Proteine setzen Vesikel in Bewegung
Münchener Biophysiker konstruieren ein neues zellähnliches Transportsystem.
Künstliche Zellen mit lebensähnlichen Eigenschaften aus minimalen Komponenten nachzubauen ist ein wichtiges Ziel der Synthetischen Biologie. Die Fähigkeit zur eigenständigen Fortbewegung ist dabei eine zentrale Eigenschaft, die im Reagenzglas nur schwer zu rekonstruieren ist. Ein Team um die Physiker Erwin Frey, Inhaber des Lehrstuhls für Statistische und Biologische Physik an der LMU, und Petra Schwille vom Max-Planck-Institut für Biochemie ist dabei nun einen wichtigen Schritt vorangekommen.
Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es gelungen, von einer Lipidmembran umschlossene Vesikel – die Liposomen – auf einer tragenden Membran ständig in Bewegung zu halten. Angetrieben werden sie durch die Wechselwirkung der Vesikelmembran mit bestimmten Proteinmustern, die wiederum den biochemischen Treibstoff Adenosintriphosphat (ATP) benötigen. Hervorgerufen werden diese Muster durch ein bekanntes System für die biologische Musterbildung: Das System von Min Proteinen, das im Bakterium E. coli die Zellteilung steuert. Experimente in Schwilles Labor haben gezeigt, dass sich in dem künstlichen System membranbindende Min-Proteine asymmetrisch um die Vesikel anordnen und so mit diesen interagieren, dass sie sich in Bewegung setzen.
Dabei binden die Proteine sowohl an die tragende Membran als auch die Vesikel selbst. „Gerichteten Transport von großen Membranvesikeln finden wir sonst nur in höheren Zellen, dafür sind dort komplexe Motorproteine zuständig. Dass kleine bakterielle Proteine dazu in der Lage sind, hat uns komplett überrascht“, sagt Schwille. „Es ist derzeit weder klar, was die Proteinmoleküle an der Membranoberfläche genau machen, noch wofür Bakterien solche eine Funktion benötigen könnten.“ Freys Team identifizierte mithilfe theoretischer Analysen zwei unterschiedliche Mechanismen, die hinter der Bewegung stecken könnten: „Ein möglicher Mechanismus ist, dass die Proteine auf der tragenden Membran mit denen auf der Vesikeloberfläche wie in einer Art Reißverschluss wechselwirken und molekulare Verbindungen aufbauen oder auflösen“, erklärt Frey.
„Wenn auf einer Seite mehr Proteine sind als auf der anderen, öffnet sich dort der Reißverschluss, während er sich auf der anderen schließt. Das Vesikel bewegt sich dann in die Richtung, in der sich weniger Proteine befinden“, sagt Frey. Die zweite Möglichkeit für einen Mechanismus besteht darin, dass die membrangebundenen Proteine die Vesikelmembran deformieren und deren Krümmung verändern. Diese Formänderung verursacht dann die Vorwärtsbewegung. „Beide Mechanismen sind im Prinzip möglich“, betont er. „Was wir aber mit Sicherheit wissen ist, dass die Proteinmuster auf der Unterlage und auf dem Vesikel ursächlich für die Bewegung sind. Damit sind wir auf dem Weg zur künstlichen Zelle einen riesigen Schritt vorangekommen.“ Die Forschenden sind überzeugt, dass ihr System zukünftig als Modellierungsplattform für die Entwicklung künstlicher Systeme mit lebensähnlichen Bewegungen dienen kann.
LMU / JOL