Nukleare Photonik – Optik für Gammastrahlen
Überraschende Entdeckung „signifikanter“ Brechung von Gammastrahlen öffnet die Tür zur Untersuchung von Atomkernen mit energiereicher Strahlung.
Wissenschaftler aus München und Grenoble haben erstmals gezeigt, dass Gammastrahlen gebrochen werden können. Ihre Entdeckung widerlegt seit vielen Jahrzehnten bestehende theoretische Annahmen und öffnet die Tür zu einem neuen Bereich der Wissenschaft, der nuklearen Photonik. Durch Brechung und Fokussierung in konzentrierte Strahlen könnten Gammastrahlenmikroskope aus der Ferne nach gefährlichem nuklearem Material in Schiffen und Lastwagen suchen, nuklearen Abfall überwachen oder ausgewählte, weniger schädigende medizinische Bildgebungsverfahren zur Krebsdiagnostik und behandlung bereitstellen.
Abb.: PN3 High resolution gamma ray facility GAMS am Institut Laue-Langevin (ILL; Bild: B. Lehn Fotodesign / ILL)
Forschern gelang es Ende des 20. Jahrhunderts, durch Kombination von Hunderten optischer Linsen fokussierende Instrumente für Röntgenstrahlen zu bauen. Diese sind heute in Einrichtungen wie der Diamond Light Source und der European Synchrotron Radiation Facility ESRF im Einsatz, um Material auf der Nanoskala zu untersuchen.
Die Chancen, hinreichende Brechung von Gammastrahlen zu erreichen, erschienen gering. Deshalb entschlossen sich Wissenschaftler am Institut Laue-Langevin (ILL) und der Ludwig-Maximilians-Universität München zu einer experimentellen Überprüfung.
Die von der PN-3-Einrichtung des ILL erzeugten Gammastrahlen analysierten die Forscher mit zwei Siliziumkristallen. Der erste selektierte am Ausgang des Reaktors die Gammastrahlung und formte einen sehr dünnen und parallelen Strahl. Entlang des Instruments war ein Siliziumprisma so angeordnet, dass es die Hälfte des Gammastrahls brach. Die Brechung dieses Halbstrahls wurde dann mit einem zweiten Siliziumkristall nachgewiesen und mit der anderen, ungebrochenen Hälfte des Gammastrahls verglichen.
Die Wissenschaftler fanden dabei heraus, dass mit zunehmender Energie der Gammastrahlen die abnehmenden Brechungswerte, die auf kleine negative Zahlen abgesunken waren, plötzlich das Vorzeichen wechselten und wieder zu größeren positiven Brechungswerten hin zunahmen, ähnlich wie bei sichtbarem Licht. Diese Werte waren wesentlich höher als erwartet. Die Forscher wollen nun die Siliziumprismen mit höher brechendem Material wie Gold ersetzen, um die Brechung so stark zu erhöhen, dass sie für optische Techniken infrage kommt.
Der ILL-Forscher Michael Jentschel erklärt: „Dies ist eine bemerkenswerte und völlig unerwartete Entdeckung mit großen Auswirkungen auf die Wissenschaft und praktischen Anwendungen. Dazu gehört isotopenspezifische Mikroskopie mit Nutzen in allen wissenschaftlichen Disziplinen über die direkte medizinische Behandlung und sogar bis zu Werkzeugen für Zwecke der nationalen Sicherheit.“
Mit dieser jetzt für Gammastrahlen nachgewiesenen wertvollen Eigenschaft rückt die Notwendigkeit in den Fokus, geeignete Gammastrahlenquellen zu entwickeln, um diese Technik verfügbar zu machen. Bisher gibt es keine Quellen, die mit den Röntgenstrahlensynchrotrons wie ESRF oder Diamond vergleichbar sind.
In den letzten Jahren hatte die Ankündigung, die Extreme Light Infrastructure Nuclear Physics (ELI-NP) in Magurele bei Bukarest, Rumänien, erhielte eine neue Gammaquelle mit höherer Photonenenergie, das Interesse neu geweckt. Jentschel und seine Kollegen schätzen, ihre Entdeckung der Möglichkeit optischer Beeinflussung von Gammastrahlen könne die Empfindlichkeit von Experimenten beim ELI um zwei bis sechs Größenordnungen verbessern.
ILL / OD