04.05.2006

Nichtexponentiell abklingende Fluoreszenz

Organische Substanzen verletzen das herkömmliche Zerfallsgesetz, das man beim Abklingen der Fluoreszenz erwarten würde.




Organische Substanzen verletzen das herkömmliche Zerfallsgesetz, das man beim Abklingen der Fluoreszenz erwarten würde.

Von quantenmechanischen Zerfallsprozessen erwartet man, dass sie „normalerweise“ einem Exponentialgesetz folgen. Beim radioaktiven Zerfall von instabilen Atomkernen zum Beispiel nimmt die Zahl der noch nicht zerfallenen Kerne im Laufe der Zeit wie e –at ab. Dasselbe exponentielle Zerfallsgesetz beobachtet man auch beim Abklingen der Fluoreszenz von angeregten Atomen und Molekülen. Theoretischen Untersuchungen zufolge sollten jedoch für sehr lange Beobachtungszeiten Abweichungen vom exponentiellen Zerfallsgesetz auftreten. Diese Abweichungen hat man jetzt erstmals beobachtet.

Damit ein Kern zerfallen bzw. ein Atom strahlen kann, müssen sie an ihre Umwelt gekoppelt sein. Diese Kopplung macht die nuklearen oder atomaren Energieniveaus unscharf und es kommt zur homogenen Linienverbreiterung. Die Spektrallinie der beim Zerfall abgestrahlten Gamma- oder Lichtwelle hat eine energieabhängige Intensität, die im Idealfall durch ein Lorentz-Profil gegeben ist. Das Lorentz-Profil ist symmetrisch um die Energie des angeregten nuklearen oder atomaren Zustands verteilt. Zudem erstreckt es sich über die gesamte Energieachse. Nur unter diesen (von einer Spektrallinie niemals exakt erfüllten) Annahmen lässt sich ein exponentielles Zerfallsgesetz herleiten.

Tatsächlich erstreckt sich die beim Zerfall emittierte Spektrallinie nicht über den gesamten Energiebereich sondern nur über Energien oberhalb einer positiven Grenzenergie. Dies führt dazu, dass der Betrag und die Phase der komplexen zeitabhängigen Wahrscheinlichkeitsamplitude p(t) für den Zerfallsprozess voneinander abhängen – mit der Folge, dass das Betragsquadrat von p(t) keine Exponentialfunktion sein kann. Vielmehr verläuft der Zerfall eines metastabilen Zustands zunächst exponentiell, um für hinreichend große Zeiten langsamer als exponentiell zu werden. Wie wichtig dieser nichtexponentielle Teil des Zerfalls ist, hängt davon ab, wie stark sich das Lorentz-Profil und die Spektrallinie unterhalb der Grenzenergie voneinander unterscheiden.

Werden bei einem Zerfallsprozess große Energien frei und ist die Linienbreite sehr schmal, dann hat das Lorentz-Profil unterhalb der Grenzenergie einen sehr kleinen Wert. Die emittierte Spektrallinie lässt sich deshalb gut durch das Lorentz-Profil beschreiben und der Zerfall zeigt keine beobachtbaren Abweichungen vom exponentiellen Verhalten. Beim radioaktiven Zerfall liegen die abgestrahlten Energien im MeV-Bereich während die Linienbreiten weniger als 10 –9 eV betragen. Wie Berechnungen für das radioaktive Isotop 60Co zeigen, kann man eine Abweichung vom exponentiellen Zerfallsgesetz erst nach 140 Halbwertszeiten erwarten. Doch dann ist die Radioaktivität bereits um einen Faktor 10 –60 abgeklungen.

Besser Chancen, den nichtexponentiellen Zerfall zu beobachten, eröffnet die Fluoreszenz von großen Molekülen, die in einer Flüssigkeit gelöst sind. Die starke Kopplung der Moleküle an die sie umgebende Flüssigkeit führt dazu, dass die Linienbreiten und die Energien der Fluoreszenzstrahlung vergleichbare Größe haben. Die Spektrallinien lassen sich daher nur sehr schlecht mit einem Lorentz-Profil beschreiben. Tatsächlich klingt die Lumineszenz nach 10 bis 100 Nanosekunden nichtexponentiell ab, wie Carsten Rothe und seine Kollegen von der University of Durham beobachten konnten.

Die Forscher haben verschiedene Farbstoffe und konjugierte Polymere in organischen Flüssigkeiten gelöst, sie mit kurzen Laserpulsen von 170 ps bestrahlt und die Fluoreszenzstrahlung mit einer sehr schnellen CCD-Kamera in einem vorgewählten Zeitfenster aufgefangen. Daraus haben sie den zeitlichen Verlauf des Fluoreszenzsignals über einen Zeitraum von bis zu einer Mikrosekunde ermittelt. In allen Fällen klang die Fluoreszenzstrahlung zunächst exponentiell ab um nach 10 bis 17 Halbwertszeiten τ deutlich langsamer, d. h. einem Potenzgesetz folgend, abzuklingen. Wie Modellrechnungen zeigen, sollte die Zeit T, an der dieser Übergang stattfindet, von der Energie E und der Linienbreite Γ des angeregten Molekülzustands in folgender Weise abhängen: T/τ ~ log(E/Γ).

Die untersuchten Farbstoffe wie Cumarin hatten eine vergleichsweise kleine Linienbreite. Bei ihnen setzte der Übergang zu nichtexponentiell abklingender Fluoreszenz erst nach 14 bis 17 Halbwertszeiten ein. Bei den größeren Polymermolekülen konnten die angeregten Zustände schneller zerfallen und hatten deshalb eine größer Linienbreite. Hier fand der Übergang schon nach 11 Halbwertszeiten statt.

Jenseits der Übergangszeit T klang das Fluoreszenzsignal wie t –α ab. Der Exponent α sollte der Theorie zufolge größer als 2 sein. Tatsächlich waren die gemessenen Werte substanzabhängig und lagen zwischen 2,08 und 4,07. Diese Werte ermöglichen Rückschlüsse auf das Linienprofil der angeregten Molekülzustände. Aus der Übergangszeit T lässt sich darüber hinaus auch Information über die Zustandsdichte der Moleküle gewinnen.

Rainer Scharf

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