Politisch unverdächtig
Interview mit Ulrich Eckern über das Exzellenzzentrum für theoretische Physik im Westjordanland.
Interview mit Ulrich Eckern über das Exzellenzzentrum für theoretische Physik im Westjordanland.
Ulrich Eckern, Professor für theoretische Physik an der Universität Augsburg, war 2003 Mitinitiator eines von der UNESCO unterstützten Projekts mit dem Ziel, an der Birzeit Universität im Westjordanland ein Exzellenzzentrum für Mathematik und theoretische Physik zu etablieren. Im Rahmen dieses Projekts fand vor kurzem die zweite „Palästinensische Konferenz über Moderne Trends in Mathematik und Physik“ an der An-Najah Universität in Nablus statt.
Das Interview erscheint in der 11/2010 Ausgabe vom Physik Journal im November 2010.
Abb.: Ulrich Eckern in Nablus. (Bild: U. Eckern)
Was hat Sie dazu bewegt, ein solches Exzellenzzentrum gerade in Palästina zu starten?
Persönliche Beziehungen. Mit Kollegen, darunter einem Amerikaner palästinensischen Ursprungs, saßen wir zusammen und haben diskutiert, wie sich Wissenschaft und Forschung in Palästina voranbringen lassen. Wir wussten natürlich, dass das politisch sehr delikat ist.
Spielt die Tatsache, dass es um Mathematik und Physik gehen soll, in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle?
Ich gehe davon aus, dass Mathematik und Physik „politisch unverdächtig“ sind. Seit Jahrzehnten sind internationale Kooperationen für uns tägliches Brot. Außerdem wollten wir uns auf Themen konzentrieren, die wir auch beherrschen.
Zu ihren Unterstützern gehört u. a. Uzy Smilansky vom Weizmann Institute of Science. Soll das Projekt auch den Austausch zwischen palästinensischen und israelischen Wissenschaftlern fördern?
Herr Smilansky hat sich schon in den Sechzigerjahren für wissenschaftliche Kooperationen zwischen Deutschland und Israel eingesetzt. Er würde es natürlich sehr unterstützen, wenn auch israelische Wissenschaftler an Konferenzen wie der vor kurzem teilnehmen könnten. Dafür sind aber leider die politischen Differenzen noch zu groß.
Wie unterscheidet sich der Alltag eines Physikers in Birzeit von dem eines Wissenschaftlers an einem deutschen Institut?
Zunächst haben die Kolleginnen und Kollegen eine deutlich höhere Lehrbelastung als wir und daher weniger Zeit für Forschung. Die Universitäten in Birzeit und Nablus sind sehr modern mit z. T. wunderschönen Gebäuden, für die arabische Sponsoren verantwortlich sind. Allerdings haben die Kollegen nur wenige Möglichkeiten, internationale Kooperationen zu pflegen.
Können sie ohne Probleme reisen?
Nein, sie dürfen nicht über Tel Aviv fliegen, sondern müssen mit einem Sammeltaxi nach Amman in Jordanien. Das dauert sieben oder acht Stunden. Zudem sind die Reisekosten sehr hoch.
Wie reagieren die Studenten?
Die jungen Leute sind außerordentlich wissbegierig und strömen geradezu an die Universitäten, auch wenn natürlich nicht alle in die Physik wollen. Was aber deutlich auffällt: Das Interesse von Frauen an den Naturwissenschaften ist dort viel größer als in Deutschland.
Zieht es die Nachwuchswissenschaftler dann in die Ferne?
Der „Brain Drain“ ist in Palästina wesentlich schlimmer als in Deutschland. Dort kann es schnell passieren, dass ein paar Dozenten ein gutes Angebot aus dem Ausland bekommen, und dann bricht das Department einfach zusammen. Daher muss man den wissenschaftlichen Nachwuchs in Palästina halten.
Wie weit ist das Exzellenzzentrum bereits aufgebaut?
Kürzlich hat die palästinensische Autonomiebehörde Geld zur Verfügung gestellt, um die Funktionsfähigkeit des Zentrums für die nächsten drei bis fünf Jahre sicherzustellen. Nun soll die Stelle des Direktors ausgeschrieben werden. Ich hoffe, dass dieses Zentrum in den nächsten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit erregt und dass vor allem internationale Gäste den Weg dorthin finden.
Mit Ulrich Eckern sprach Babette Döbrich für das Physik Journal
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MH