Polymer mit Lichtkontrolle
Ein neuartiger Gedächtnis-Kunststoff verformt sich auf Knopfdruck - ganz einfach durch Bestrahlung mit ultraviolettem Licht
Ein neuartiger Gedächtnis-Kunststoff verformt sich auf Knopfdruck - ganz einfach durch Bestrahlung mit ultraviolettem Licht
Teltow - Fäden für Wunden verknoten sich wie von selbst und Plastikstützen richten sich selbstständig in verstopften Blutgefäßen auf. Kunststoffe mit Formgedächtnis könnten zu solchen Fortschritten in der minimal-invasiven Medizin führen. Deutsche und amerikanische Wissenschaftler entwickelten dazu neue Polymere, die ihre Form durch die Bestrahlung mit ultraviolettem Licht - quasi auf Knopfdruck - verändern. Ihre Ergebnisse präsentieren sie im Fachblatt "Nature".
"Bisher ließ sich eine solche Formveränderung nur durch verschiedene Temperaturen induzieren"; sagt Sabine Benner vom GKSS-Forschungszentrum in Teltow. Der Arbeitsgruppe um Andreas Lendlein gelang es nun zusammen mit Kollegen der Technischen Hochschule in Aachen und vom Massachussetts Institute of Technology, die Form eines Kunststoffs über ultraviolettes Licht zu steuern. Lichtempfindliche Molekülgruppen in den neuen Polymeren sind verantwortlich für dieses Verhalten. So dehnten die Forscher einen elastischen Kunststoff-Streifen auf seine doppelte Länge. Rund eine Stunde mit UV-Licht oberhalb von 260 Nanometer Wellenlänge beleuchtet vernetzen sich die Molekülgruppen auf einer Seite neu und der Kunststoff "merkt" sich diesen Zustand. Da die nicht beleuchtete Seite sich wieder elastisch zusammenzieht, wickelt sich der ganze Streifen in eine Spirale auf. Mit Licht unterhalb von 260 Nanometer Wellenlänge ist dieser Vorgang umkehrbar. Die Kunststoffmoleküle gehen in ihren ursprünglichen Vernetzungszustand über und der Kunststoff-Faden wird wieder glatt und nimmt seine vorherige Länge ein. "Auch andere temporäre Strukturen lassen sich mit diesem Material herstellen"; berichten die Forscher.
Abb.: Lichtinduzierter Formgedächtniseffekt eines IPN-Polymers: Eine Polymerprobe von 3 cm Länge und 4 mm Breite (a) wird auf ca. 4,5 cm Länge gedehnt und ausschließlich von der rechten Seite für 120 Minuten mit Licht einer Wellenlänge von >300 nm bestrahlt. Nach Lösen der unteren Klemme ergibt sich als temporäre Form ein Ring (b), da die Fixierung nur in der äußeren Schicht der Probe erfolgte. Die ursprüngliche Form wird nach >6 Stunden Bestrahlung (254 nm) von beiden Seiten (c) und nach zusätzlichen >6 h Bestrahlung mit UV-Licht zusätzlich von unten (d) weitgehend wiederhergestellt. (Quelle: GKSS)
Für ihre Versuche nutzten Lendlein und Kollegen zwei Material-Typen. In so genannten Seitenketten-Polymeren (grafted polymers) aus Butylacrylat konnten sie an wenige Zentimeter langen Proben Verlängerungen von bis zu 20 Prozent über den Lichteinfall fixieren. Bis auf die doppelte Länge ließen sich dagegen IPN-Polymere ("interpenetrating network") reversibel verändern. Für die Neuvernetzung der Polymere unter UV-Bestrahlung zeichnen Zimtsäure-Gruppen verantwortlich. Mit verschiedenen Bestrahlungszeiten zwischen einigen Minuten und wenigen Stunden lässt sich der Grad der Neuvernetzung über kovalente Bindungen bzw. die Auflösung dieser Polymer-Netzwerke kontrollieren. In weiteren Versuchen könnte die Geschwindigkeit dieser Lichtreaktion weiter beschleunigt werden.
Weitläufig bekannt ist ein solches "Formgedächtnis" bisher bei Memory-Metallen. Doch genauso wie bei älteren Kunststoff-Versuchen wird der Formwechsel durch verschiedene Temperaturen kontrolliert. Der neue Ansatz der "Lichtkontrolle" könnte neben Anwendungen in der Medizintechnik auch zu Innovationen in der Werkstoffforschung führen. Ziel dieses Projekts, das das Bundesforschungsministeriums im Rahmen des "Biofuture-Wettbewerbs" unterstützt, ist es, geeignete polymere Biomaterialien für die Medizintechnik zu entwickeln. Neben dem physikalischen Verhalten achten die Forscher dabei besonders auch auf die Bioverträglichkeit der Substanzen.
Jan Oliver Löfken
Weitere Infos:
- Originalveröffentlichung:
Andreas Lendlein et al., Light-induced shape-memory polymers, Nature 434, 879 (2005).
http://dx.doi.org/doi:10.1038/nature03496 - GKSS, Teltow:
http://www.gkss.de - GKSS-Arbeitsgruppe Formgedächtniskunststoff:
http://www.gkss.de/pages.php?page=c_aktuelles2.html&language=d&version=g - Massachussetts Institute of Technology:
http://www.mit.edu - Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen:
http://www.rwth-aachen.de - Institut für Technologie und Entwicklung von Medizinprodukten in der Medizinischen Fakultät der RWTH:
http://www.itemp.rwth-aachen.de - Biofuture-Wettbewerb:
http://www.biofuture-wettbewerb.de/index.php?index=72&print=1 - Spezielle Dokumente und Informationen zum Thema finden Sie ganz einfach mit der Findemaschine, z. B. mit Hilfe der Kategorieverknüpfung Chemische Physik und Polymerphysik+Publikationen.
Weitere Literatur:
- Osada, Y. & Matsuda, A. Shape memory in hydrogels. Nature 376, 219 (1995).
- Liu, C. & Mather, P. T. Thermomechanical characterization of a tailored series of shape memory polymers. J. Appl. Med. Polym. 6, 47 (2002).
- Rousseau, I. A. & Mather, P. T. Shape memory effect exhibited by smectic-C liquid crystalline elastomers. J. Am. Chem. Soc. 125, 15300 (2003).
- Lendlein, A. & Kelch, S. Shape-memory polymers. Angew. Chem. Int. Edn Engl. 41, 2034–2057 (2002).
- Wei, Z. G., Sandström, R. & Miyazaki, S. Shape-memory materials and hybrid composites for smart systems: Part I. Shape-memory materials. J. Mater. Sci. 33, 3743 (1998).