27.10.2020

Pascal-Dreiecke aus Protein-Molekülen

Kryo-Elektronenmikroskopie profitiert von nanostrukturierten Materialien.

Sollen kleinste Strukturen sichtbar gemacht werden, setzen Forscher oft auf Elektronen­mikroskope. „Bei diesen wird die Probe im Vakuum mit einem Elektronen­strahl abgetastet“, erklärt Zdravko Kochovski. Der Bio­informatiker und Physiker leitet das Kryo-Elektronen­mikroskopie-Labor in der Abteilung für elektrochemische Energie­speicherung am Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB). Eine Herausforderung ist: die Probe darf kein Wasser enthalten; muss vorher also präpariert werden. Das ist vor allem bei biologischen Proben aufwändig. Denn wird das Wasser innerhalb der Zelle ersetzt, kann diese dadurch verändert werden. Im ungünstigsten Fall führt das zu Fehl­interpretationen der Mess­ergebnisse – zum Beispiel durch Artefakte.
 

Abb.: Kryo-Elektronen­mikroskopie des 2D-Gitters sowie Beugungs­muster (Bild:...
Abb.: Kryo-Elektronen­mikroskopie des 2D-Gitters sowie Beugungs­muster (Bild: Angew. Chem. / Wiley-VCH)

Forscher wie Zdravko Kochovski gehen deshalb einen anderen Weg und setzen auf extreme Kälte. Ihre Kryo-Elektronen­mikroskope arbeiten bei Temperaturen um 150 Grad Celsius unter null. Der Vorteil: Den biologischen Proben das Wasser zu entziehen, ist nicht nötig. Stattdessen werden sie „schockgefrostet“. Eiskristalle, die der Zelle schaden könnten, entstehen dabei nicht. Denn dazu hat das Wasser schlicht weg keine Zeit. Vitrifizieren nennen die Experten diesen Vorgang, bei dem ihre Probe in einem amorphen Zustand erstarrt. „Ganz gewöhnliches Fensterglas ist wohl der bekannteste Vertreter solcher Materialien“, veranschaulicht der Forscher. „Doch auch Metalle, Halbmetalle oder organische Verbindungen lassen sich in den amorphen Zustand überführen.“ Um empfindliche Strukturen aus Proteinen sichtbar zu machen, ist das der beste Weg.

Eine solche vitrifizierte Probe haben Guosong Chen und ihr Team von The State Key Laboratory of Molecular Engineering of Polymers der Fudan University in Shanghai hergestellt. Der Professorin für Chemie ist es zum allerersten Mal gelungen, Protein­moleküle so miteinander zu verbinden, dass sie eine zweidimensionale, also nur eine Moleküllage dicke Struktur in Form eines speziellen Musters bilden: dem Pascal-Dreieckgitter. Zusammen mit Kochovski, weiteren Forschern sowie Yan Lu, Professorin für Chemie und Leiterin der Abteilung für elektrochemische Energie­speicherung am HZB, hat sie diese Arbeit publiziert.

Für ihre Forschung setzt Guosong Chen auf einen Prozess, der als Selbstassemblierung bekannt ist. „Proteine fügen sich ganz von selbst zu den unterschiedlichsten Strukturen zusammen“, erklärt Kochovski. Dabei entstehen vorzugsweise selbstähnliche Gebilde. Das heißt, das Kleine findet sich im Großen wieder; die Elemente, aus denen sich eine solche Struktur zusammensetzt, ähneln in ihrer Form der eigentlichen Struktur. Wie eben der des Pascal-Dreiecks. Das ist ein dreieckiges Muster, das wiederum aus kleinen Dreiecken besteht, in diesem Fall aus drei im gleichen Winkel miteinander verbundenen Protein­molekülen. Allerdings sind Pascal-Dreiecke derart komplex, dass sie vor Guosong Chen noch niemals im Labor hergestellt wurden.

Die Natur hingegen nutzt diese Bauweise häufig: als Kapsid zum Beispiel, um das Erbgut von Viren zu verpacken; als Mikrotubulus, um Zellen eine stabile Form zu geben oder als Pilus, mit dem sich Bakterien an andere Zellen heften oder Biofilme bilden können. Die Strukturen und ihre Entstehung zu kennen, erweitert das Verständnis für die Gestaltungsprinzipien der Natur. Das dient aber nicht nur dazu, wissenschaftliche Neugier zu befriedigen. Es eröffnet gleich mehrere Anwendungs­möglichkeiten. „Denn mit dem nötigen Knowhow lassen sich Proteinkomplexe im Labor zusammenfügen und dabei eindimensionale Nanodrähte, zweidimensionale Nanoblätter oder dreidimensionale Schicht­strukturen maßschneidern“, erzählt Kochovski. „Diese Biosynthese birgt großes Potenzial. Denn die nanostrukturierten Materialien sind nicht nur biofunktional und biokompatibel. Wir setzen auch hohe Erwartungen in ihre Eigenschaften.“

Mit Strukturen aus Nanodrähten oder Nanoröhren könnte beispielsweise die Elektronik neue Wege gehen. Baugruppen, die auf Enzymen basieren, könnten als Katalysatoren für verschiedenste Reaktionen dienen. Oder als Transportbehältnis könnten Protein­komplexe zukünftig Wirkstoffe gezielt zum Krankheitsherd im Körper schleusen. Und von natürlichen Virus­strukturen könnten sich die Forscher zu synthetischen Impfstoffen inspirieren lassen.

Bisher konzentrierte sich Kochovski auf organische Moleküle. „Mit dieser Methode lassen sich nicht nur Biopolymere, sondern auch Viren untersuchen“, erzählt der Wissenschaftler. „Kollegen von der University of Texas haben so zum Beispiel als erste die Struktur des SARS-CoV-2 Virus entschlüsselt.“ Doch damit ist die eisige Untersuchungs­methode noch lange nicht ausgereizt. „Wir haben unseren Forschungsbereich gerade erweitert und untersuchen nun auch anorganische Energie­materialien mit der Kryo-EM“, berichtet Kochovski. „Wir sind sicher, dass darin ein extrem hohes Potenzial liegt, diese Stoffe in ihrem nativen Zustand zu erforschen und damit letztendlich die regenerative Energie­erzeugung effizienter zu machen.“

HZB / DE

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