Ozeanwirbel sollen Meereis-Paradoxon erklären
Basis für bessere Prognosen zur künftigen Entwicklung in der Antarktis.
Trotz der globalen Erwärmung und des Meereisverlustes in der Arktis ist die antarktische Meereisausdehnung seit 1979 im Durchschnitt konstant geblieben. Derzeitige Klimamodell-Simulationen zeigen im Gegensatz zu den tatsächlichen Beobachtungen jedoch für denselben Zeitraum eine starke Meereisabnahme. Wie Forschende des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven nun zeigen, könnte der Ozean die Erwärmung rund um die Antarktis dämpfen und den Rückgang der Eisbedeckung verzögern. Weil dieser Faktor und die Rolle der Ozeanwirbel in vielen Modellen noch nicht ausreichend wiedergegeben werden können, liefern die AWI-Forscher nun eine Basis für bessere Simulationen und Prognosen zur künftigen Entwicklung in der Antarktis.
Noch vor 2050 – so zeigen aktuelle Modellrechnungen – könnte die Arktis im Sommer komplett eisfrei sein, in vereinzelten Jahren möglicherweise bereits vor 2030. Auf der anderen Seite der Erde in der Antarktis scheint sich die Eisbedeckung dagegen einem klaren Trend zu entziehen. Seit 2010 gibt es zwar mehr zwischenjährliche Schwankungen als in der Periode zuvor. Bis auf einen erheblichen negativen Ausschlag in den Jahren 2016 bis 2019 ist die langjährige mittlere Meereisbedeckung rund um den antarktischen Kontinent seit 1979 aber stabil geblieben. Damit steht die messbare Realität den meisten Simulationen der Wissenschaft entgegen, die für den gleichen Zeitraum eine deutliche Abnahme der Meereisfläche zeigen. „Dieses antarktische Meereis-Paradoxon beschäftigt die wissenschaftliche Gemeinde schon länger“, sagt Thomas Rackow vom Alfred-Wegener-Institut.
„Die gängigen Modelle können das Verhalten des antarktischen Meereises noch nicht korrekt abbilden, etwas Entscheidendes scheint zu fehlen. Deshalb geht auch das Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC derzeit davon aus, dass das Vertrauensniveau der Modell-Prognosen zur weiteren Entwicklung des antarktischen Meereises gering ist“, sagt Rackow. Zum Vergleich: In der Arktis sind die Modelle bereits so gut, dass der IPCC den Prognosen ein hohes Vertrauensniveau beimisst. Der neue Ansatzpunkt könnte nun die Zukunftsprojektionen in der Antarktis deutlich verlässlicher machen. Im Rahmen der Studie setzte das Team das AWI Climate Model (AWI-CM) ein. Im Gegensatz zu anderen bekannten Klimamodellen ist es mit dem AWI-CM möglich, bestimmte Schlüsselregionen wie das Südpolarmeer wesentlich detaillierter zu simulieren. Auf diese Weise lassen sich auch Vermischungsprozesse berücksichtigen, die im Meerwasser durch kleinere Ozeanwirbel mit Durchmessern von zehn bis zwanzig Kilometern, die Eddies, verursacht werden.
„Bei unseren Modellläufen haben wir verschiedenste Konfigurationen angewandt. Dabei stellte sich heraus, dass nur Simulationen mit einem hoch aufgelösten südlichen Ozean rund um die Antarktis zu einem ähnlich verzögerten Meereis-Schwund führen, wie wir ihn in der Realität beobachten“, sagt Rackow. „Wenn wir das Modell dann weiter in die Zukunft rechnen lassen, bleibt die antarktische Meereisbedeckung selbst bei einem sehr ungünstigen Treibhausgasszenario noch bis zur Mitte des Jahrhunderts weitgehend stabil. Danach jedoch zieht sich das Eis dann ähnlich rasant zurück, wie es in der Arktis schon seit Jahrzehnten der Fall ist.“ Die Studie liefert damit auch eine mögliche Erklärung für das ungewöhnliche Verhalten des antarktischen Meereises entgegen dem globalen Erwärmungstrend.
„Die paradoxe Stabilität der Meereisbedeckung kann verschiedene Gründe haben. Diskutiert wird etwa die Theorie, dass zusätzliches Schmelzwasser aus der Antarktis die Wassersäule und damit auch das Eis stabilisiert, indem das kühle Oberflächenwasser vom wärmeren Tiefenwasser abgeschirmt wird. Eine andere Theorie verdächtigt die in Folge des Klimawandels verstärkten Westwinde rund um die Antarktis. Diese könnten letztlich dazu führen, dass das Eis wie ein Pizzateig dünn ausgerollt und auf eine größere Fläche verteilt wird. Das Eisvolumen könnte dabei schon heute abnehmen und nur die bedeckte Fläche scheinbar konstant bleiben“, erklärt Rackow.
Die Forschungsarbeit rückt nun die Ozeanwirbel in den Fokus. Denn diese könnten entscheidend dazu beitragen, die Folgen des Klimawandels im südlichen Ozean zu dämpfen und damit zu verzögern, indem der Ozean zusätzliche Wärme aus der Atmosphäre nach Norden in Richtung Äquator transportiert. Der nordwärtige Wärmetransport hängt eng mit der zugrundeliegenden Umwälzzirkulation in den oberen etwa eintausend Meter des Ozeans zusammen, die im südlichen Ozean einerseits vom Wind angetrieben, aber auch durch Wirbel beeinflusst wird. Während der nach Norden gerichtete Anteil der Zirkulation durch die verstärkten Westwinde zunimmt, scheinen dies die vereinfacht dargestellten Wirbel in grob-aufgelösten Klimamodellen oft mit einem Beitrag Richtung Antarktis überzukompensieren.
Die explizit simulierten Wirbel im hochaufgelösten Modell verhalten sich eher neutral. In der Summe wurde also eine größere nordwärts gerichtete Änderung des Wärmetransports im hochaufgelösten Modell beobachtet. Auf diese Weise erwärmt sich das Meer rund um die Antarktis insgesamt langsamer und die Eisbedeckung bleibt länger konstant. „Unsere Studie unterstützt damit die Hypothese, dass Klimamodelle und Vorhersagen zum antarktischen Meereis deutlich zuverlässiger werden, wenn diese einen hoch aufgelösten Ozean mit Meereswirbeln realistisch simulieren können“, sagt Rackow. „Dank immer schnellerer paralleler Superrechner und neuer effizienter Modelle sollte dies mit Klimamodellen der nächsten Generation routinemäßig möglich sein.“
AWI / JOL