20.08.2024

Präzise Messung der Elektronenabschirmung

Wirkung der Elektronenhülle in Berylliumatomen exakt bestimmt.

Die Elektronen­hülle von Atomen als behindert als elektro­magnetischer Schutzschild den direkten Zugang zu dessen Kern und dessen Eigenschaften. Einem Team um Klaus Blaum, Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg, gelang es nun, die Wirkung dieser Abschirmung in Beryllium-Atomen präzise zu vermessen. Dabei wurde auch das magnetische Kernmoment des Isotops Beryllium-9 um einen Faktor 40 genauer als bislang bestimmt. Solche Präzisions­messungen sind nicht nur bedeutend für die fundamentale Physik. Sie helfen auch, bestimmte Anwendungen der Kernspin­resonanz, die in der Chemie und in der hochpräzisen Messung von Magnet­feldern eingesetzt werden, besser zu verstehen.

Abb.: Penning-Ionenfalle zur Bestimmung der magnetischen Kerneigenschaften von...
Abb.: Penning-Ionenfalle zur Bestimmung der magnetischen Kerneigenschaften von Beryllium.
Quelle: MPIK

Man könnte annehmen, dass die Physik das magnetische Moment eines Atomkerns sowie die Abschirmwirkung der Elektronen­hülle genau ausrechnen könnte. Doch dem ist nicht so, bestätigt Zoltan Harman, der am Institut in Heidelberg als Theoretiker für solche Rechnungen zuständig ist. Ursache ist – wie so oft – das grundlegende Problem, dass Systeme aus mehr als zwei Körpern mathematisch nicht exakt berechenbar sind. Das gilt für Planeten­bahnen in Sternsystemen wie für Atome, deren Elektronen sich allerdings nur auf bestimmten, quantisierten Energie­orbitalen um den Kern aufhalten dürfen. Hinzu kommt, dass auch ein Atomkern selbst nicht exakt berechenbar ist. Selbst der einfachste Kern, das einzige Proton im Wasserstoff, besteht bereits aus drei Quarks, die komplex miteinander wechselwirken.

„Die Theoretiker können deshalb so ein Kernmoment nur ungefähr auf ein Promille Unsicherheit genau berechnen“, sagt Stefan Dickopf. Für Anwendungs­gebiete in der Kernspin­resonanz und der Grundlagen­physik sind somit Hochpräzisions­experimente wichtig, um solche Eigenschaften wesentlich genauer zu vermessen, als Rechnungen es vermögen. Eine Methode mit Penning-Fallen hat Klaus Blaums Team zu Weltspitzen­leistungen entwickelt. Sie ermöglicht es, die magnetischen Eigen­schaften eines Atomkerns sehr genau zu vermessen. Solche Messungen hat Stefan Dickopf, federführend als Doktorand im Team unter der Leitung von Andreas Mooser, nun am Isotop Beryllium-9 durchgeführt.

„Es hat einen kleinen Atomkern, weshalb spezielle Korrekturen, die größere Atomkerne erfordern, wegfallen“, sagt Dickopf. Vor allem aber steht es dem Element Nummer Zwei, Helium, nahe. Das spielt im Hinblick auf Anwendungen in der Kernspin­resonanz eine wichtige Rolle. Will man nämlich dort Präzisions­messungen durchführen, muss man erst einmal das Magnetfeld in der Apparatur genau vermessen. Diese Genauigkeit geht entscheidend in die spätere Analyse ein. Eine gut geeignete Sonde für diese Magnetfeldmessungen ist das Helium-Isotop Helium-3. Dessen magnetisches Moment hat Klaus Blaums Team bereits in einer Penning-Falle sehr genau vermessen können. Allerdings musste es dazu ein Elektron aus dem Helium-3 entfernen. Denn eine Penning-Falle kann nur so ein elektrisch geladenes Ion mit einer Kombination aus einem komplex geformten elektrischen und einem starken Magnetfeld gefangen halten – das aber monatelang. Kernspin­resonanz-Methoden arbeiten hingegen mit neutralem Helium-3 als Sonde, was ein Problem aufwirft, so Dickopf: „Die Abschirmung durch zwei Elektronen ist nicht gut verstanden.“

Das motivierte die Heidelberger, eine solche Messung auch mit Beryllium-9 durchzuführen. Dazu hat das Team ihm drei Elektronen entfernt, sodass nur ein Elektron übrigblieb. Der Quervergleich mit bereits etablierten Messungen des magne­tischen Kernmoments an Beryllium, dem weniger Elektronen entfernt wurden, lieferte Schlüsseldaten über den genauen Abschirmeffekt der Elektronen. Das lässt wiederum Rückschlüsse auf die Abschirmung in neutralem Helium-3 zu. Das Beryllium-9-Ion mit nur einem Restelektron stand zudem im Fokus, weil es ein wasserstoff­ähnliches System sei, erklären Dickopf und Harman. Da der Atomkern klein ist, kann man ihn hier in guter Näherung als eine Einheit, tatsächlich also wie eine winzige Kompassnadel, betrachten. Zusammen mit dem einzig verbliebenen Elektron bildet er so fast ein theoretisch exakt berechen­bares Zweikörper-System. Vor allem lasse sich nun das Elektron gewisser­maßen als Antenne einsetzen, so Zoltan Haman, um das magnetische Moment des Beryllium-9-Kerns zu vermessen. „Das ist grob 26 Größenordnungen, also ein Hundert Millionstel Milliardstel Milliardstel, schwächer als eine Kompass­nadel“, skizziert Dickopf die Herausforderung.

Die Messung in einer Penning-Falle basiert wie alle Präzisionsmessungen darauf, dass sich eine wieder­holende Bewegung genau mitzählen lässt. Im starken Magnetfeld der Falle rotiert das Ion auf einer Kreisbahn, und über diese Zyklotron­frequenz kann eine mitzählende Elektronik zum einen das Magnetfeld der Falle selbst sehr exakt vermessen. Das ist für eine Präzisionsmessung des magnetischen Moments unerlässlich. Nun muss noch die Orientierung des Kernmoments als winzige Kompassnadel im Magnetfeld gemessen werden. Entscheidend ist hier, wie sich die Energie des Kernmoments zwischen zwei verschiedenen Orientierungen, die die Quanten­physik erlaubt, im Magnetfeld verändert. Diese Information liefern weitere Frequenzen, die bei dieser Messmethode auftreten. Allerdings ist dieses Signal extrem schwach. Das Elektron als kleine Antenne nahe am Kern verstärkt diese und ermöglichten so erst diese Frequenz­messungen.

„So gelang uns am Beryllium-9 die zweit­genaueste Messung des magnetischen Moments eines Atomkerns nach dem Proton“, sagt Dickopf. Auch über den Abschirm­effekt von mehreren Elektronen lieferte das Experiment die ersten genauen Daten, die sich nun auf das Helium-3 übertragen lassen. Das wird helfen, bestimmte Kern­resonanz-Anwendungen noch genauer zu machen. Die Heidel­berger Ergebnisse sind also ein doppelter Gewinn, für die funda­mentale Physik wie für die Anwendung in der genauen Messung von Magnetfeldern.

MPIK / JOL

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