01.12.2005

Quantenbytes und 6-atomige Schrödingerkatzen

Zwei Forschergruppen haben die Zahl der Atome, die man kontrolliert verschränken kann, auf neue Rekordhöhen geschraubt.




Zwei Forschergruppen haben die Zahl der Atome, die man kontrolliert verschränken kann, auf neue Rekordhöhen geschraubt.

Die Physik der Quanteninformation hat wieder einen Meilenstein erreicht. Während die Gruppe von Dave Wineland in Boulder eine Schrödingerkatze aus sechs Berylliumionen herstellen konnte, präsentieren Rainer Blatt und seine Mitarbeiter in Innsbruck das erste Quantenbyte, gespeichert in acht Kalziumionen. Beide Forschergruppen haben damit die Zahl der Atome, die man kontrolliert verschränken kann, auf neue Rekordhöhen geschraubt.

Sowohl in Boulder als auch in Innsbruck wurden die Ionen in einer linearen Paul-Falle elektromagnetisch festgehalten. Die Ionen waren in der Falle aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur (Abb.). Durch Licht gekühlt, kamen sie schließlich soweit zur Ruhe, wie es Heisenbergs Unschärfebeziehung zuließ: Die Ionenkette bildete einen eindimensionalen Kristall, der sich in seinem Schwingungsgrundzustand befand. Dabei konnte jedes Ion ein Quantenbit oder Qubit tragen. Während die Boulder-Gruppe die Qubits auf die zwei Hyperfeinniveaus |F=2, m F=−2> und |F=1, m F=−1> der 9Be +-Ionen schrieb, benutzten die Innsbrucker Forscher dazu den S 1/2-Grundzustand und den metastabilen D 5/2-Zustand der 40Ca +-Ionen.

Acht Kalzium-Ionen gefangen in einer Paul-Falle. (Quelle: IQOQI)

Die Qubits wurden mithilfe von abgestimmten Laserpulsen auf die Ionen geschrieben. Dabei wurden die Ionen einzeln in die gewünschte quantenmechanische Überlagerung a|g>+b|e> des Grundzustands |g> und des angeregten Zustands |e> gebracht. Um die Ionen quantenmechanisch zu verschränken, hatten beide Forschergruppen schon bei früheren Experimenten auf ein Verfahren zurückgegriffen, das von Ignacio Cirac und Peter Zoller vorgeschlagen worden war.

Dazu wurde der anregende Laserpuls so abgestimmt, dass er nicht nur den internen, elektronischen Zustand des bestrahlten Ions veränderte, sondern auch die Ionenkette anstieß und aus dem Schwingungsgrundzustand in den ersten angeregten Zustand brachte. Dabei wurde der interne Zustand des bestrahlten Ions mit dem Schwingungszustand der Ionenkette verschränkt. Weitere, auf die anderen Ionen gerichtete Laserpulse verschränkten diese ebenfalls mit den Schwingungen der Kette. Nachdem die Kette wieder in ihren Schwingungsgrundzustand zurückgebracht worden war, waren schließlich die internen Zustände aller Ionen in der Falle miteinander verschränkt.

Dave Wineland und seinen Mitarbeitern vom NIST ist es auf diese Weise gelungen, sechs Berylliumionen in einen Zustand zu bringen, in dem die Ionen zugleich angeregt und nicht angeregt waren. Ihr Zustand |eeeeee> + |gggggg> entsprach somit dem Zustand von Schrödingers bedauernswerter Katze, die sich vorübergehend in einer quantenmechanischen Überlagerung der Zustände |lebendig> und |tot> befindet. Während die Katze, durch störende innere und äußere Einflüsse bedingt, augenblicklich in einen der beiden Zustände gebracht wird und dann definitiv lebendig oder tot ist, kann der Zustand der sechs Ionen immerhin 150 µs lang in der Schwebe bleiben. Da für die Herstellung der Schrödingerkatze aus sechs Berylliumionen 50 µs benötigt werden, stößt das Verfahren hier vorerst an Grenzen.

Die Österreichischen Forscher konnten sich deutlich mehr Zeit lassen, ihre Kalziumionen in einen besonders robusten verschränkten Quantenzustand zu bringen. Bis zu einer Millisekunde dauerte es, einen so genannten W-Zustand herzustellen, bei dem von N Ionen in der Falle N–1 im angeregten Zustand waren und eines im Grundzustand, wobei offen blieb welches; also z. B.: |W 4> = ½ (|geee> + |egee> + |eege> + |eeeg>). Die Verschränkung eines solchen W-Zustands ist besonders robust. Sie bleibt selbst dann erhalten, wenn eines der Ionen verloren geht.

Um zu zeigen, dass sich die Ionen tatsächlich in dem gewünschten verschränkten W-Zustand befanden, mussten die Forscher erheblichen Aufwand treiben. Mit Laserpulsen regten sie die Ionen aus dem W-Zustand heraus auf viele unterschiedliche Weisen an und registrierten ihr Fluoreszenzleuchten. Für acht Ionen mussten Blatt und seine Kollegen rund 650.000 Experimente durchführen, was mehr als zehn Stunden dauerte. Erst dann war es möglich, mit großem Computeraufwand den Quantenzustand der acht Ionen mit hinreichender Genauigkeit zu rekonstruieren. Tatsächlich war es bei den Experimenten mit vier, fünf, sechs, sieben und schließlich acht Ionen gelungen, einen W-Zustand herzustellen.

Mit der nachgewiesenen kontrollierten Verschränkung von acht Ionen haben die Österreichischen Forscher das erste Quantenbyte erzeugt, bearbeitet und ausgelesen. Sie sind zuversichtlich, dass sich mit ihrer Methode noch eine wesentlich größere Zahl von Ionen kontrolliert verschränken lässt, wie es für einen leistungsfähigen Quantencomputer nötig wäre, der herkömmlichen Rechnern turmhoch überlegen sein wird. Doch schon jetzt zeigt es sich, dass herkömmliche Rechner bald an ihre Grenzen stoßen werden, wenn sie die Quantenoperationen analysieren sollen, die an einer Handvoll Ionen in Millisekunden ablaufen.

Rainer Scharf

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