Paul Drude zum 150. Geburtstag
Der Wegbereiter für die Physik des 20. Jahrhunderts erweiterte Maxwells Gleichungen für optische Erscheinungen.
„Betrachtet man sein wissenschaftliches Lebenswerk, so kann man sagen, daß sich in ihm die Geschichte der physikalischen Optik seiner Zeit widerspiegelt“, urteilte Max Planck in seinem Nachruf auf Paul Drude. Der Physiker hatte eine steile Karriere hinter sich, als er nur 42-jährig seinem Leben ein Ende setzte. Wenige Monate zuvor hatte er seine Stelle als Direktor des Physikalischen Instituts an der Universität Berlin angetreten, in den Fußstapfen von Hermann Helmholtz, August Kundt und Emil Warburg. In seiner eine Woche zuvor gehaltenen Antrittsrede anlässlich der Aufnahme in die Berliner Akademie der Wissenschaften hatte er noch über seine weitreichenden Zukunftspläne gesprochen, aber auch über das Gefühl der Beklemmung, die hohen Erwartungen mit angespannten Kräften nicht erfüllen zu können. Er hinterließ eine Frau und vier Kinder.
Der am 12. Juli 1863 geborene Sohn eines Braunschweiger Arztes ist heutigen Physikern vor allem wegen seiner Elektronentheorie der Metalle in Erinnerung geblieben. Die Fachwelt machte Drude jedoch erstmals 1894 auf sich aufmerksam mit der Publikation seines Buchs über die „Physik des Äthers auf elektromagnetischer Grundlage“. Es erschien zu einer Zeit des Übergangs von der Theorie eines schwingenden mechanisch-elastischen Lichtäthers zur modernen Feldtheorie. Eine Wende hatten die 1888 von Heinrich Hertz publizierten Versuche eingeleitet. Nachdem er gezeigt hatte, dass hochfrequente elektromagnetische Schwingungen sich wellenförmig und mit Lichtgeschwindigkeit im Raum ausbreiten, lag es nahe, das Licht ebenfalls als eine solche Schwingung aufzufassen.
Paul Drude mit seiner Familie während seiner Zeit in Gießen.
In seinem Buch verglich Drude die Äthertheorie, die auf Fernwirkungen basierte, mit der neuen elektromagnetischen Theorie James Clerk Maxwells, die sich aus der Nahwirkung zwischen Teilchen ergab. Er stellte fest, dass beide Theorien zu denselben Differentialgleichungen führten, viele Fragestellungen aber mit der elektromagnetischen Theorie leichter zu beantworten waren. Drudes Buch habe das „Eindringen der neuen Theorie in unsere Hochschulen“ bewirkt, urteilte 1906 sein Gießener Kollege Walter König. Erst ein Jahr nach Drudes Buch erschien der „Versuch einer Theorie der elektrischen und optischen Erscheinungen“ von Hendrik Antoon Lorentz, dem heute das Verdienst zugeschrieben wird, die Optik in die Elektrodynamik integriert zu haben. Albert Einstein bezog sich bei der Entwicklung der speziellen Relativitätstheorie aber auf die Vorarbeiten beider Physiker.
Drude war es insbesondere ein Anliegen, die Maxwellschen Gleichungen zu erweitern, um auch magnetooptische Erscheinungen zu erklären. So war damals schon bekannt, dass linear polarisiertes Licht bei der Reflexion an ferroelektrischen Metallen eine Drehung der Polarisationsebene erfährt (Kerr-Effekt). Drude führte zusätzliche Terme in der Dielektrizitätskonstanten ein, aus denen sich die experimentellen Daten ableiten ließen. Allerdings gab er die theoretische Erklärung dafür erst in seinem 1900 erschienen Lehrbuch der Optik an. Dieses war über Drudes Tod hinaus für zwei Jahrzehnte ein Standardwerk für Lehrende. Werner Heisenberg, der mit Drudes Sohn Burkhard befreundet war, verwendete es noch für sein Kolleg im Wintersemester 1929/30.
