Ptychographie könnte Elektronen-Mikroskopie revolutionieren
Aberrationsfreie Subnanometer-Auflösungen bei großem Beobachtungsfeld werden mit der Methode möglich.
Die herkömmliche Transmissions-Elektronen-Mikroskopie (TEM) löst atomare Strukturen auf, indem Elektronen fokussiert durch ein Objekt hindurch geschossen werden. Durch unvermeidliche Aberrationen ist die Aufllösung der elektromagnetischen Optik jedoch beschränkt. Dieser Fehler ist dafür verantwortlich, dass die TEM um ein bis zwei Größenordnungen von den theoretisch erreichbaren Auflösungsgrenzen entfernt ist, die die Heisenbergsche Unschärferelation durch die Wellenlänge der Elektronen vorgibt. Forscher der Universität Sheffield haben nun erstmals den Nachweis erbracht, dass ein Verfahren aus der Röntgenmikroskopie – die Ptychographie – auch in der Elektronenmikroskopie funktioniert. Damit rücken die theoretischen Auflösungsgrenzen auch für diese Technologie in Reichweite.
Abb.: Schematischer Aufbau des Experiments: Die Optik fokussiert nicht auf das Objekt. Stattdessen wird aus dem Beugungsbild des Dunkelfeldes bei hohen Winkeln auf das Objekt zurückgerechnet. (Bild: M. J. Humphry, Nat. Commun.)
Die 1933 entwickelte TEM ist mittlerweile ein etabliertes Instrument, das von den Biowissenschaften bis zur Materialforschung umfangreiche Anwendung erfährt. Bereits 1936 hatte der Theoretiker Otto Scherzer jedoch festgestellt, dass die zur Fokussierung benötigten runden magnetischen Linsen aufgrund unvermeidbarer Konfigurationsprobleme starke Aberrationen,verursachen. Durch diese Abbildungsfehler sinkt die erreichbare Auflösung ungefähr um einen Faktor 100. Im Jahr 1947 konnte Scherzer dann zeigen, dass der Einsatz nicht-runder Linsen, wie Quadrupole und Sextupole, diesen Fehler korrigieren könnte. Erst seit 1997 jedoch ist diese Technik erfolgreich im Einsatz. Man erreicht heute mit den komplexesten Systemen Auflösungen bis hin zu 0,05 Nanometer, liegt damit aber immer noch etwa einen Faktor 25 über dem durch die Wellenlänge begrenzten Auflösungslimit.
Die weitere Entwicklung der TEM gestaltet sich auch deshalb schwierig, weil nicht nur Aberrationen höherer Ordnung, sondern auch die Energieverteilung der Elektronen eine kohärente Abbildung erschweren. Die ptychographische Elektronen-Mikroskopie umgeht diese Schwierigkeiten, indem sie auf die Fokussierung des Strahls verzichtet. Stattdessen wird aus den Interferenzmustern des Streubildes das Ursprungsbild berechnet. Die Linsenfehler können so prinzipiell vermieden werden. Zwar gibt es bereits andere Methoden, die ebenfalls in der Lage sind, Aberrationsfehler zu auszuschließen. Diese Methoden sind jedoch auf ein extrem kleines Blickfeld beschränkt, was ihren Anwendungsbereich stark einschränkt. Die neue Methode hingegen ermöglicht die Vermessung von größeren Untersuchungsobjekten.
Die Ptyographie mit Elektronen funktioniert so : Das Objekt wird rasterweise abgebildet, wobei ein starker Überlapp zwischen den benachbarten Quadraten besteht. Die nacheinander beleuchteten Quadrate sind 20 bis 40 Nanometer groß. Durch den kohärenten Elektronenstrahl entstehen im Dunkelfeld Beugungsbilder, in denen die Phaseninformation der abgelenkten Elektronen kodiert ist. Eine Fouriertransformationen der Beugungsbilder des Dunkelfeldes ergibt ein Bild des Originalobjekts. Aufgrund des Überlapps zwischen den Bildern entstehen Redundanzen, die eine schnelle Berechnung der einzelnen Bilder erlauben. Bei 100 bis 900 Einzelbildern dauerte die Berechnung jedes einzelnen Bildes nur circa eine Sekunde. Wie Rodenburg erläutert, „war die Berechnung der Phaseninformation aus den Intensitäten der Beugungsbilder der entscheidende Durchbruch, denn daraus lässt sich die Struktur des Objektes zurückberechnen.“
Abb.: Ptychographische Aufnahme von Gold-Partikeln, Übersicht und Ausschnitt: Die durch den schwarzen Balken angegebene Größenskala ist 15 Nanometer in der Übersicht und 5 Nanometer im Ausschnitt. Betrag und Phase der Aufnahme sind hier kombiniert wiedergegeben, wobei der Betrag durch die Helligkeit, die Phase durch die Farbe dargestellt wird. (Bild: M. J. Humphry, Nat. Commun.)
Aufgrund der neuen Methode hängt die Auflösung nur noch von der Apertur des Detektors ab. Die Wissenschaftler erreichten bei einer sehr niedrigen Elektronenenergie von 30 Kiloelektronvolt eine Auflösung von 0,24 Nanometer was bereits um einen Faktor 5 besser ist als die mit konventioneller Technik zu erhoffenden 1,2 Nanometer. Eine solche Auflösung erzielen herkömmliche Elektronenmikroskope nur bei sehr viel höheren Energien um 200 Kiloelektronvolt.
Die Grenzen der Elektronen-Ptychographie bestehen in den verfügbaren Elektronenenergien, den möglichen Bestrahlungsschäden (vor allem bei biologischen Objekten) sowie in der Streuung und den Vibrationszuständen der Atome. Da die Ptychographie bei allen möglichen Elektronenenergien funktioniert, kann die jeweils praktikabelste Beschleunigungsspannung ausgewählt werden.
Mögliche Anwendungen sind einerseits die Aufnahme magnetischer Domänen und die Abbildung magnetischer und elektrischer Felder und innerer Potentiale von Atomen, andererseits aber auch alle Anwendungen der Elektronen-Holographie. Die Ptychographie besitzt zusätzlich den Vorteil hoher Auflösung und hohen Kontrastes, niedrigerer Anforderungen an Stabilität und Kohärenz des experimentellen Aufbaus sowie eines größeren Blickfeldes. Man plant bereits, bei der 2018 anvisierten Mondmission der ESA das neue Verfahren zur Untersuchung der Mondoberfläche einzusetzen.
Dirk Eidemüller