Planetarische Nebel in entfernten Galaxien
Neue Methode spürt extrem lichtschwache Strukturen in weit entfernten Galaxien auf.
Planetarische Nebel sind in der Nachbarschaft zur Sonne als farbenprächtige Objekte bekannt, die am Ende des Lebens eines Sterns bei der Entwicklung vom Stadium des roten Riesen zum weißen Zwerg auftreten: Wenn der Stern seinen Brennstoff zur Kernfusion aufgebraucht hat, bläst er seine Gashülle in den interstellaren Raum ab, kontrahiert, wird extrem heiß, und regt die expandierende Gashülle zum Leuchten an. Anders als das kontinuierliche Spektrum des Sterns, strahlen die Ionen bestimmter Elemente in dieser Gashülle, wie etwa von Wasserstoff, Sauerstoff, Helium und Neon, Licht aber nur bei bestimmten Wellenlängen ab. Spezielle optische Filter, die auf diese Wellenlängen abgestimmt sind, können die schwach leuchtenden Nebel sichtbar machen. Das nächstgelegene Objekt dieser Art in unserer Milchstraße ist der 650 Lichtjahre entfernte Helixnebel.
Mit wachsender Entfernung eines planetarischen Nebels schrumpft der scheinbare Durchmesser in einer Bildaufnahme, und die integrierte scheinbare Helligkeit nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab. In unserer Nachbargalaxie, der Andromedagalaxie, wäre mit einer fast 4000-fach größeren Entfernung der Helixnebel nur noch als Punkt wahrnehmbar, und seine scheinbare Helligkeit wäre fast 15 Millionen Mal schwächer. Mit modernen Großteleskopen und langer Belichtungszeit können solche Objekte unter Verwendung optischer Filter oder bildgebender Spektroskopie dennoch abgebildet und vermessen werden. Martin Roth, Leiter der Abteilung innoFSPEC am AIP, sagt: „Mit dem am AIP entwickelten PMAS-Instrument gelang uns dies erstmals mit integraler Feldspektroskopie für eine Handvoll planetarischer Nebel in der Andromeda-Galaxie in den Jahren 2001 bis 2002 am 3,5-Meter-Teleskop des Calar-Alto-Observatoriums. Das relativ kleine PMAS-Sichtfeld erlaubte es jedoch noch nicht, eine größere Stichprobe von Objekten zu untersuchen.“
Es hat gut zwanzig Jahre gedauert, bis mit einem leistungsfähigeren Instrument mit einem mehr als fünfzigfach größerem Gesichtsfeld an einem deutlich größeren Teleskop diese ersten Experimente weiterentwickelt werden konnten. MUSE am Very Large Telescope in Chile wurde in erster Linie für die Entdeckung extrem lichtschwacher Objekte am Rand des für uns derzeit beobachtbaren Universums entwickelt und hat dazu seit den ersten Beobachtungen spektakuläre Ergebnisse erbracht. Genau diese Eigenschaft ist es, die auch bei der Detektion von äußerst lichtschwachen planetarischen Nebeln in einer entfernten Galaxie zum Tragen kommt.
Die Galaxie NGC 474 ist ein besonders schönes Beispiel für eine Galaxie, die durch Kollision mit anderen, kleineren Galaxien eine auffällige Ringstruktur aus den durch Gravitationswirkung gestreuten Sternen gebildet hat. Sie liegt in etwa 110 Millionen Lichtjahren Entfernung, ist also etwa 170.000-mal weiter entfernt als der Helixnebel. Die scheinbare Helligkeit eines planetarischen Nebels in dieser Galaxie ist daher fast dreißig Milliarden Mal geringer als die des Helixnebels und liegt im Bereich der kosmologisch interessanten Galaxien, für die das Team das MUSE-Instrument konzipierte. Das Forscherteam hat mit Kollegen aus den USA eine Methode entwickelt, wie sich mit MUSE die extrem schwachen Signale von planetarischen Nebeln in weit entfernten Galaxien mit hoher Empfindlichkeit isolieren und präzise vermessen lassen.
Ein besonders wirkungsvoller Filteralgorithmus bei der Bilddatenverarbeitung spielt hier eine wichtige Rolle. Für die Ringgalaxie NGC 474 standen Eso-Archivdaten zur Verfügung, die auf zwei sehr tiefen MUSE-Belichtungen mit je fünf Stunden Beobachtungszeit beruhen. Das Ergebnis der Datenverarbeitung: Nach Anwenden des Filteralgorithmus wurden insgesamt fünfzehn extrem lichtschwache planetarische Nebel sichtbar. Dieses hochempfindliche Verfahren eröffnet eine neue Methode zur Entfernungsmessung, die geeignet ist, zur Lösung der derzeit diskutierten Diskrepanz bei der Bestimmung der Hubble-Konstanten beizutragen. Planetarische Nebel besitzen die Eigenschaft, dass physikalisch eine gewisse maximale Leuchtkraft nicht überschritten werden kann. Die Verteilungsfunktion der Helligkeiten einer Stichprobe in einer Galaxie, d.h. die Leuchtkraftfunktion der planetarischen Nebel (PNLF), bricht am hellen Ende ab. Diese Eigenschaft ist die einer Standardkerze, mit Hilfe derer sich durch statistische Methoden eine Entfernung berechnen lässt.
Das PNLF-Verfahren wurde bereits 1989 von den Teammitgliedern George Jacoby (NSF's NOIRLab) und Robin Ciardullo (Penn State University) entwickelt. Es ist in den vergangenen dreißig Jahren für mehr als fünfzig Galaxien erfolgreich angewendet worden, war aber aufgrund der bislang verwendeten Filtermessungen limitiert. Galaxien mit Entfernungen größer als der des Virgo- oder Fornaxhaufens lagen außerhalb der Reichweite. Die aktuelle Studie zeigt, dass mit MUSE mehr als doppelt so große Reichweiten erzielt werden können und damit eine unabhängige Messung der Hubble-Konstanten ermöglicht wird.
AIP / JOL