16.09.2019 • Teilchenphysik

Neutrinomasse kleiner als ein Elektronenvolt

Erste Resultate der Neutrinowaage KATRIN vorgestellt.

Die Entdeckung der Neutrino-Oszillation vor zwei Jahrzehnten lieferte den Beleg, dass Neutrinos – entgegen früherer Erwartungen – eine sehr kleine, von Null verschiedene Masse besitzen. Wegen ihrer extrem kleinen Masse spielen Neutrinos eine Schlüssel­rolle in Kosmo­logie und Teilchen­physik. Auch in der Welt der Elementar­teilchen ist ihre sehr kleine Masse von Bedeutung: Sie deutet auf neue Physik jenseits gängiger Modelle hin. Die weltweit genaueste Waage, das inter­nationale KATRIN-Experiment am Karlsruher Institut für Techno&shy,logie [Add. 19.9.], soll in den nächsten Jahren die Masse der Neutrinos mit bisher unerreichter Sensitivität bestimmen. Nach Auswertung der ersten Mess­ergeb­nisse steht jetzt fest: Die bisher unbekannte Masse des Neutrinos muss unter einem Elektronen­volt liegen. Dieses Resultat ist wesent­licher genauer als bis­herige Messungen und weckt Hoffnung, neue Neutrino-Eigen­schaften aufzu­decken. 

Abb.: Überblick über das siebzig Meter lange KATRIN-Experiment mit den...
Abb.: Überblick über das siebzig Meter lange KATRIN-Experiment mit den Hauptkomponenten fensterlose gasförmige Tritiumquelle (a), Pumpsektion (b) und elektrostatische Spektrometer und Fokalebenendetektor (c; Bild: M. Meloni, KIT).

Die KATRIN-Kollaboration, an der insgesamt zwanzig Institutionen aus sieben Ländern beteiligt sind, darunter zehn Gruppen aus Deutschland, konnte in den letzten Jahren zahlreiche techno­logische Heraus­forderungen bei der Inbetrieb­nahme des siebzig Meter langen Experiment­aufbaus erfolg­reich meistern. [Add. 19.9.]

Im Frühjahr 2019 legte das 150-köpfige KATRIN-Team zum ersten Mal Neutrinos auf die Waagschale – natürlich nur im über­tragenen Sinn. Dazu ließen die Wissen­schaftler über mehrere Wochen hoch­reines Tritium­gas in der Quelle zirku­lieren und zeichneten die ersten Energie­spektren von Elektronen aus dem Tritium­zerfall auf. Das inter­nationale Analyse­team machte sich dann an die umfang­reiche Arbeit, um aus den aufge­nommenen Daten das erste Neutrino­massen-Resultat abzu­leiten.

Eine zentrale Aufgabe fiel dabei Thierry Lasserre vom MPI für Physik als Analyse­koordinator für diese Mess­kampagne zu: „Unsere drei inter­nationalen Auswerte­gruppen haben in letzten Monaten bewusst voll­kommen eigen­ständig gearbeitet, um drei wirklich unabhängige Resultate zu erhalten. Dabei war es wichtig, dass kein Team­mitglied das Ergebnis für die Neutrino­masse im Voraus ableiten konnte.“ Wie bei Präzisions­experimenten heute üblich, wurden dazu wesent­liche Zusatz­informa­tionen bis zum letzten Analyse­schritt verhüllt. Am Abend des 18. Juli 2019 wurden dann alle Daten frei­ge­schaltet.

Damit konnten die zeitgleich gestarteten Programme über Nacht die Mess­daten mit der Modell­erwartung vergleichen und nach der charakte­ris­tischen Signatur der Neutrino­masse abtasten. Alle drei Gruppen vermeldeten identische Resultate, die die Neutrino­masse auf einen Wert von kleiner als ein Elektronen­volt begrenzen. Die beiden langjährigen KATRIN-Co-Sprecher, Guido Drexlin vom KIT und Christian Weinheimer von der Universität Münster, kommentieren dieses erste Ergebnis mit großer Freude: „Dass KATRIN nach einer Messkampagne von nur wenigen Wochen nun bereits die weltbeste Sensitivität für die Neutrino&shy,masse besitzt und die mehr­jährigen Messungen der Vorgänger­experimente um einen Faktor 2 verbessert, zeigt das außer­ordentlich hohe Potenzial unseres Projekts.“ [Add. 19.9.]

Susanne Mertens, Leiterin der Gruppe am MPI für Physik, hat eine der Haupt­analysen der ersten Neutrino­masse-Daten koordiniert. Die dafür von der MPP-Gruppe entwickelte Auswertungs­strategie wurde als zentrales Ergebnis dieser Mess­kampagne veröffent­licht. Daneben war die Gruppe maßgeblich an der Charakte­ri­sierung des Unter­grunds beteiligt und übernahm wichtige Aufgaben bei der Kalibrierung der Tritium­quelle.

Die jetzt auf einer Fachtagung in Japan veröffent­lichten Analysen nutzen ein seit langem bekanntes Prinzip zur direkten Bestimmung der Neutrino­masse: Beim radio­aktiven Zerfall von Tritium teilen sich das entstehende Elektron und ein Elektron­neutrino die frei­werdende Energie von 18,6 Kilo­elektronen­volt. In sehr seltenen Fällen erhält das Elektron nahezu die gesamte Energie, während für das Neutrino nur ein winziger Bruchteil davon übrig­bleibt, mindestens aber – gemäß Einstein – der Betrag E = mc² seiner Ruhe­masse.

Von den etwa 25 Milliarden Elektronen, die beim Tritium-Zerfall pro Sekunde frei­ge­setzt werden, haben die KATRIN-Wissenschaftler nur eine kleine Teil­menge untersucht: Sie filterten rund zwei Millionen Elektronen mit dem passenden Energie­spektrum heraus, um die Neutrino­masse zu ermitteln.

MPP / KIT / RK

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