03.11.2021 • QuantenphysikBiophysik

Quantenphysik in Proteinen

Künstliche Intelligenz liefert zuvor unerreichte Einblicke in die Funktion von Biomolekülen.

Eine neue Analysemethode liefert bislang unerreich­bare Einblicke in die extrem schnelle Dynamik von Bio­mole­külen. Ein Forscher­team um Abbas Ourmazd von der University of Wisconsin in den USA und Robin Santra vom DESY hat die Kombination aus Quanten­physik und Molekular­biologie entwickelt und konnte damit verfolgen, wie das photo­aktive gelbe Protein in weniger als einer billionstel Sekunde seine Struktur ändert, nachdem es durch Licht angeregt worden ist.

Abb.: Ein Quanten­wellen­paket nahe einer ko­ni­schen Durch­schnei­dung...
Abb.: Ein Quanten­wellen­paket nahe einer ko­ni­schen Durch­schnei­dung zweier Quanten­zu­stände. Das Wellen­paket re­prä­sen­tiert die kol­lek­ti­ve Be­we­gung meh­re­rer Ato­me im photo­ak­ti­ven gel­ben Pro­tein. Ein Teil des Wellen­pakets be­wegt sich über die Durch­schnei­dung von einer Po­ten­zial­fläche auf die an­dere. Der rest­liche An­teil ver­bleibt auf der obe­ren Fläche, und es ent­steht eine Über­la­ge­rung der bei­den Quan­ten­zu­stände. (Bild: N. Breck­woldt, DESY)

„Um biochemische Vorgänge wie beispiels­weise die Photo­synthese in bestimmten Bakterien genau zu verstehen, ist es wichtig, den detail­lierten Ablauf zu kennen“, erläutert Santra die Motivation. „Wenn photo­aktive Proteine von Licht getroffen werden, ändern sie ihre räumliche Struktur, und diese Struktur­änderung bestimmt die Rolle, die ein Protein in der Natur übernimmt.“ Bislang ist es aller­dings kaum möglich, den genauen Verlauf solcher Struktur­änderungen zu verfolgen. Es lassen sich lediglich Anfangs- und Endzustand eines Moleküls vor und nach einer Reaktion bestimmen und theoretisch deuten. „Aber wie die Energie- und Form­änderung dazwischen genau abläuft, wissen wir nicht“, so Santra.

Der Energiezustand eines Moleküls lässt sich sehr genau mit Hilfe der Spektro­skopie bestimmen. Und zur Analyse der Form von Molekülen nutzen Forscher die Strahlung eines Röntgen­lasers. Dank der sehr kurzen Wellen­länge lassen sich so sehr kleine räumliche Strukturen entschlüsseln, etwa die Positionen der Atome in einem Molekül. Allerdings entsteht dabei kein Abbild wie bei einem Foto, sondern ein charakte­ris­tisches Streumuster der Röntgen­strahlen, aus dem sich die räumliche Struktur berechnen lässt.

Da die Bewegung auf der Molekül­ebene extrem schnell ist, müssen die Wissen­schaftler äußerst kurze Röntgen­blitze verwenden, weil die Aufnahme sonst verschmiert. Erst mit der Erfindung der Röntgen­laser ist es möglich, ausreichend helle und kurze Röntgen­blitze zu produzieren, um diese Dynamik fest­zu­halten. Da sich die Molekül­dynamik im Bereich der Quanten­physik abspielt, lassen sich die Messungen ohne eine quanten­physika­lische Analyse allerdings nicht verstehen.

Dabei gibt es eine Besonder­heit der photo­aktiven Proteine zu beachten: Durch das einge­strahlte Licht geht ihre Elektronen­hülle in einen angeregten Quanten­zustand über, der eine erste Form­änderung des Moleküls bewirkt. Diese Form­änderung wiederum kann zu einer Über­schneidung des angeregten und des Grund-Quanten­zustands führen. Die Folge ist ein Quanten­sprung vom angeregten zurück in den Grund­zustand, wobei die geänderte Form des Moleküls zunächst bestehen bleibt. Die trichter­förmige Über­schneidung der Quanten­zustände heißt konische Durch­schneidung und öffnet einen Pfad zu einer neuen räumlichen Struktur des Proteins im quanten­mecha­nischen Grund­zustand.

Dem Team um Santra und Ourmazd ist es nun erstmals gelungen, die Struktur­dynamik eines photo­aktiven Proteins an einer solchen trichter­förmigen Über­schneidung zu enträtseln. Dabei griffen sie auf Hilfe durch maschinelles Lernen zurück. Denn für eine solche Beschreibung der Dynamik müssten eigentlich alle Bewegungs­möglich­keiten aller beteiligten Teilchen betrachtet werden. Das führt jedoch schnell zu unüber­sicht­lichen, nicht mehr lösbaren Rechnungen.

„Das photoaktive gelbe Protein, das wir untersucht haben, besteht aus etwa zwei­tausend Atomen“, berichtet Santra. „Da sich jedes Atom grund­sätzlich in allen drei Raum­dimen­sionen bewegen kann, gibt es insgesamt 6000 Bewegungs­optionen. Das führt zu einer quanten­mecha­nischen Rechnung mit 6000 Dimensionen – und die ist selbst mit den heute leistungs­stärksten Computern nicht lösbar.“

Per Computeranalyse basierend auf maschinellem Lernen ließen sich jedoch kollektive Bewegungs­muster der Atome in dem komplexen Molekül identi­fi­zieren. Der Computer konnte die 6000 Dimensionen auf diese Weise auf vier reduzieren. Mit der Demonstration dieser neuen Methode kann Santras Team auch erstmals eine konische Durch­schneidung von Quanten­zuständen in einem komplexen Molekül aus Tausenden von Atomen charakte­ri­sieren.

Die detaillierte Rechnung zeigt, wie sich dieser konische Trichter in dem vier­dimen­sionalen Raum bildet und das photo­aktive gelbe Protein durch ihn nach einer Anregung mit Licht seine Struktur ändert und dabei wieder in den Ausgangs­quanten­zustand zurück­fällt. Diesen Ablauf können die Wissen­schaftler nun in Schritten von einigen Dutzend Femto­sekunden beschreiben und so zum Verständnis der photoaktiven Prozesse beitragen. „So liefert die Quanten­physik neue Einblicke in ein bio­lo­gisches System, und die Biologie bringt neue Anregungen für die quanten­mecha­nische Methodik“, sagt Santra, „Beide Gebiete befruchten sich dabei gegen­seitig.“

DESY / RK

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