23.06.2016

Positronen auf krummer Tour

Schwankungen des Sonnenmagnetfelds ver­ur­sachen un­ge­wöhn­liches Spek­trum kos­mischer Teilchen.

In den letzten Jahren haben Messungen an Teilchen kosmischer Strahlung für einige Auf­regung gesorgt. Vor allem eine kürz­lich entdeckte Anomalie im Energie­spektrum hoch­energe­tischer Posi­tronen hat Speku­la­tionen hervor­gerufen, hier könnte es sich um ein Anzeichen dunkler Materie handeln. Bei hohen Energie oberhalb von zehn Giga­elek­tronen­volt treten mehr Posi­tronen auf, als sie es nach den gängigen Modellen tun sollten. Aller­dings spielen besonders für geladene Leptonen magne­tische Effekte eine wichtige Rolle bei der Propa­gation – und hier gibt es noch einigen Spiel­raum in den Modellen. Wissen­schaftler der PAMELA-Kollabo­ration haben deshalb nun Daten aus einem Zeit­raum ausge­wertet, der fast zehn Jahre lang war und damit praktisch einen gesamten Sonnen­zyklus abdeckt.

Abb.: Das Magnetfeld in der Heliosphäre unter­liegt perio­dischen Schwan­kungen, die ein­tretende kos­mische Posi­tronen beein­flussen. (Bild: C. Carreau, ESA)

Die Messungen sind nicht zuletzt deshalb mit Spannung erwartet worden, weil das letzte solare Minimum unge­wöhn­lich stark war und lange dauerte. Es war das tiefste seit hundert Jahren und ging im Jahr 2009 mit dem größten Fluss an kosmischer Strahlung seit Beginn des Welt­raum­zeit­alters einher. Auch das folgende Maximum der Sonnen­aktivität ist außer­gewöhn­lich: Seit Beginn exakter Auf­zeich­nungen im Jahr 1750 gab es noch nie eine niedrigere Anzahl an Sonnen­flecken.

Die Positronen der kosmischen Strahlung sind Zerfalls­produkte von Pionen, die ihrer­seits aus Kolli­sionen hoch­energe­tischer Protonen und schwerer Kerne mit dem inter­stellaren Medium hervor­gehen. Es gibt deutlich weniger kosmische Posi­tronen als Elek­tronen oder Protonen. Auf etwa tausend Protonen kommt ein Posi­tron. Auch Elek­tronen sind etwa eine Größen­ordnung stärker vertreten. Die Posi­tronen stammen aus sekun­dären Prozessen. Sollten Teilchen aus dunkler Materie Posi­tronen direkt erzeugen, wäre ein deutlich höherer Posi­tronen­fluss zu erwarten.

Die Wissenschaftler interessierten sich für das Spektrum der Posi­tronen mit Energien zwischen rund fünf­hundert MeV und fünf GeV. Hier macht sich nicht nur das solare Magnet­feld bemerk­bar – einigen Theorien zufolge könnten sich auch in diesem Energie­bereich Prozesse dunkler Materie im Posi­tronen­spektrum nieder­schlagen. Das Ver­ständnis des Spektrums im nieder­energe­tischen Bereich ist aber auch für höher­energe­tische Posi­tronen bedeutend. Diese erfahren zwar keine so starke Modu­lation durch das solare Magnet­feld, sind aber deut­lich seltener. Des­halb bietet sich der Energie­bereich um etwa ein Giga­elek­tronen­volt besonders an, um die Wechsel­wirkung kosmischer Strahlung mit der Helio­sphäre zu studieren. Ein gutes Verständnis der Propa­gation in der Helio­sphäre ist auch deshalb wichtig, weil die Helio­sphäre im kleinen Maß­stab als Modell des inter­stellaren Mediums dient. Dadurch lässt sich die Bewegung kosmischer Teilchen in der gesamten Galaxie besser nach­voll­ziehen.

Vor allem die Phasen des solaren Minimums sind für die Forscher inte­ressant, da dann kaum magne­tische Stürme auf­treten, die die Messungen beein­flussen. Die Forscher unter­suchten deshalb das Spektrum der Posi­tronen und Elek­tronen vom Juli 2006 bis zum Dezember 2015. So konnten sie einer­seits in den Jahren 2006 bis 2009 noch das Minimum des letzten solaren Zyklus mit auf­nehmen und anderer­seits das Maximum mitsamt Polari­täts­wechsel des Sonnen­magnet­felds, das sich zwischen 2013 und 2014 ereignete. Die Daten stammen von PAMELA – Payload for Anti­matter Matter Explo­ration and Light-nuclei Astro­physics –, einem Welt­raum­expe­riment mit mehreren Sub­detek­toren, das im Juni 2006 ins All gestartet ist und sich an Bord eines russischen Tele­kommu­nikations­satelliten befindet.

In Zeiten negativer Polarität, wenn das Magnetfeld in Richtung der nördlichen Hemi­sphäre der Sonne zeigt, fliegen negativ geladene Teilchen von den Pol­regionen in Richtung des Sonnen­äquators, positiv geladene in entgegen­gesetzter Richtung. Je nachdem, welche Pola­rität in der Helio­sphäre herrscht, erfahren Elek­tronen oder Posi­tronen dadurch einen stärkeren Wider­stand beim Durch­queren unseres Sonnen­systems.

„Insbesondere dieser Effekt kann abhängig vom Vorzeichen der Ladung die Propa­gation von Teilchen in der Helio­sphäre beein­flussen”, sagt Riccardo Munini vom Istituto Nazionale di Fisica Nucleare in Triest. Erste Messungen von PAMELA hatten im Vergleich zu früheren Experi­menten eine rund um die Hälfte verringerte Aktivität kosmischer Posi­tronen ergeben. Seitdem hat sich das Verhältnis von Posi­tronen zu Elek­tronen aber wieder zugunsten der Posi­tronen verschoben: Je nach Zeitraum und Energie­bereich nahm die Anzahl an Posi­tronen um zehn bis achtzig Prozent stärker zu die die Anzahl an Elek­tronen. Besonders stark war der Anstieg an Posi­tronen im Jahr 2015, nach­dem das solare Magnet­feld seine Richtung gewechselt hatte. Das weist auf eine Modu­lation durch das solare Magnet­feld hin, das über den Sonnen­wind die gesamte Helio­sphäre durch­zieht.

Wie die Daten zeigen, lässt auch im gegenwärtigen, ungewöhnlichen Sonnen­zyklus das Energie­spektrum der Posi­tronen mit herkömm­licher Physik erklären. Die Messungen decken sich auch mit den Daten anderer Experi­mente, wie etwa AMS-02 an Bord der Inter­natio­nalen Raum­station. Über den Ursprung der kosmischen Posi­tronen lässt sich aber noch keine abschließende Aussage machen. Abgesehen von den sekun­dären Prozessen im inter­stellaren Medium kommen auch astro­physi­kalische Objekte wie Pulsare in Betracht. In Zukunft wollen die Forscher deshalb einer­seits diese Messungen weiter­führen, anderer­seits aber auch andere exotische Teilchen nach­weisen, insbesondere nieder­energe­tische Anti­protonen und möglicher­weise sogar Anti­deuterium.

Dirk Eidemüller

RK

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