Quantenphysikalische Phasen nur bei kleinen Spinwerten
Neue Erkenntnisse über magnetische Quanteneffekte in Festkörpern.
Mit einer neuen theoretischen Methode gelang es einem internationalen Forscherteam erstmals, magnetische Quanteneffekte im dreidimensionalen Pyrochlor-Heisenberg-Modell systematisch zu untersuchen. Überraschende Erkenntnis: Nur bei kleinen Spinwerten bilden sich quantenphysikalische Phasen.
In kristallinen Festkörpern sind Atome oder Moleküle in einem regelmäßigen dreidimensionalen Gitter angeordnet. Dabei wechselwirken die Atome über verschiedene Kräfte miteinander, um einen Zustand minimaler Energie zu finden. Nahe dem absoluten Nullpunkt auf der Temperaturskala frieren die Gitterschwingungen ein, sodass Wechselwirkungen zwischen Elektronenspins dominieren. Ein besonders interessanter Fall tritt auf, wenn sich die Spins nicht alle gleichzeitig so ausrichten können, dass ein Zustand niedrigster Energie erreicht wird. So bildet sich ein frustriertes System, in dem die Spins nahezu ungeordnet sind und daher als Spinflüssigkeit bezeichnet werden.
Eines der führenden Modelle, um 3D-frustrierte Quantenmagnete zu untersuchen, ist das Heisenberg-Modell auf einem Pyrochlor-Gitter, einer einfachen kubischen Kristallstruktur. Dennoch war es bislang extrem schwierig, aus diesem theoretischen Modell Erkenntnisse für die Praxis, also für konkrete Materialien und Temperaturen, abzuleiten.
Jetzt haben Forscher aus Deutschland, Japan, Kanada, Australien und Indien gemeinsam mit Hilfe einer neuen theoretischen Methode dieses Modell systematisch untersucht und dabei einige dieser Schwierigkeiten gelöst. Damit ist es möglich, sowohl den Spinwert der Gitteratome als auch die Temperatur und weitere Wechselwirkungsparameter zu variieren und zu berechnen, in welchen Parameterbereichen neuartige magnetische Quanteneffekte auftreten. Die Berechnungen wurden am Leibniz Supercomputing Centre in München durchgeführt.
„Wir konnten zeigen, dass quantenphysikalische Effekte überraschenderweise nur in sehr begrenzten Parameterbereichen auftreten“, erläutert Johannes Reuther vom Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie, einer der beteiligten Forscher. Beim kleinstmöglichen Spin mit dem Wert 1/2 sind solche Quanteneffekte am stärksten ausgeprägt. Spin-Systeme mit der untersuchten Kristallstruktur verhalten sich jedoch schon ab Spin-Werten von 3/2 nahezu klassisch. Die Arbeit des Teams vertieft das Verständnis von Festkörpern und trägt dazu bei, die Suche nach 3D-Spinflüssigkeiten in Quantenmaterialien systematisch voranzutreiben.
HZB / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
Y. Iqbal et al.: Quantum and Classical Phases of the Pyrochlore Heisenberg Model with Competing Interactions, Phys. Rewv. X 9, 011005 (2019); DOI: 10.1103/PhysRevX.9.011005 - Nachwuchsgruppe Berlin Joint Lab für Quantenmagnetismus (J. Reuther), Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie GmbH