehme als weiße Eisflächen, werde die Erwärmung verstärkt. Das übrige Eis schmelze schneller. Die kritische Grenze könnte bei 0,5 bis 2 Grad Celsius Erwärmung liegen, sodass die Arktis bereits in wenigen Jahrzehnten im Sommer eisfrei sein könne.

Beim Grönländischen Eisschild trügen schmelzende Gletscher zunächst den Rand des Schildes ab, was zu weiterer Erwärmung und Eisverlust führe. Steige die Temperatur dort um mehr als drei Grad Celsius, könnte der Eisschild bereits innerhalb von 300 Jahren abschmelzen und der Meeresspiegel um sieben Meter steigen. Auch der Westantarktische Eisschild könnte in dieser Zeit abtauen, dessen «Kipppunkt» liege bei einer Erwärmung der Region von fünf bis acht Grad.

Die Borealwälder im Norden der Erde werden nach Forscheransicht bei drei bis fünf Grad Erwärmung durch Trockenheit und Hitze im Sommer und Krankheiten innerhalb von 50 Jahren großenteils absterben. Der Amazonasregenwald werde durch Entwaldung und Erwärmung derart geschädigt, dass er nach Modellaussagen in dieser Zeitspanne ebenfalls großflächig zerstört sein könne. Für die Sahara, die Sahelzone und die Region südlich davon sei noch unklar, ob sie trockener oder feuchter werden als bislang.

Die Kippelemente im Überblick nach Kategorien:

Kippelemente hoher Anfälligkeit, geringe Unsicherheit:

  • Grönländischer Eisschild - Die Erwärmung über dem Eisschild beschleunigt den Eisverlust durch Gletscher, die ins Meer fließen. Der Rand des Eisschildes verliert dadurch an Höhe, was die Erwärmung und den Eisverlust weiter verstärkt. Wann genau der Kipppunkt zum Zerfall des Eisschildes überschritten ist, lässt sich bislang nicht beurteilen. Die heutigen Modelle können das beobachtete Abschmelzen der Gletscher nicht genau erfassen. Wird aber die kritische Grenze von drei Grad Celsius lokaler Erwärmung überschritten, könnte der Eisschild schlimmstenfalls schon innerhalb von 300 Jahren abschmelzen. Dies würde den Meeresspiegel um bis zu sieben Meter ansteigen lassen.

  •  Arktisches Meereis - Wenn auf dem Meer schwimmendes Eis schmilzt, wird darunter die dunklere Wasseroberfläche sichtbar. Sie nimmt mehr Sonnenstrahlung auf als weiße Eisflächen, was die Erwärmung verstärkt. Das lässt im Sommer das übrige Eis schneller abschmelzen und bremst im Winter die Neubildung. In den letzten 16 Jahren hat die Eisbedeckung des Nordpolarmeeres im Sommer deutlich abgenommen. Die kritische Belastungsgrenze könnte zwischen 0,5 und 2 Grad Celsius globaler Erwärmung liegen und bereits überschritten sein, sodass sich schon in wenigen Jahrzehnten ein neuer Zustand mit einer im Sommer eisfreien Arktis einstellen könnte.

Kippelemente mittlerer Anfälligkeit, große Unsicherheit:

