Neutronenstreuung klärt, wie Myoglobin ohne Wasser auskommt
Diese Erkenntnis könnte bei möglichen Anwendungen des Proteins in biochemischen Gassensoren oder neuartigen Wundverbänden helfen.
Das Protein Myoglobin tritt in beinahe allen Säugetieren auf und ist für die rote Farbe von rohem Fleisch verantwortlich. Wie bei allen löslichen Proteinen ist seine Oberfläche mit Wassermolekülen bedeckt. Wasser ist die natürliche Umgebung für lösliche Proteine sowie integraler Bestandteil ihrer Strukturen und ermöglicht es ihnen, ihre spezifischen Funktionen auszuführen.
Abb.: Computermodell des Proteins Myoglobin. (Bild: ILL)
Jahrelang nahm man an, dass Proteine nur in Wasser oder einem anderen Lösungsmittel funktionieren. Im Jahr 2010 wies jedoch das Team aus Bristol nach, dass es durch Aufbringen von Polymerketten auf die Proteinoberfläche möglich war, lösungsmittel- und wasserfreie Myoglobinflüssigkeiten herzustellen, die trotzdem ihre biologische Rolle erfüllen konnten. Wissenschaftler haben nun mithilfe von Neutronenstreuexperimenten gezeigt, dass die Proteindynamik die Ursache dafür ist.
Mit dieser Untersuchung wollten Forscher herausfinden, ob sich die Proteinstruktur noch bewegen und weiterhin Sauerstoff binden kann, wenn alles Wasser vollständig entfernt und durch synthetische Moleküle ersetzt wurde. Das Team untersuchte drei Proben: eine nasse Probe (Protein in Wasser), eine trockene Probe (dehydriertes Protein) und eine trockene Protein-Polymer-Hybrid-Probe, bei der die Wassermoleküle durch synthetisch hergestellte Polyethylen-Polymer-Oberflächenmoleküle auf der Basis von Glykol ersetzt wurden.
Mit inkohärenter Neutronenstreuung am Institut Laue-Langevin im französischen Grenoble und am FRMII in Garching sowie des Zentrums für Forschung mit Neutronen in Jülich konnte das Team die Bewegungen im Protein und der Polymeroberfläche getrennt beobachten. Diese Trennung wurde möglich durch eine in einem speziellen Deuterierungslabor am ILL vorgenommene Kennzeichnungmarkierung, bei der entweder die Polymer- oder die Proteinbewegungen dadurch maskiert wurden, dass man Wasserstoff durch sein schwereres Isotop Deuterium ersetzte. Sie fanden heraus, dass sich die von Polymeren umgebenen Myoglobinmoleküle genauso bewegten wie bei der nassen Probe und dass die trockene Probe sehr geringe Beweglichkeit zeigte.
Das Wissen, dass Proteine ohne Wasser funktionieren können, eröffnet vielfältige Anwendungen im täglichen Leben; denn nun ist klar, dass es Alternativen gibt, wenn kein Wasser verfügbar ist. Mögliche Anwendungen sind biochemische Gassensoren, weil Myoglobin Kohlenmonoxidmoleküle binden kann. Eine andere mögliche Anwendung ist die Entwicklung neuer Wundverbände. Bei diesen kann das flüssige Protein entweder intern oder extern zu der Wunde gelangen, um die Ausheilzeit zu verkürzen, indem es dem verletzten Gewebe Sauerstoff oder andere wesentliche Chemikalien zuführt.
„Neutronenstreuverfahren eignen sich hervorragend zur Untersuchung der Dynamik von Proteinen und ihrer Umgebung. Mit den Neutronenstreueinrichtungen am ILL und FRMII können wir die Bewegungen von Proteinen analysieren und damit die durch Kristallografie gewonnenen einzelnen Momentaufnahmen ihrer Strukturen ergänzen“, bemerkt Martin Weik vom Institut de Biologie Structurale.
ILL / PH