28.08.2015

Neutronenforschung mit Zukunft

Europäische Spallationsquelle im Blickpunkt der Fördermittelgeber.

Mit kleinsten Teilchen als Sonden lassen sich viele Geheimnisse der Natur lüften. Neutronen weisen dabei einige herausragende Eigenschaften auf: ihre elektrische Neutralität lässt sie – von den Atomhüllen unbeeindruckt – tief in die zu untersuchende Materie eindringen. Dabei werden Sie in einer massenabhängigen Wechselwirkung an den Atomkernen gestreut und können so die Zusammensetzung von Proben isotopensensitiv auflösen. Insbesondere biologische Proben können mit einigen Tricks auf diese Weise gut untersucht werden. Neutronen können als Teilen oder Wellen wirken, wobei die Wellenlänge thermischer Neutronen den Atomabständen in Festkörpern entspricht. Das prädestiniert sie für die Untersuchung von Atomanordnungen in kondensierter Materie. Darüber hinaus können thermische und kalte Neutronen Schwingung und Rotationen in Atomgruppen anregen und eignen sich damit unter anderem auch zur Überprüfung von Festkörpermodellen. Das – zwar sehr kleine, aber immerhin vorhandene – magnetische Moment der Neutronen macht sie zu hervorragenden Sonden zur Untersuchung magnetischer Eigenschaften verschiedenster Proben.

Abb.:Auf einer grünen Wiese nahe der südschwedischen Stadt Lund wird derzeit die Europäische Spallationsneutronenquelle ESS gebaut. (Abb.: ESS)

So vielfältig und vielversprechend die Einsatzmöglichkeiten von Neutronen im analytischen Bereich auch sind, so aufwändig ist ihre Produktion, die auf jeden Fall in den Bereich der Großgeräteforschung fällt. Ohne umfangreiche Förderprogramme kann man also das Potential der Neutronen nicht ausschöpfen. Im schwedischen Lund wird derzeit – maßgeblich gefördert aus dem Rahmenprogramm Horizon 2020 der EU – die Europäische Spallationsquelle ESS gebaut. Um die direkte Steuerung und Finanzierung des Projektes durch die mitwirkenden europäischen Staaten zu erleichtern, hat die Europäische Kommission beschlossen, die ESS in ein Europäisches Forschungsinfrastruktur-Konsortium (engl. European Research Infrastructure Consortium), kurz ERIC, zu überführen. Die ab heute wirksame Rechtsform ersetzt die einer schwedisch-dänische Gesellschaft mit beschränkter Haftung.

Die Leitung des ESS-Konsortiums wird ein Rat übernehmen, der aus Vertretern der derzeit elf Mitgliedsstaaten besteht. „Die ESS wird künftig die stärkste Neutronenquelle der Welt sein und einzigartige Möglichkeiten zur Erforschung von neuen Materialien und biologischen Prozessen bieten, die beispielsweise für die Informationstechnologie, die Energieforschung oder die medizinische Forschung von Nutzen sind“, so Vorstandsmitglied Prof. Sebastian M. Schmidt vom Forschungszentrum Jülich. Sie gehört zu einer neuen Generation von Quellen und kommt ohne Kernspaltung aus. Aufgrund der neuen Forschungsmöglichkeiten, aber auch durch Einrichtung und Betrieb der Anlage selbst werden von der ESS Impulse für die Wirtschaft in ganz Europa erwartet.

Deutsche Wissenschaftler haben sich seit 2010 maßgeblich an der Planung der Anlage beteiligt. In der gegenwärtigen Konstruktionsphase übernehmen sie weiterhin einen bedeutenden Anteil, insbesondere beim Aufbau von Instrumenten. Neben dem Forschungszentrum Jülich, das die deutschen Beiträge koordiniert, sind derzeit auch das Helmholtz-Zentrum Geesthacht und die Technische Universität München an dem europäischen Großprojekt beteiligt. Die ersten Neutronen werden für 2019 erwartet, die ersten Experimente sind für 2023 anberaumt.

Bereits parallel zu Bau und Einrichtung der ESS bereiten Wissenschaftler in umfangreichen Forschungsprojekten den glatten Start der ersten Experimente vor. Das Forschungszentrum Jülich erhält zum Beispiel über eine Million Euro für die Entwicklung neuer Methoden und Technologien für die Forschung mit Neutronen. Die geplanten Arbeiten sind Teil des Infrastrukturprojekts „Science and Innovation with Neutrons in Europe“ (SINE2020), das im Oktober mit einer Laufzeit von vier Jahren startet. Forschungseinrichtungen aus 13 Ländern beteiligen sich daran. SINE2020 wird durch das EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation HORIZONT 2020 gefördert. So soll gewährleistet werden, dass die neuartigen Forschungsmöglichkeiten an der ESS und ihr Innovationspotenzial von Anfang an optimal genutzt werden.

FZ Jülich / LK

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