  • Westantarktischer Eisschild - Satellitenmessungen deuten darauf hin, dass der Eisschild bereits Masse verliert. Seine Sohle liegt zu großen Teilen unterhalb des Meeresspiegels. Würde sie von Meerwasser unterspült, würde das Eismassiv instabil. Der Kipppunkt liegt wahrscheinlich bei einer Erwärmung der Region von fünf bis acht Grad Celsius im Sommer. Im schlimmsten Fall könnte der Westantarktische Eisschild in drei Jahrhunderten abtauen und den Meeresspiegel um fünf Meter ansteigen lassen.
  • Borealwälder - Das Wachstum der Wälder in den nördlichen Breiten wird vom Stoffwechsel der Bäume, vom Frost und von Bränden bestimmt. Bei einer globalen Erwärmung um drei bis fünf Grad Celsius könnten in fünfzig Jahren große Flächen der Wälder absterben. Die Bäume würden im Sommer größerer Trockenheit und Hitze ausgesetzt und in der Folge stärker an Krankheiten leiden. Da im Winter aber voraussichtlich weiterhin häufig Frost herrschen wird, werden die Verluste nicht durch Baumarten aus gemäßigten Breiten ausgeglichen.
  • Amazonas Regenwald - Die globale Erwärmung und die Entwaldung in der Region lassen die Niederschläge voraussichtlich um bis zu dreißig Prozent abnehmen. Da die Trockenzeiten länger werden und die Temperaturen im Sommer steigen, kann sich der Wald nicht regenerieren. Bei einer Erwärmung um drei bis vier Grad Celsius könnte er nach Modellaussagen bereits in fünfzig Jahren großflächig absterben. Auch die Entwaldung allein könnte diesen Prozess in Gang setzen.
  • El Niño - Südliche Oszillation (ENSO) - Das Klimaphänomen ENSO wird maßgeblich von der Schichtung unterschiedlich warmen Wassers im Pazifik und der jährlichen Temperaturentwicklung entlang des Äquators bestimmt. Im durchschnittlich drei Grad wärmeren Zeitalter des Pliozäns von vor etwa fünf bis vor zwei Millionen Jahren könnte die Oszillation von anhaltenden El-Niño- oder La-Niña-Bedingungen überlagert worden sein. Stabilisiert sich das Klima bei insgesamt wärmeren Bedingungen, wird El Niño nach den realistischsten Modellaussagen wahrscheinlich stärker aber nicht häufiger eintreten.
  • Sahara/Sahel- und Westafrikanischer Monsun - Die Stärke der Niederschläge hängt eng mit der Vegetationsbedeckung in der Region und den Oberflächentemperaturen des Atlantischen Ozeans zusammen. Die globale Erwärmung würde den Monsun verstärken, bei drei bis fünf Grad Celsius könnte die Luftzirkulation jedoch zusammenbrechen, die die regelmäßigen Niederschläge in die Region bringt. Das könnte entweder zu Trockenheit führen oder verstärkte Niederschläge bringen, da mehr feuchte Luft von Westen einströmt. Ein drittes Szenario zeigt, dass sich die Zahl der anomal trockenen Jahre bis Ende des Jahrhunderts verdoppeln könnte.
  • Indischer Sommermonsun - Die Zirkulation der Luftströmungen, die Indien den Sommermonsun bringen, wird von einem Druckgefälle in der Atmosphäre über Meer und Festland angetrieben. Die globale Erwärmung verstärkt die Niederschläge, da wärmere Luft mehr Feuchtigkeit aufnimmt. Luftverschmutzung und Landnutzung, die die Reflektion von Sonnenlicht verstärkt, haben dagegen einen dämpfenden Effekt. Der Indische Sommermonsun könnte bereits in den kommenden Jahren unberechenbarer werden und im Extremfall beginnen, chaotisch zwischen stärkeren und schwächeren Regenfällen zu pendeln.

Kippelemente geringer Anfälligkeit, mittlere Unsicherheit:

  • Thermohaline Atlantikzirkulation - Der Kreislauf der Meeresströmungen im Atlantik wird von Meerwasser angetrieben, das in den Nordatlantik strömt, sich dort abkühlt und absinkt. Strömt dort mehr Süßwasser ein, aus Flüssen oder von abschmelzenden Gletschern, oder wird das Meerwasser erwärmt, verringert sich seine Dichte. Bei einer globalen Erwärmung von drei bis fünf Grad Celsius könnte der Kipppunkt überschritten werden und die Strömungen in die Tiefe aussetzen. Unter diesen Bedingungen würde der Nordatlantikstrom abreißen, der Meeresspiegel im Nordatlantikraum steigen und der tropische Niederschlagsgürtel verschoben.

Quelle: dpa/PIK

Weitere Infos:

  • Originalveröffentlichung:
    Lenton, T. M., Held, H., Kriegler, E., Hall, J. W., Lucht, W., Rahmstorf, S. and Schellnhuber, H. J., Tipping elements in the Earth's climate system, Proceedings of the National Academy of Sciences (Online Early Edition, 2008).  
    http://dx.doi.org/10.1073/pnas.0705414105

  • Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung:
    http://www.pik-potsdam.de

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