Neutrino-Neuigkeiten
Erstmals wurde eine Nachricht durch Neutrinos übermittelt. Und: Sie bewegen sich doch nicht schneller als das Licht.
Am italienischen Gran-Sasso-Laboratorium hat die ICARUS-Kollaboration die Geschwindigkeit von Neutrinos neu vermessen. Nach den Aufsehen erregenden Meldungen, die Neutrinogeschwindigkeit sei größer als die Lichtgeschwindigkeit, sind die jüngsten Präzisionsmessungen in perfektem Einklang mit der Lichtgeschwindigkeit. Den nötigen Neutrinostrahl lieferte der SPS-Teilchenbeschleuniger am CERN mit einer Rate von 1012 Protonen pro Puls, wobei jeder Puls nur 3 Nanosekunden lang war. Die Abstand zwischen den Pulsen betrug 524 Nanosekunden.
Abb.: Zeitabweichung der Neutrinos von der Lichtgeschwindigkeit bei ICARUS und OPERA. (Bild: M. Antonello et al., arxiv)
Der ICARUS T600 Detektor, mit dem die Neutrinos nachgewiesen wurden, ist ein Flüssigszintillator aus 760 Tonnen ultrareinem, flüssigem Argon; er ist 731 Kilometer vom CERN entfernt. Diese Entfernung konnte dank optischer Triangulierung und GPS bis auf einige Zentimeter genau bestimmt werden. Als Ergebnis der Messungen stellten die Wissenschaftler fest, dass eine mögliche Abweichung der Neutrinogeschwindigkeit von der Lichtgeschwindigkeit völlig innerhalb der statistischen und systematischen Fehler lag.
Abb.: Kommunikation mit Neutrinos. Die Nachricht wird binär codiert. (Bild: Univ. of Rochester)
Wenn also von der fundamentalen Seite der Neutrinophysik Entwarnung verlautet, so werden die angewandten Seiten umso interessanter. Wissenschaftler der University of Rochester und der North Carolina State University haben erstmals mittels Neutrinos kommuniziert. Inhalt der Nachricht war das unschwer zu erratende Wort „Neutrino“. Sie benutzten hierzu die NuMI-Beamline des Fermilab-Teilchenbeschleunigers und kodierten das Wort binär, so dass die Existenz von Neutrinos in einem Zeitfenster als 1, die Abwesenheit als 0 gewertet wurde. Zum Empfang der Nachricht diente der 100 Meter unter der Erde gelegene Detektor MINERvA in 240 Metern Abstand vom Proton-Target, in dem die Neutrinos entstanden.
Das Codewort konnte problemlos entschlüsselt werden. Das Experiment kann also als erste Demonstration dafür gelten, dass die Neutrinos sich zur Kommunikation zwischen beliebigen Punkten eignen. Da Neutrinos nur der schwachen Wechselwirkung und der Gravitation unterliegen und eine sehr geringe Ruhemasse haben, dringen die Neutrinos leicht durch Materie. Nicht nur jeder beliebige Ort auf der Erde, sondern etwa auch die Rückseite des Mondes könnte mit Neutrinostrahlen direkt erreicht werden. Die strategische Komponente einer solchen Kommunikation ist theoretisch auch für Geheimdienste und Militärs von Interesse. Aufgrund der Dimensionen und des Gewichtes von Neutrino-Detektoren (ganz zu schweigen von den Teilchenbeschleunigern als Sendestation) fällt als mögliche Anwendung zunächst die Kommunikation mit abgetauchten strategischen Atom-U-Booten ins Auge. Aber abgesehen davon, dass die Atomreaktoren auf solchen U-Booten selbst einen gehörigen Untergrund an Neutrinos produzieren, müsste man bei umfangreicheren Nachrichten wohl ein wenig Geduld aufbringen: Die Übermittlung allein des Wortes „Neutrino“ dauerte über zwei Stunden.
Dirk Eidemüller
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