Orionnebel – weniger drin aber mehr dran!
Astronomen vermessen zweiten Sternenhaufen im Orionnebel und finden wesentlich mehr Masse als bisher angenommen.
Der Orionnebel ist in klaren Winternächten mit freiem Auge erkennbar. Schon vor rund 400 Jahren beschrieb ihn erstmals der französische Astronom Nicolas-Claude Fabri de Peiresc als „Nebel“. Seine Entdeckung geht also auf die frühe teleskopische Erforschung des Himmels zurück – doch erst in den letzten sechzig Jahren wurde die astrophysikalische Bedeutung dieses Himmelsobjekts erkannt.
Abb.: Räumliche Verteilung der Sterne vor dem Hintergrund des Orionnebels. Im Zentrum der elongierten blauen Linien erreicht die Sterndichte ihr Maximum. Dort liegt das Zentrum des im Text erwähnten zweiten Sternhaufens, dessen Masse deutlich nach oben korrigiert werden musste. (Bild: Alves & Bouy / EDP Sciences)
Denn er ist eine sehr produktive Geburtsstätte von Sternen in unserer Milchstraße. Bei ihm fanden die Forscher eine Vielfalt an werdenden Sternen und sternähnlichen Objekten – von massereichen Objekten, die mehrere Dutzend Sonnenmassen in sich vereinigen, bis hin zu Braunen Zwergen. Das Besondere am Orionnebel ist, dass er unter allen bekannten Sternen-Geburtsstätten der Erde am nächsten liegt. Dadurch ermöglicht er es den Astronomen, den Übergang von diffusem Gas zu wasserstoff-fusionierenden Sternen, substellaren Objekten und Planeten besser zu verstehen. Der Orionnebel wurde so zum Goldstandard für Studien über Sternentstehung. Viele Maßzahlen und klassische Sternentstehungsmodelle basieren auf ihm.
Doch jüngste Beobachtungen am spanischen Calar Alto Observatory, mit dem Canadian-French Hawaii Telescope (CFHT) und dem Sloan Digital Sky Survey (SDSS) führten nun zu einer überraschenden „Perspektiven-Korrektur“: "Es gibt noch einen zweiten massereichen Haufen aus etwas älteren Sternen, der von uns aus gesehen ‚vor‘ dem Orionnebel steht“, berichtet João Alves, Professor für Stellare Astrophysik der Universität Wien. Zwar ist dieser zweite Haufen schon seit den 1960er-Jahren bekannt, aber die CHFT-Beobachtungen zeigten erst jetzt, wie viel Masse in ihm steckt. All diese Materie ist nicht gleichförmig verteilt, sondern um den Stern Iota Orionis konzentriert, der die südliche Spitze des „Schwerts des Orion“ bildet.
Diese Erkenntnis ist in zwei Hinsichten bedeutend: Erstens zeigt sie auf, dass es sich bei dem identifizierten Sternhaufen um einen nur geringfügig älteren „Bruder“ des Trapezhaufens im Zentrum des Orion-Nebels handelt; zweitens ergibt sich jetzt, dass der Orionnebel-Haufen in Wirklichkeit eine komplizierte Mischung aus zwei Sternhaufen sowie einigen damit nicht zusammenhängenden Milchstraßen-Sternen ist.
Alves erklärt: „Für mich ist das größte Rätsel, warum der etwas ältere Iota-Orionis-Haufen so nahe an dem jüngeren Haufen liegt, der sich im Inneren des Orionnebels noch bildet“. Es ist noch völlig offen, wie diese neuen Beobachtungsbefunde mit gängigen Modellen der Sternhaufen-Entstehung zu vereinbaren sein werden. „Wir scheinen etwas Fundamentales noch nicht verstanden zu haben. Die Bildung von Sternhaufen ist wahrscheinlich der dominante Weg zur Sternentstehung im Universum, aber wir sind weit entfernt davon, genau zu wissen, warum.“
Sein Kollege Hervé Bouy vom Centro de Astrobiologia in Madrid ergänzt: „Wir müssen unsere Vorstellungen von den Beobachtungsgrößen revidieren, die wir bisher für die zuverlässigsten Indikatoren der Stern- und Sternhaufen-Entstehung hielten“. Bouy weist auf die Notwendigkeit weiterer Beobachtungen hin, um die beiden vermischten Sternpopulationen – Stern für Stern – auseinanderhalten zu können. „Denn nur dadurch können wir die Stern- und auch die Planetenentstehung in der Region des Orionnebels verstehen.“
U. Wien / OD