04.02.2022

Ozeanwirbel sollen Meereis-Paradoxon erklären

Basis für bessere Prognosen zur künftigen Entwicklung in der Antarktis.

Trotz der globalen Erwärmung und des Meereis­verlustes in der Arktis ist die antarktische Meereis­ausdehnung seit 1979 im Durchschnitt konstant geblieben. Derzeitige Klimamodell-Simulationen zeigen im Gegensatz zu den tatsächlichen Beo­bachtungen jedoch für denselben Zeitraum eine starke Meereis­abnahme. Wie Forschende des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven nun zeigen, könnte der Ozean die Erwärmung rund um die Antarktis dämpfen und den Rückgang der Eisbedeckung verzögern. Weil dieser Faktor und die Rolle der Ozean­wirbel in vielen Modellen noch nicht ausreichend wiedergegeben werden können, liefern die AWI-Forscher nun eine Basis für bessere Simu­lationen und Prognosen zur künftigen Entwicklung in der Antarktis.

Abb.: Eine neue Studie legt die Basis für bessere Simulationen und Prognosen...
Abb.: Eine neue Studie legt die Basis für bessere Simulationen und Prognosen zur künftigen Entwicklung in der Antarktis. (Bild: AWI)

Noch vor 2050 – so zeigen aktuelle Modell­rechnungen – könnte die Arktis im Sommer komplett eisfrei sein, in vereinzelten Jahren möglicherweise bereits vor 2030. Auf der anderen Seite der Erde in der Antarktis scheint sich die Eisbedeckung dagegen einem klaren Trend zu entziehen. Seit 2010 gibt es zwar mehr zwischen­jährliche Schwankungen als in der Periode zuvor. Bis auf einen erheblichen negativen Ausschlag in den Jahren 2016 bis 2019 ist die langjährige mittlere Meereis­bedeckung rund um den antarktischen Kontinent seit 1979 aber stabil geblieben. Damit steht die messbare Realität den meisten Simulationen der Wissenschaft entgegen, die für den gleichen Zeitraum eine deutliche Abnahme der Meereis­fläche zeigen. „Dieses antarktische Meereis-Paradoxon beschäftigt die wissen­schaftliche Gemeinde schon länger“, sagt Thomas Rackow vom Alfred-Wegener-Institut.

„Die gängigen Modelle können das Verhalten des antarktischen Meereises noch nicht korrekt abbilden, etwas Entscheidendes scheint zu fehlen. Deshalb geht auch das Inter­governmental Panel on Climate Change IPCC derzeit davon aus, dass das Vertrauens­niveau der Modell-Prognosen zur weiteren Entwicklung des antarktischen Meereises gering ist“, sagt Rackow. Zum Vergleich: In der Arktis sind die Modelle bereits so gut, dass der IPCC den Prognosen ein hohes Vertrauens­niveau beimisst. Der neue Ansatzpunkt könnte nun die Zukunftsprojektionen in der Antarktis deutlich verlässlicher machen. Im Rahmen der Studie setzte das Team das AWI Climate Model (AWI-CM) ein. Im Gegensatz zu anderen bekannten Klimamodellen ist es mit dem AWI-CM möglich, bestimmte Schlüssel­regionen wie das Südpolarmeer wesentlich detaillierter zu simulieren. Auf diese Weise lassen sich auch Vermischungs­prozesse berück­sichtigen, die im Meerwasser durch kleinere Ozeanwirbel mit Durchmessern von zehn bis zwanzig Kilometern, die Eddies, verursacht werden.

„Bei unseren Modell­läufen haben wir verschiedenste Konfi­gurationen angewandt. Dabei stellte sich heraus, dass nur Simu­lationen mit einem hoch aufgelösten südlichen Ozean rund um die Antarktis zu einem ähnlich verzögerten Meereis-Schwund führen, wie wir ihn in der Realität beobachten“, sagt Rackow. „Wenn wir das Modell dann weiter in die Zukunft rechnen lassen, bleibt die antark­tische Meereisbedeckung selbst bei einem sehr ungünstigen Treibhaus­gasszenario noch bis zur Mitte des Jahrhunderts weitgehend stabil. Danach jedoch zieht sich das Eis dann ähnlich rasant zurück, wie es in der Arktis schon seit Jahrzehnten der Fall ist.“ Die Studie liefert damit auch eine mögliche Erklärung für das ungewöhnliche Verhalten des antark­tischen Meereises entgegen dem globalen Erwärmungs­trend.

„Die paradoxe Stabilität der Meereis­bedeckung kann verschiedene Gründe haben. Diskutiert wird etwa die Theorie, dass zusätzliches Schmelzwasser aus der Antarktis die Wassersäule und damit auch das Eis stabilisiert, indem das kühle Oberflächen­wasser vom wärmeren Tiefenwasser abgeschirmt wird. Eine andere Theorie verdächtigt die in Folge des Klimawandels verstärkten Westwinde rund um die Antarktis. Diese könnten letztlich dazu führen, dass das Eis wie ein Pizzateig dünn ausgerollt und auf eine größere Fläche verteilt wird. Das Eisvolumen könnte dabei schon heute abnehmen und nur die bedeckte Fläche scheinbar konstant bleiben“, erklärt Rackow.

Die Forschungs­arbeit rückt nun die Ozeanwirbel in den Fokus. Denn diese könnten entscheidend dazu beitragen, die Folgen des Klimawandels im südlichen Ozean zu dämpfen und damit zu verzögern, indem der Ozean zusätzliche Wärme aus der Atmosphäre nach Norden in Richtung Äquator transportiert. Der nordwärtige Wärme­transport hängt eng mit der zugrunde­liegenden Umwälz­zirkulation in den oberen etwa eintausend Meter des Ozeans zusammen, die im südlichen Ozean einerseits vom Wind angetrieben, aber auch durch Wirbel beeinflusst wird. Während der nach Norden gerichtete Anteil der Zirkulation durch die verstärkten Westwinde zunimmt, scheinen dies die vereinfacht darge­stellten Wirbel in grob-aufgelösten Klima­modellen oft mit einem Beitrag Richtung Antarktis überzu­kompensieren.

Die explizit simulierten Wirbel im hochauf­gelösten Modell verhalten sich eher neutral. In der Summe wurde also eine größere nordwärts gerichtete Änderung des Wärme­transports im hochauf­gelösten Modell beobachtet. Auf diese Weise erwärmt sich das Meer rund um die Antarktis insgesamt langsamer und die Eisbedeckung bleibt länger konstant. „Unsere Studie unterstützt damit die Hypothese, dass Klima­modelle und Vorhersagen zum antarktischen Meereis deutlich zuverlässiger werden, wenn diese einen hoch aufgelösten Ozean mit Meeres­wirbeln realistisch simulieren können“, sagt Rackow. „Dank immer schnellerer paralleler Super­rechner und neuer effizienter Modelle sollte dies mit Klimamodellen der nächsten Generation routine­mäßig möglich sein.“ 

AWI / JOL

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