Positronen auf krummer Tour
Schwankungen des Sonnenmagnetfelds verursachen ungewöhnliches Spektrum kosmischer Teilchen.
In den letzten Jahren haben Messungen an Teilchen kosmischer Strahlung für einige Aufregung gesorgt. Vor allem eine kürzlich entdeckte Anomalie im Energiespektrum hochenergetischer Positronen hat Spekulationen hervorgerufen, hier könnte es sich um ein Anzeichen dunkler Materie handeln. Bei hohen Energie oberhalb von zehn Gigaelektronenvolt treten mehr Positronen auf, als sie es nach den gängigen Modellen tun sollten. Allerdings spielen besonders für geladene Leptonen magnetische Effekte eine wichtige Rolle bei der Propagation – und hier gibt es noch einigen Spielraum in den Modellen. Wissenschaftler der PAMELA-
Abb.: Das Magnetfeld in der Heliosphäre unterliegt periodischen Schwankungen, die eintretende kosmische Positronen beeinflussen. (Bild: C. Carreau, ESA)
Die Messungen sind nicht zuletzt deshalb mit Spannung erwartet worden, weil das letzte solare Minimum ungewöhnlich stark war und lange dauerte. Es war das tiefste seit hundert Jahren und ging im Jahr 2009 mit dem größten Fluss an kosmischer Strahlung seit Beginn des Weltraumzeitalters einher. Auch das folgende Maximum der Sonnenaktivität ist außergewöhnlich: Seit Beginn exakter Aufzeichnungen im Jahr 1750 gab es noch nie eine niedrigere Anzahl an Sonnenflecken.
Die Positronen der kosmischen Strahlung sind Zerfallsprodukte von Pionen, die ihrerseits aus Kollisionen hochenergetischer Protonen und schwerer Kerne mit dem interstellaren Medium hervorgehen. Es gibt deutlich weniger kosmische Positronen als Elektronen oder Protonen. Auf etwa tausend Protonen kommt ein Positron. Auch Elektronen sind etwa eine Größenordnung stärker vertreten. Die Positronen stammen aus sekundären Prozessen. Sollten Teilchen aus dunkler Materie Positronen direkt erzeugen, wäre ein deutlich höherer Positronenfluss zu erwarten.
Die Wissenschaftler interessierten sich für das Spektrum der Positronen mit Energien zwischen rund fünfhundert MeV und fünf GeV. Hier macht sich nicht nur das solare Magnetfeld bemerkbar – einigen Theorien zufolge könnten sich auch in diesem Energiebereich Prozesse dunkler Materie im Positronenspektrum niederschlagen. Das Verständnis des Spektrums im niederenergetischen Bereich ist aber auch für höherenergetische Positronen bedeutend. Diese erfahren zwar keine so starke Modulation durch das solare Magnetfeld, sind aber deutlich seltener. Deshalb bietet sich der Energiebereich um etwa ein Gigaelektronenvolt besonders an, um die Wechselwirkung kosmischer Strahlung mit der Heliosphäre zu studieren. Ein gutes Verständnis der Propagation in der Heliosphäre ist auch deshalb wichtig, weil die Heliosphäre im kleinen Maßstab als Modell des interstellaren Mediums dient. Dadurch lässt sich die Bewegung kosmischer Teilchen in der gesamten Galaxie besser nachvollziehen.
Vor allem die Phasen des solaren Minimums sind für die Forscher interessant, da dann kaum magnetische Stürme auftreten, die die Messungen beeinflussen. Die Forscher untersuchten deshalb das Spektrum der Positronen und Elektronen vom Juli 2006 bis zum Dezember 2015. So konnten sie einerseits in den Jahren 2006 bis 2009 noch das Minimum des letzten solaren Zyklus mit aufnehmen und andererseits das Maximum mitsamt Polaritätswechsel des Sonnenmagnetfelds, das sich zwischen 2013 und 2014 ereignete. Die Daten stammen von PAMELA – Payload for Antimatter Matter Exploration and Light-
In Zeiten negativer Polarität, wenn das Magnetfeld in Richtung der nördlichen Hemisphäre der Sonne zeigt, fliegen negativ geladene Teilchen von den Polregionen in Richtung des Sonnenäquators, positiv geladene in entgegengesetzter Richtung. Je nachdem, welche Polarität in der Heliosphäre herrscht, erfahren Elektronen oder Positronen dadurch einen stärkeren Widerstand beim Durchqueren unseres Sonnensystems.
„Insbesondere dieser Effekt kann abhängig vom Vorzeichen der Ladung die Propagation von Teilchen in der Heliosphäre beeinflussen”, sagt Riccardo Munini vom Istituto Nazionale di Fisica Nucleare in Triest. Erste Messungen von PAMELA hatten im Vergleich zu früheren Experimenten eine rund um die Hälfte verringerte Aktivität kosmischer Positronen ergeben. Seitdem hat sich das Verhältnis von Positronen zu Elektronen aber wieder zugunsten der Positronen verschoben: Je nach Zeitraum und Energiebereich nahm die Anzahl an Positronen um zehn bis achtzig Prozent stärker zu die die Anzahl an Elektronen. Besonders stark war der Anstieg an Positronen im Jahr 2015, nachdem das solare Magnetfeld seine Richtung gewechselt hatte. Das weist auf eine Modulation durch das solare Magnetfeld hin, das über den Sonnenwind die gesamte Heliosphäre durchzieht.
Wie die Daten zeigen, lässt auch im gegenwärtigen, ungewöhnlichen Sonnenzyklus das Energiespektrum der Positronen mit herkömmlicher Physik erklären. Die Messungen decken sich auch mit den Daten anderer Experimente, wie etwa AMS-02 an Bord der Internationalen Raumstation. Über den Ursprung der kosmischen Positronen lässt sich aber noch keine abschließende Aussage machen. Abgesehen von den sekundären Prozessen im interstellaren Medium kommen auch astrophysikalische Objekte wie Pulsare in Betracht. In Zukunft wollen die Forscher deshalb einerseits diese Messungen weiterführen, andererseits aber auch andere exotische Teilchen nachweisen, insbesondere niederenergetische Antiprotonen und möglicherweise sogar Antideuterium.
Dirk Eidemüller
Weitere Infos
RK