Ordnung in der Ursuppe
Wärmefluss in Gesteinsrissen könnte die präbiotische Molekularküche angetrieben haben.
Das Leben ist kompliziert. Was im Alltag gilt, trifft auch auf die vielen komplexen Prozesse zu, die in Zellen stattfinden. Ständig müssen Proteine synthetisiert, Zellwände gebaut und Erbgut vervielfältigt werden. Klappen kann das nur, wenn zueinander gehörende Reaktionspartner zum passenden Zeitpunkt in ausreichend hoher Konzentration zusammenkommen und dabei möglichst nicht durch andere Stoffe gestört werden. Im Verlauf der Jahrmilliarden hat die Evolution diese Mechanismen perfektioniert und dafür gesorgt, dass solche lebenswichtigen Vorgänge mit hoher Effizienz am richtigen Ort stattfinden.
Weit weniger geordnet ging es wahrscheinlich vor vier Milliarden Jahren zu, als durch präbiotische Reaktionen die Voraussetzung für die Entstehung der ersten Lebensformen geschaffen wurde. Auch für diese Reaktionen war es notwendig, dass die richtigen Stoffe zum richtigen Zeitpunkt an einem Ort zusammenfanden, damit sich komplexere Biomoleküle wie RNA oder Aminosäureketten überhaupt bilden konnten. Während solche Reaktionen im Labor dank manueller Zwischenschritte möglich sind, ist dies in einer einfachen „Ursuppe“, also einer stark verdünnten Mischung präbiotischer Bausteine, sehr schwierig. Wie aber konnte die Natur geeignete Bedingungen für die Entstehung von Leben schaffen?
Forschende um die LMU-Biophysiker Christof Mast und Dieter Braun, Koordinator im Exzellenzcluster Origins, sowie die Geowissenschaftlerin Bettina Scheu haben eine mögliche Antwort auf diese Frage gefunden. „Unsere Untersuchungen zeigen, wie einfache Wärmeflüsse für Ordnung im chemischen Chaos der Urzeit gesorgt und so die ersten präbiotischen Reaktionen angetrieben haben könnten“, erklärt Mast. Wärme entsteht bei einer Vielzahl geologischer und chemischer Prozesse, weswegen Wärmeflüsse damals vermutlich fast überall stattfanden. Fließt diese Wärme durch dünne, wassergefüllte Ritzen, wie sie beispielsweise durch das schnelle Abkühlen heißen Gesteins entstehen, führt dies zum Strömungstransport des Wassers (Konvektion) sowie zu einer Bewegung der darin gelösten Moleküle (Thermophorese) entlang des Wärmeflusses. Kombiniert sorgen beide Effekte dafür, dass sich gelöste Stoffe an bestimmten Stellen ansammeln und selektiv aufkonzentrieren.
Die Gruppe um Mast konnte nun für über sechzig verschiedene präbiotische Bausteine, wie Nukleobasen und Aminosäuren, experimentell zeigen, dass sich diese teilweise stark in ihrer Thermophorese unterscheiden und daher unterschiedlich in den Gesteinsritzen anreichern. „In einem System von miteinander verbundenen Brüchen und Rissen im Gestein verstärkt sich dieser Effekt noch und erzeugt in jedem Riss Lösungen mit anderen Zusammensetzungen präbiotischer Stoffe“, erklärt Thomas Matreux. „Obwohl die Mischung anfänglich gleichmäßig verdünnt und daher unreaktiv war, können simple Wärmeflüsse so eine erstaunliche Vielfalt an möglichen Startbedingungen für die präbiotische Chemie schaffen“, fügt Paula Aikkila hinzu.
Ganz ohne die Hilfe moderner Labortechnik oder die hochentwickelten Reaktionsmechanismen des heutigen Lebens könnte die Natur auf diese Weise in großen vernetzten Systemen eine molekulare Küche erzeugt haben, in welcher alle Zutaten des Lebens wohlsortiert zur Anwendung bereitstanden. Als Teil des Sonderforschungsbereichs „Molecular Evolution in Prebiotic Environments“ (SFB 392) wollen die Forscher nun untersuchen, wie viele „Gerichte“ des Lebens in diesem System zubereitet werden können.
LMU / DE