Während seiner Zeit als außerordentlicher Professor der technischen Physik in Leipzig (1894 bis 1900) machte Drude umfangreiche Experimente zur Dispersion elektromagnetischer Wellen in Lösungen. Er wollte wissen, ob deren Brechungsindex, ebenso wie beim Licht, von der Wellenlänge abhängt. Dabei fand er einen Zusammenhang zwischen der Absorption elektromagnetischer Strahlung und der elektrischen Leitfähigkeit der Lösung. In der ersten Auflage seines Lehrbuchs der Optik, die 1900 erschien, verknüpfte er die Dispersion noch mit der damals gängigen Theorie der Bewegung von Ionen oder Molekülgruppen. Einen Schritt weiter ging er bei der Erklärung der Dispersion in Metallen. In seiner ebenfalls 1900 publizierten Elektronentheorie der Metalle führte er die Dispersion auf die Hypothese des Elektrons als eines vielleicht masselosen Teilchens für den Ladungstransport zurück. (Das Elektron war erst drei Jahre zuvor als elementares, subatomares Teilchen identifiziert worden).
Mithilfe seiner Elektronentheorie der Metalle gelang Drude die theoretische Ableitung des Wiedemann-Franzschen Gesetzes, die Max Planck als die größte Leistung seines Kollegen bewertete. Das 1853 von Gustav Heinrich Wiedemann und Rudolph Franz empirisch gefundene Gesetz zeigt, dass die Ladungsträger in Metallen auch Wärmeenergie transportieren: Der Quotient der thermischen und elektrischen Leitfähigkeit ist in weiten Bereich proportional zur Temperatur. Drude führte den Proportionalitätsfaktor, die sogenannte Lorenz-Zahl, auf die Elektronenladung und die Boltzmann-Konstante zurück. Diese Formel, die noch von den experimentellen Daten abwich, erweiterte Arnold Sommerfeld 1933 zur Drude-Sommerfeld-Theorie.
In den folgenden Jahren ließ Drude die Ionen-Hypothese für die Dispersion in Festkörpern gänzlich zugunsten der Elektronen-Hypothese fallen und betonte in der zweiten Auflage seines Optik-Lehrbuch, die im Jahr seines Todes erschien, „daß aus gewissen optischen Erscheinungen dieselben universellen charakteristischen Konstanten abgeleitet werden können, die auch bei Kathodenstrahlen und überhaupt freien Elektronen auftreten“.
Seine glücklichsten Jahre verbrachte Paul Drude als Ordinarius für Physik an der Universität Gießen (1900 bis 1905). Er baute das dortige Institut für Experimentalphysik auf und engagierte sich besonders in der Lehre. Für seine Spezialgebiete, die Optik und Elektrizitätslehre, richtete er moderne Praktika ein. Seine wissenschaftliche Arbeit setzte er mit einem wachsenden Stab an Mitarbeitern fort, die teilweise aus dem Ausland kamen. Gleichzeitig redigierte er ab 1900 die Annalen der Physik.
Den Ruf nach Berlin nahm er aus Pflichtgefühl an. „[…] was für einen anderen vielleicht die Erfüllung ehrgeiziger Wünsche gewesen wäre, die Berufung auf den ersten und größten Lehrstuhl im Deutschen Reiche, das war – wir wissen es alle, für unseren Drude nur eine mit schweren Bedenken und innerem Widerstreben übernommene Pflicht, die ihn nach seiner Empfindung von den freien Höhen seines Gießener Daseins hinunterführte – hinunter in die dicke Luft großstädtischen Getriebes“, urteilte sein Gießener Kollege König anlässlich des Kolloquiums zu Drudes Gedächtnis. Hätte Drude länger gelebt, wäre ihm vielleicht in der Physikgeschichte sein Platz neben Lorentz zugestanden worden.
Anne Hardy