28.12.2015

Oberflächenphysik der Perowskite

Komplizierte Vorgänge auf Grenzflächen der wich­tigen Mate­rial­sorte ent­schlüs­selt.

Perowskite sind in der Natur vorkommende Minerale, die für Batterien, Brenn­stoff­zellen oder auch elek­tro­nische Bauteilen von Bedeutung sind. Obwohl sie techno­logisch so wichtig sind, weiß man über das chemische Verhalten ihrer Ober­fläche bis heute sehr wenig. Dem Team von Ulrike Diebold am Institut für Angewandte Physik der TU Wien gelang es nun aller­dings mit Hilfe von Rastertunnelmikroskopen und Computer­berech­nungen eine alte Frage zu klären: Wie verhalten sich Wasser­moleküle, die sich auf den Perowskit-Oberflächen anlagern? Nicht nur die äußersten Atome an der Ober­fläche, sondern auch tiefer­liegende Strukturen spielen dabei eine wichtige Rolle.

Abb.: Ulrike Diebold, Daniel Halwidl, Wernfried Mayr-Schmölzer, Florian Mittendorfer (v. l.; Bild: TU Wien)

„Wir studierten Strontium-Ruthenat, einen ganz typischen Vertreter aus der Material­klasse der Perows­kite“, sagt Ulrike Diebold. Es handelt sich um eine Kristallstruktur aus Sauerstoff, Strontium und Ruthenium. Die äußerste Schicht wird – wenn man den Kristall in der richtigen Richtung spaltet – nur von Strontium und Sauerstoff-Atomen gebildet, das Ruthenium befindet sich darunter, eingesperrt in eine Box aus Sauerstoff-Atomen.

Wassermoleküle, die auf diese Oberfläche auftreffen, werden in zwei Teile zerlegt: Eines der der Wasser­stoff­atome wird dem Molekül entrissen und von einem Sauer­stoff­atom der Kristall­oberfläche festge­halten. Übrig bleibt eine OH-Gruppe, die durch eine Wasser­stoff-Brücken­bindung an das entrissene Wasser­stoff­atom gebunden bleibt.

Genau diese Bindung ist die Ursache für einen merkwürdigen Effekt: Die OH-Gruppe kann sich nicht frei bewegen. Sie hüpft rund um das Wasser­stoff­atom herum, von Atom zu Atom, wie ein Tänzer, der mit einem Bein immer am selben Ort bleiben muss und bloß mit dem anderen verschiedene Schritte ausprobiert. „Aufgrund von theoretischen Berech­nungen wurde dieser Effekt schon vor einigen Jahren vorhergesagt, wir sind nun die ersten, die das experi­mentell bestätigen konnten“, sagt Ulrike Diebold. Sie und ihr Team verfügen über lang­jährige Erfahrung im Abbilden atomarer Prozesse mit Raster­tunnel­mikro­skopen. Wenn man eine bestimmte Region der Kristall­ober­fläche über längere Zeit immer wieder abbildet, kann man den Tanz der Atome auf der Oberfläche tatsächlich mitfilmen.

Wenn man mehr Wasser auf die Oberfläche aufbringt kann es passieren, dass zwei Tänzer aufeinander­treffen. Dann müssen die OH-Gruppen ihren Tanz­schritt ändern: „Die OH-Gruppe kann sich nur dann ungehindert im Kreis bewegen, wenn keiner der unmit­telbar benach­barten Plätze besetzt ist“, sagt Florian Mitten­dorfer, der die Rechnungen gemeinsam mit Wernfried Mayr-Schmölzer durchgeführt hat. Wenn man ein zweites Wasser­molekül daneben­setzt, hört die Bewegung auf – so als würden einander zwei Tanz­partner treffen und plötzlich eng umschlugen am selben Ort bleiben.

Abb.: Der Atomtanz auf der Kristalloberfläche (Animation: TU Wien)

Solche Paare bilden sich allerdings nur an ganz bestimmten Stellen der Ober­fläche – und das obwohl die oberste Schicht aus regel­mäßig, symme­trisch angeord­neten Sauerstoff und Strontium-Atomen besteht und somit alle Stellen gleich­wertig sein sollten. Der Grund liegt an der Struktur unmittelbar unterhalb der Oberfläche: hier verbergen sich Oktaeder aus Sauerstoff­atomen mit einem Ruthenium-Atom in der Mitte. Diese Oktaeder sind jedoch nicht alle gleich ausgerichtet, sondern ein bisschen zueinander verdreht – abwechselnd im und gegen den Uhrzeigersinn. Dadurch wird die Symmetrie der Ober­fläche gebrochen und bestimmte Stellen für die Paar­bildung bevorzugt. „Zunächst bilden sich Paare, dann entstehen ganze Ketten, die immer dichter werden, bis fast die ganze Ober­fläche bedeckt ist.“ Was als Einzel­tanz begann und zu Paarbindung führte endet bei zunehmender Konzentration von Wasser­molekülen als große, geordnete Struktur, vergleich­bar mit einer Polonaise, bei der viele Tanz­paare wohl­geordnet hintereinander aufgereiht sind.

Allerdings muss auch bei diesem Prozess an irgendeinem Punkt Schluss sein: Wenn alle Plätze besetzt sind, kann kein zusätzlicher Tänzer mehr auf der Tanz­fläche untergebracht werden. „Wenn ein Wassermolekül auf eine Stelle trifft, an der rings­herum bereits alle Plätze von dissozi­iertem Wasser besetzt sind, dann kann dieses neue Molekül nicht auch noch von der Ober­fläche disso­ziiert werden“, erklären die Forscher. Das Wasser­molekül bleibt dann ganz, es adsorbiert molekular.

War man früher auf indirekte Messungen angewiesen, kann man heute – mit dem nötigen Knowhow – das Verhalten der einzelnen Atome auf der Oberfläche direkt abbilden und beobachten. Für die moderne Material­forschung eröffnen die neuen Methoden vom Forschungsteam der TU Wien ganz neue Möglich­keiten, beispiels­weise für die Entwicklung und Verbesserung von Kataly­satoren.

TU Wien / OD

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