Phasenwechsel am absoluten Nullpunkt
Neue Methode soll das Verhalten quantenkritischer Materalien besser beschreiben.
Normalerweise muss sich die Temperatur ändern, damit man einen Phasenübergang beobachten kann: Es wird kalt, und eine Flüssigkeit gefriert; ein Metall wird heiß und verliert seine magnetischen Eigenschaften. Doch es gibt auch Phasenübergänge, bei denen sich die Temperatur nicht ändern kann, weil sie direkt am absoluten Temperatur-Nullpunkt stattfinden. Man spricht dann von quantenkritischen Punkten. Sie werden seit Jahren intensiv erforscht, halten aber noch immer große Rätsel der Quantenphysik bereit.
Abb.: Quantenkritische Effekte zeigen sich bei Phasenübergängen am absoluten Nullpunkt. (Bild: TU Wien)
So gibt es etwa bis heute kein umfassendes theoretisches Modell für die Hochtemperatur-Supraleitung, die vermutlich mit den quantenkritischen Punkten eng zusammenhängt. Dabei könnte ein solches Modell viele nützliche technische Anwendungen hervorbringen. Thomas Schäfer, Karsten Held und Alessandro Toschi vom Institut für Festkörperphysik der TU Wien arbeiten an einem besseren Verständnis dieser Phänomene. „Normalerweise sind thermische Fluktuationen für Phasenübergänge verantwortlich“, erklärt Schäfer. „Auf ganz zufällige Weise beginnen zum Beispiel einzelne Teilchen zu wackeln oder sich zu drehen. Je höher die Temperatur, umso ausgeprägter werden diese Fluktuationen, und das kann zu einem Phasenübergang führen – zum Beispiel zum Schmelzen eines Festkörpers.“
Verringert man die Temperatur, dann gehen die Bewegungen der Teilchen immer mehr zurück, bis sie sich am absoluten Nullpunkt eigentlich gar nicht mehr bewegen sollten. Somit, so könnte man annehmen, müsste am absoluten Temperatur-Nullpunkt vollkommene Ruhe eingekehrt sein, bei der sich nichts mehr verändern kann. Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. „Die Quantenphysik verbietet, dass sich ein Teilchen völlig ruhig an einem ganz bestimmten Ort aufhält“, sagt Toschi. „Die Unschärferelation von Heisenberg sagt uns, dass Ort und Impuls nicht völlig exakt bestimmt sein können. Daher können sich Ort und Impuls des Teilchens auch am absoluten Nullpunkt ändern, auch wenn die klassischen thermischen Fluktuationen verschwunden sind. Man spricht dann von Quantenfluktuationen.“ Wenn es also zu kalt ist, um klassische Wackelbewegungen zu erlauben, sorgt immer noch die Quantenphysik dafür, dass physikalisch interessante Dinge geschehen können. Und genau deshalb sind Phasenübergänge beim Temperatur-Nullpunkt so interessant.
„Entscheidend für das Verhalten der Teilchen ist, wie ihr Impuls mit der Energie zusammenhängt“, sagt Schäfer. Bei einer Kugel, die durch die Luft geworfen wird, ist der Zusammenhang einfach: Je höher der Impuls, umso höher die Bewegungsenergie. Die Energie steigt mit dem Quadrat des Impulses. Bei Teilchen in einem Festkörper ist dieser Zusammenhang aber viel komplizierter. Je nach Richtung, in die sich das Teilchen bewegt, kann er ganz unterschiedlich aussehen. Man stellt diesen Zusammenhang daher mit Fermi-Flächen dar, die komplizierte dreidimensionale Formen annehmen können.
„Bisher dachte man, dass die Form dieser Fermi-Flächen bei Quantenphasenübergängen keine wichtige Rolle spielt“, sagt Held. „Wir konnten nun zeigen, dass das nicht so ist. Erst wenn man die Form berücksichtigt, kann man bestimmte physikalische Effekte korrekt berechnen – zum Beispiel die Art, wie sich magnetische Eigenschaften eines Materials verändern, wenn man sich dem absoluten Nullpunkt nähert.“ Mit diesem neuen Werkzeug hoffen die Forscher nun, quantenkritische Materialien besser beschreiben zu können. Und vielleicht lassen sich so einige der großen Geheimnisse lüften, an denen in der Materialwissenschaft seit Jahren so intensiv geforscht wird.
TU Wien / JOL