Piezoelektrikum mit Durchblick
Transparenter ferroelektrischer Kristall zeigt überraschend starke Piezoelektrizität.
Piezoelektrische Materialien bilden die Grundlage einer Vielfalt von Sensoren und Aktuatoren. Allerdings haben sie mit einer wichtigen Beschränkung zu kämpfen: Die leistungsfähigsten Piezoelektrika sind nicht transparent oder streuen Licht sehr stark, während die lichtdurchlässigen Piezoelektrika keine allzu guten Kennzahlen aufweisen. Das schränkt die Anwendbarkeit in optoelektromechanischen Geräten letztlich stark ein. Schon lange versuchen deshalb Festkörperphysiker und Materialforscher, neuartige Piezoelektrika zu entwickeln, die diese Beschränkungen umgehen.
Das wäre für eine ganze Reihe möglicher Anwendungen interessant. So verspricht man sich von solchen Materialien nicht nur neuartige Touchscreens und ähnliche Anwendungen für den Elektronikmarkt, sondern sie könnten sich auch für piezoelektrische Lichtleiter oder in photoakustischen Abbildungsverfahren einsetzen lassen. Ein Forscherteam aus China, den USA und Australien um Fei Li von der Universität Xi‘an Jiaotong hat nun eine sehr interessante Methode vorgestellt, mit der sich transparente Hochleistungspiezoelektrika erzeugen lassen. Verblüffender Weise nutzten sie dazu ein Verfahren, das sich von bislang genutzten diametral unterscheidet.
Die meisten leistungsstarken Piezoelektrika sind Ferroelektrika. Diese Substanzen weisen spontan elektrisch polarisierte Bereiche auf, die an Domänengrenzen aneinanderstoßen. Um aus diesem Material ein Piezoelektrikum zu erzeugen, müssen zunächst die ungünstig ausgerichteten Domänen in eine andere Orientierung gebracht werden, so dass der Gesamtkristall eine makroskopische Polarisierung aufweist. Bei dieser Umpolung können die Domänen abhängig vom Kristallgitter bestimmte Winkel zueinander einnehmen.
Nun besteht das Hauptproblem bei der mangelhaften Lichtdurchlässigkeit von ferroelektrischen Piezoelektrika darin, dass Lichtstrahlen beim Durchgang durch das Material an Domänengrenzen gestreut werden können, wobei die Streurate nicht zuletzt von den Winkeln zwischen den Domänen abhängt. Über Jahrzehnte haben Forscher versucht, die Lichtstreuung durch Verkleinern der Domänen zu verringern. Die Idee dahinter besteht darin, möglichst kleine Domänen weit unterhalb der Wellenlänge von sichtbarem Licht zu erzeugen, so dass diese nur wenige bis wenige Dutzend Nanometer großen Bereiche für die Photonen möglichst durchlässig werden. Jedoch hat diese Herangehensweise den Nachteil, dass die verbleibende Polarisierung sich deutlich verringert, so dass auch der piezoelektrische Koeffizient deutlich absinkt. Auf diese Weise lassen sich deshalb trotz jahrelanger Optimierungsversuche keine Hochleistungspiezoelektrika fabrizieren.
Das Forscherteam um Fei Li hat deshalb einen neuen Weg gewählt. Der Trick bestand darin, die Domänen nicht zu verkleinern, sondern auf möglichst geschickte Weise zu größeren verschmelzen zu lassen. Damit verfolgten die Wissenschaftler zwei Zwecke. Erstens wollten sie die Gesamtzahl an möglichen Domänengrenzen, an denen Streuung auftritt, verringern. Und zweitens wollten sie nach Möglichkeit solche Domänengrenzen erzeugen, deren Winkel eine möglichst geringe Streurate aufweist.
Allerdings lässt sich das über die herkömmliche Polung von ferroelektrischen Kristallen durch Gleichstrom nicht bewerkstelligen. Die Forscher entwickelten deshalb anhand zahlreicher Computersimulationen ein spezielles Wechselstrom-Polungsschema, das sie anschließend auch praktisch in die Tat umsetzen konnten. Solche Wechselstrom-Polungsschemata werden erst seit einigen Jahren genauer erforscht. Als Material wählten die Wissenschaftler Bleimagnesiumniobat-Bleititanat, kurz PMT-PT, ein Hochleistungspiezoelektrikum, das einen piezoelektrischen Koeffizienten von mehr als 1500 Pikocoulomb pro Newton aufweist. Das ist etwa zehnfach höher als die meisten anderen Ferroelektrika und macht dieses Material besonders interessant für mögliche optoelektromechanische Anwendungen.
Das rhomboedrische PMT-PT kann mehrere verschiedene Arten ferroelektrischer Domänen ausbilden, wobei die Winkel zueinander 71 Grad, 109 Grad oder 180 Grad betragen können. Während die Domänengrenzen, deren Winkel mit 109 Grad zueinandersteht, kaum für Lichtstreuung verantwortlich sind, sorgen diejenigen mit 71 Grad für eine so starke Streuung, dass das Material weitgehend intransparent ist.
Den Wechselstrom-Polungsprozess führten die Forscher mit Dreieckswellen einer Amplitude von bis zu fünf Kilovolt pro Zentimeter und Frequenzen von 0,1 bis 100 Hertz durch. Dadurch gelang es, die 71-Grad-Domänengrenzen so gut aus dem Material zu entfernen, dass fast nur noch Grenzen mit 109 Grad vorhanden waren. Das konnten die Forscher mit Hilfe verschiedener Untersuchungen wie Röntgenstreuung, Polarisationsmessungen und doppelbrechenden spektroskopischen Methoden nachweisen.
Wie gewünscht zeigte der fertige Kristall nicht nur den erwarteten hohen piezoelektrischen Koeffizienten, sondern war auch hochgradig lichtdurchlässig. Wenn diese Methode auch bei anderen Materialien ähnlich gut funktioniert – für allem bei solchen, die noch höhere Temperaturen vertragen als PMT-PT –, dann könnte sich damit ein Weg zu ganz neuen optoelektromechanischen Anwendungen öffnen.
Dirk Eidemüller
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung:
C. Qiu et al.: Transparent ferroelectric crystals with ultrahigh piezoelectricity, Nature 577, 350 (2020); DOI: 10.1038/s41586-019-1891-y - School of Electronic and Information Engineering, Xi’an Jiaotong University, China
RK