20.10.2017

Neutronenstern-Verschmelzungen erzeugen schwere Elemente

Neuer Beschleuniger FAIR soll kurzlebige neutronen­reiche Kerne pro­du­zieren.

Lange ist darüber spekuliert worden, ob Verschmelzungen von Neutronen­sternen die bislang unbe­kannte astro­physi­kalische Quelle für schwere Elemente wie Gold, Platin und Uran sind. Ein inter­nationales Forscher­team wies 2010 darauf hin, dass die Synthese von schweren Elementen in einer Neutronen­stern­ver­schmelzung zur Emission eines ein­deutigen elektro­magne­tischen Signals führt. Ein solches Signal konnte jetzt im Zusammen­hang mit dem Gamma­strahlungs­ausbruch und Gravita­tions­wellen-Ereignis vom 17. August tat­säch­lich beob­achtet werden.

Abb.: Künstlerische Darstellung der Verschmelzung von zwei Neutronen­sternen. (Bild: NSF / LIGO / Sonoma State U. / A. Simonnet)

Das Signal zeigt das vorhergesagte charakteristische Muster und bestätigt somit, dass die astro­physika­lische Quelle der schweren Elemente endlich gefunden ist. Dieser wissen­schaft­liche Durch­bruch stellt das künftige Beschleu­niger­zentrum FAIR – Faci­lity for Anti­proton and Ion Research –, das zur Zeit am GSI Helm­holtz­zentrum für Schwer­ionen­forschung in Darm­stadt entsteht, noch stärker in den wissen­schaft­lichen Fokus. Denn dort können erst­mals die kurz­lebigen neutronen­reichen Kerne, die das elektro­magne­tische Signal erzeugen, herge­stellt und studiert werden.

Vor sechzig Jahren wurden die wesentlichen Prozesse, die zur Entstehung der Elemente im Uni­versum führen, erst­mals beschrieben. Seitdem ist es gelungen, die astro­physika­lischen Quellen fast aller Prozesse zu identi­fi­zieren. Die Aus­nahme bildet der r-Prozess, der etwa die Hälfte der Elemente schwerer als Eisen produ­ziert. Dieser Prozess verlangt eine extrem hohe Dichte an Neutronen. Unter diesen Bedin­gungen ver­laufen Neutronen­ein­fänge an Kernen schneller als die konkur­rie­renden Beta-Zerfälle ver­laufen. „Die Identi­fi­kationen des astro­physi­ka­lischen Orts, an dem die Elemente schwerer als Eisen im Uni­versum produ­ziert werden, wird als eines der Jahr­hundert­probleme der Physik ange­sehen“, sagt Friedrich-Karl Thiele­mann von der Uni Basel, der 1999 die ersten Nukleo­synthese­rech­nungen durch­führte, die zeigten, dass ein r-Prozess in dem Material, das bei der Ver­schmel­zung von Neutronen­sternen emit­tiert wird, ablaufen kann.

Fast gleichzeitig wurde vorgeschlagen, dass der radio­aktive Zerfall des frisch synthe­ti­sierten Materials ein elektro­magne­tisches Signal erzeugen würde. Die erste realis­tische Vor­her­sage dieses Signals wurde 2010 von einem inter­natio­nalen Team unter Leitung von Gabriel Martinez-Pinedo und Brian Metzger gegeben. Die Kollabo­ration sagte vorher, dass die Leucht­stärke der Neutronen­stern­ver­schmelzung tausend Mal stärker als bei einer Nova sein würde und ihr Maximum nach etwa einem Tag erreichen würde. Das Ereignis wurde des­halb Kilo­nova getauft. Diese Vorher­sage wurde nun bestätigt.

Abb.: Am künftigen Beschleunigerzentrum FAIR können Bedin­gungen für weitere Forschung rund um Neutronen­sterne simu­liert werden. (Bild: ion42)

Mehrere Beobachtungen deuten darauf hin, dass das beobachtete elektro­magne­tische Signal von radio­aktiven Zer­fällen von r-Prozess­kernen erzeugt wird. Die Zeit­abhängig­keit des Signals ent­spricht der­jenigen, die erwartet wird, wenn die Energie aus dem Zerfall eines großen Ensembles zer­fal­lender Kerne stammt. Ferner zeigt die Farb­ent­wick­lung des Signals, dass eine große Zahl von r-Prozess­kernen aus leich­teren um die Ladungs­zahl Z=50 in schwerere Kerne umge­wandelt wurden. Es wird geschätzt, dass das Ereignis GW170817 ungefähr 0,06 Sonnen­massen von r-Prozess­material, darunter das Zehn­fache der Erd­masse an Gold und Uran, produ­ziert hat.

Die LIGO- und VIRGO-Kollaborationen gehen davon aus, dass ab 2019, wenn die Detek­toren ihre volle Kapa­zität erreicht haben, Neutronen­stern­ver­schmel­zungen etwa einmal pro Woche beob­achtet werden. Das wird eine voll­ständig neue Epoche im Ver­ständnis der Nukleo­synthese schwerer Elemente ein­läuten, die auch zum Ver­ständnis der Beob­ach­tungen hoch­präzise kern­physi­ka­lische Daten, vor allem von neutronen­reichen Kernen, aber auch von den Eigen­schaften von Kern­materie ver­langen.

Deshalb ist es vorteilhaft, dass mit FAIR der Beschleuniger­komplex, der benötigt wird, um diese Daten zu beschaffen, schon in Darm­stadt gebaut wird. Erste Resul­tate werden bereits von den im Jahr 2018 durch­ge­führten FAIR-Phase 0-Experi­menten erwartet. Nach seiner Fertig­stellung im Jahr 2025 wird FAIR dann sein voll­ständiges wissen­schaft­liches Poten­zial ent­wickeln und welt­weit einzig­artige Möglich­keiten zur Erzeugung und Studium der schweren r-Prozess­kerne bieten. Bis dahin werden die Theore­tiker ihre Forschungen fort­führen und aus­loten, welches die Schlüssel­infor­ma­tionen zur voll­stän­digen Charak­teri­sierung des elektro­magne­tischen Signals von Neutronen­stern­ver­schmel­zungen sind und welche Rück­schlüsse sie auf die r-Prozess-Nukleo­synthese zulassen.

GSI / RK

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