Neutronen für bessere Impfstoffe gegen multiresistente Keime
Mithilfe der Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz können Forscher die Struktur von Biomolekülen untersuchen.
Bei vielen neuen Impfstoffen ist der Wirkstoff eingebettet in Liposome. Diese nanoskopischen Biomoleküle genau zu charakterisieren und zu verstehen ist ein Schlüsselfaktor bei der Entwicklung und Optimierung künftiger Vakzine. Einem internationalen Forschungsteam gelang es jetzt, mithilfe der Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz FRM II an der TU München, die Struktur eines Impfstoffkandidaten gegen multiresistente Bakterien der Gattung Pseudomonas aeruginosa zu analysieren.
Das Vakzin besteht aus etwa hundert nanometergroßen Biomolekülen. Diese werden überwiegend aus fettähnlichen Substanzen gebildet, den Lipiden. Diese Lipide formieren sich aufgrund ihrer biochemischen Eigenschaften zu Bläschen, Liposome genannt, in denen die eigentlichen Wirkstoffe geschützt und transportiert werden. Im Fall des Vakzins gegen Pseudomonas aeruoginosa ist dieser Wirkstoff das Protein OprF. „Grundsätzlich kann der Wirkstoff an verschiedenen Positionen des Liposoms andocken – beispielsweise außen oder innen“, erklärt Marco Maccarini, Biophysiker an der Universität Grenoble in Frankreich. „Er wird besser vom Immunsystem erkannt, wenn er in die doppelte Lipidschicht eingebunden ist. Der Aufbau der Biomoleküle ist daher entscheidend für die Wirkung eines Vakzins.“
Mit bloßem Auge lassen sich solche Details nicht erkennen. Auch Lichtmikroskope haben eine zu geringe Auflösung für die Untersuchung von Liposomen. Röntgenstrahlung ist zwar kurzwelliger, für die Struktur-Analyse jedoch nicht geeignet, weil die Bestrahlung unter bestimmten Umständen die Biomoleküle schädigt. „Neutronenstrahlen hingegen sind ideal: Sie interagieren nur mit den Atomkernen, was zu keinen Schäden oder strukturellen Veränderungen führt. So lassen sich die Proben in ihrem ursprünglichen Zustand untersuchen“, erläutert Maccarini.
Am FRM II in Garching fand der Forscher alles, was er für die Analyse des neuen Impfstoffkandidaten brauchte: einen hohen Neutronenfluss, ein gut ausgestattetes Labor und mit Aurel Radulescu einen Experten für die Messung von Kleinwinkelstreuung, mit der sich Moleküle, die einige Nanometer groß sind, detailliert untersuchen lassen.
„Die Herausforderung lag in diesem Fall darin, mit Hilfe des Diffraktometers, das die Streuung der Neutronen durch die Atomkerne misst, die Proteine und die Lipide in der Probe zu unterscheiden“, erläutert Radulescu, der für das Forschungszentrum Jülich die Neutronenkleinwinkelanlage KWS-2 am FRM II betreut. Diese Differenzierung sei schließlich durch einen Trick gelungen, so der Forscher: „Wir haben die Messungen mit unterschiedlichen Lösungsmittelkombinationen durchgeführt – normalem Wasser und deuteriumhaltigem, schwerem Wasser, in unterschiedlichen Mischverhältnissen.“ Da Neutronen normalen Wasserstoff und Deuterium unterschiedlich sehen, entstanden Bilder der Probe mit unterschiedlichen Kontrasten, die unterschiedliche Informationen enthalten.
Für die Auswertung entwickelte das Forschungsteam ein Computermodell, das die Struktur des Vakzin-Kandidaten darstellt. „Wir konnten auf diese Weise nicht nur die zweilagige Struktur der Lipide sichtbar machen, sondern auch die durchschnittliche Position und Menge des OprF -Wirkstoffs ermitteln, der eingebettet ist zwischen die beiden Lipidschichten“, so Radulescu. Das neue Modell lässt sich auch nutzen, um die Struktur neuer liposombasierter Impfstoffe zu erforschen und deren Entwicklung zu optimieren.
TUM / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
F. Spinozzi et al.: Small-Angle Neutron Scattering Reveals the Nanostructure of Liposomes with Embedded OprF Porins of Pseudomonas aeruginosa, Langmuir 38, 15026 (2023); DOI: 10.1021/acs.langmuir.2c01342 - Centre National de la Recherche Scientifique, Université Grenoble Alpes, Grenoble, Frankreich
- Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II), Technische Universität München