Plutoniumkontrolle mit Antineutrinos
Verlässliche Überwachung des Betriebs von Schwerwasserreaktoren.
Unter dem Deckmantel einer zivilen Nutzung der Kernenergie könnten einige Staaten versuchen, sich im Geheimen nuklearwaffenfähiges Material zu verschaffen. So entsteht in Reaktoren, die Uran-235 spalten, Plutonium durch Neutroneneinfang aus Uran-238. Mit Einverständnis der Kraftwerksbetreiber überwacht die Internationale Atomenergie-Organisation IAEO den Verbleib dieses Plutoniums. Dabei könnte ihr ein neues Verfahren helfen, das auf dem Nachweis von im Reaktorkern produzierten Antineutrinos beruht.
Abb.: Würde nach 270 Tagen der plutoniumhaltige Brennstoff im Reaktor IR-40 (blaue Kurve) gegen frischen Brennstoff (orange Kurve) ausgetauscht, ließe sich das anhand der veränderten Antineutrinostrahlung nachweisen. (Bild: E. Christensen et al. / APS)
Antineutrinos entstehen in Kernreaktoren in riesiger Zahl – etwa 1020 pro Sekunde – beim Betazerfall von Uran- und Plutoniumisotopen. Das ermöglichte es Clyde Cowan und Frederick Reines 1956 am Savannah River-Reaktor die extrem flüchtigen Antineutrinos mit Szintillationsdetektoren durch inversen Betazerfall nachzuweisen. Dabei fängt ein Proton ein Antineutrino ein und wandelt sich unter Abgabe eines Positrons in ein Neutron um. Die bei der Paarvernichtung des Positrons entstehenden Gammaquanten werden dann detektiert.
Bisher wurden Neutrinodetektoren nur in der Grundlagenforschung eingesetzt. Doch sie könnten auch zur Kontrolle der Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen beitragen, indem sie aufdecken, wenn Kraftwerksbetreiber heimlich aus dem Reaktorkern Plutonium abzweigen. Davon sind Patrick Huber vom Center for Neutrino Physics am Virginia Tech in Blacksburg und seine Kollegen überzeugt. Sie haben für den Schwerwasserreaktor IR-40, der vom Iran bei Arak gebaut wird und schon jetzt für internationale Verwicklungen sorgt, eine Fallstudie erstellt.
Während die iranische Regierung beteuert, dass der Forschungsreaktor IR-40 nur friedlichen Zwecken dienen und medizinisch genutzte Radioisotope produzieren soll, ist man in Israel alarmiert. Mit der Anlage, die zehn Tonnen Natururandioxid enthält und eine thermische Leistung von 40 MW liefern soll, könnte man jährlich etwa zehn Kilogramm kernwaffenfähiges Plutonium herstellen. Indem die IAEO den zukünftigen Betrieb des Reaktors möglichst lückenlos – und ohne ihn zu beeinträchtigen – überwacht, könnte sie die guten Absichten des Irans bestätigen und zugleich den Sorgen Israels Rechnung tragen.
Dazu könnte die IAEO einen Detektor für Antineutrinos unmittelbar am Reaktorgebäude in 19 m Entfernung vom Reaktorkern aufstellen. Der geplante Detektor enthält einen flüssigen oder festen Szintillator mit etwa 1030 Protonen. Das entspricht einer Masse von bis zu zwanzig Tonnen, die sich in einen Überseecontainer verstauen lässt. Der Detektor sollte Antineutrinos mit einer Energie von etwa 2 MeV bis 8 MeV energieaufgelöst nachweisen können. Was kann man mit solch einem Detektor herausfinden?
Da Uran energiereichere Antineutrinos abstrahlt als Plutonium, ändert sich das Strahlungsspektrum des Reaktorkerns mit zunehmender Betriebsdauer: Aufgrund des ansteigenden Plutoniumgehalts wird die Antineutrinostrahlung immer „weicher“. Indem man mit dem Detektor zu unterschiedlichen Zeiten jeweils 90 Tage lang die Energie der Antineutrinos registriert, kann man einen im Mittel 45 Tage alten Reaktorkern von einem durchschnittlich 315 Tage alten eindeutig unterscheiden. Nach dieser Zeit steigt der Gehalt an kernwaffenfähigem Plutonium nicht mehr wesentlich an.
Abb.: Der iranische Schwerwasserreaktor bei Arak. (Bild: Nanking2010 / Wikim. Comm.)
Auf diese Weise kann man herausfinden, ob ein Reaktorkern nach 270 Tagen mit frischem Kernbrennstoff befüllt und der alte, plutoniumhaltige Brennstoff entnommen wurde. So lässt sich noch die Entnahme von etwa zwei Kilogramm Plutonium nachweisen. Eine vorübergehende Abschaltung des Reaktors aus technischen Gründen könnte man also nicht dazu nutzen, merkliche Mengen von Plutonium zu entnehmen. Auch nach einem längeren Abschalten des Reaktors könnte man dessen Plutoniumgehalt noch näherungsweise ermitteln, indem man mit dem Detektor die Antineutrinostrahlung der langlebigen Zerfallsprodukte wie Strontium-90, Ruthenium-106 oder Cer-144 misst. Auch in diesem Fall ließe sich eine substantielle Plutoniumentnahme nicht verheimlichen.
Die Menge des vom Reaktor erzeugten Plutoniums ließe sich dadurch verringern, dass man statt Natururan schwach angereichertes Uran (LEU) als Brennstoff benutzt. Wie Patrick Huber und seine Kollegen zeigen konnten, lässt sich diese Änderung der Brennstoffzusammensetzung mit einem Neutrinodetektor nachweisen. Dazu verfolgt man anhand der emittierten Antineutrinos über einen längeren Zeitraum, wie sich der Gehalt des Brennstoffs an Uran-235 und Plutonium-239 ändert, wodurch eine Unterscheidung zwischen Natururan und LEU möglich wird.
Die heute vorhandenen Neutrinodetektoren erreichen noch nicht die Empfindlichkeit, die für die Überwachung von Reaktoren benötigt wird. Doch inzwischen werden empfindlichere Detektoren entwickelt, mit denen man vielleicht schon in fünf Jahren einen Demonstrationsversuch starten könnte. Ein weiteres Problem ist die störende Hintergrundstrahlung an der Erdoberfläche, die man bei bisherigen Neutrinoexperimenten dadurch unterdrückt hat, dass man sie tief unter der Erde stattfinden ließ. Nach Meinung der Forscher könnte man einen Detektor auch schon mit einer Deckschicht von geringerer Dicke gegen diese Strahlung abschirmen.
Rainer Scharf
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