Quantensimulation von Eichfeldern
Quantisierte Eichfelder koppeln an ultrakalte Materie.
Die Wechselwirkung zwischen Feldern und Materie ist ein wiederkehrendes Thema in der Physik. Klassische Fälle wie die Bahnen eines Himmelskörpers, der sich im Gravitationsfeld anderer bewegt, oder die Trajektorie eines Elektrons in einem Magnetfeld sind wohlbekannt, und Vorhersagen können mit erstaunlicher Genauigkeit gemacht werden. Wenn jedoch der Quantencharakter der beteiligten Teilchen und Felder explizit berücksichtigt werden muss, wird die Situation schnell ziemlich komplex. Und wenn das Feld zusätzlich vom Zustand der Teilchen abhängt, die sich in ihm bewegen, dann können die Berechnungen ausser Reichweite selbst der leistungsstärksten Computer rücken.
Die Einschränkungen bei der Erforschung dynamischer Wechselwirkungen zwischen Feldern und Materie behindern den Fortschritt in verschiedensten Bereichen der Physik, von der Festkörper- bis zur Hochenergiephysik. Es gibt jedoch einen alternativen Ansatz: Statt die Dynamik zu berechnen, kann sie simuliert werden. Bekanntermaßen wurden für Planetensysteme lange vor der Entwicklung von Computern mechanische Modelle gebaut – Orreries oder „Planetenmaschinen“. Im Gebiet der Quantenmechanik wurden in den letzten Jahren Quantensimulatoren entwickelt, bei denen die unbekannte Dynamik eines Quantensystems mittels eines anderen, besser kontrollierbaren Quantensystems ;nachgebildet wird. Frederik Görg und Kollegen in der Gruppe von Tilman Esslinger am Institut für Quantenelektronik haben nun wesentliche Fortschritte bei der Entwicklung von Quantensimulatoren gemacht, die zur Lösung allgemeiner Problemklassen eingesetzt werden könnten, bei denen die Dynamik von Materie und Felder gekoppelt sind.
Görg und Kollegen haben sich nicht direkt auf Gravitations- oder elektromagnetische Felder konzentriert, sondern auf Eichfelder. Hierbei handelt es sich um Hilfsfelder, die in Experimenten normalerweise nicht direkt beobachtbar sind, aber umso wichtiger sind als ein einheitlicher Rahmen für die mathematische Behandlung der Wechselwirkungen zwischen Teilchen und Feldern. Als zentrales Konzept in der Physik bieten Eichfelder einen einzigartigen Zugang zum Verständnis von Kräften, der elektromagnetischen Kraft ebenso derjenigen, die subatomare Teilchen zusammenhalten. Infolgedessen besteht ein erhebliches Interesse an Quantensimulationen von Eichfeldern, in der Hoffnung, dass diese einen neue Einblicke in Szenarien bieten, die derzeit nicht mittels Berechnungen oder Computersimulationen untersucht werden können.
Eine der derzeit führenden Plattformen zur Simulation komplexer Quantensysteme basiert auf Atomen, die auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt abgekühlt und in durch Laserlicht erzeugten Gitterstrukturen gefangen werden. Eine wesentliche Entwicklung der letzten Jahre war die Erkenntnis, dass solche ultrakalte Atome dazu verwendet werden können, das Verhalten von Elektronen in einem Magnetfeld nachzuahmen, und dies obwohl die Atome elektrisch neutral sind. Der Schlüssel, dies zu erreichen, ist die Verwendung externer Steuerparameter, um den Quantentunnelprozess zu steuern, durch welchen sich die Atome zwischen benachbarten Gitterplätzen bewegen. Durch eine geeignete Anpassung der komplexen Phase, welche die Quantenteilchen in einem Tunnelereignis aufnehmen – der Peierls-Phase – können die neutralen Atome dazu gebracht werden, sich genau wie geladene Teilchen zu verhalten, die sich in einem Magnetfeld bewegen. Die erzeugte Dynamik in diesen synthetischen Eichfeldern kann mit derjenigen klassischer Orrerien verglichen werden, in denen sich die Modellplaneten so bewegen, als ob sie der erheblichen Gravitationskraft eines zentralen Körpers ausgesetzt wären, und so das Verhalten realer Planeten nachahmen.
Die Esslinger-Gruppe und andere haben ultrakalte Atome bereits zuvor dazu benutzt, künstliche Eichfelder zu erzeugen, die aus komplexen Tunnelphasen resultieren. Bisher waren diese künstlichen Felder jedoch intrinsisch klassisch, ohne Rückwirkung von den Atomen auf das Eichfeld. Die neue Arbeit hat nun Aufmerksamkeit erregt, weil sie einen flexiblen Weg gefunden haben, um eine Kopplung zwischen Atomen und Eichfeldern zu erreichen. Sie haben ein Verfahren implementiert, um die Peierls-Phase davon abhängig zu machen, wie die Atome im Gitter verteilt sind. Wenn sich die Verteilung infolge der Wechselwirkung mit dem Eichfeld ändert, wird das Eichfeld selbst geändert. Dies ist so, als würde die Drehgeschwindigkeit des Orrery je nach Planetenkonstellation erhöht oder verlangsamt. Bei einem Quantensimulator für Quanteneichfelder ist jedoch die Wechselwirkung zwischen den Teilchen ein wesentlicher Bestandteil.
In den Experimenten, über sie jetzt berichten, haben die Physiker ein optisches Gitter geschaffen, das aus Dimeren besteht, die jeweils zwei benachbarte Gitterplätze umfassen, an denen sich fermionische Atome entweder einzeln oder paarweise befinden können. Das Tunneln zwischen den Gitterplätzen des Dimers wird durch Schütteln des Gitters bei zwei verschiedenen Frequenzen gesteuert. Die Frequenzen und Phasen der Modulation werden so gewählt, dass die Peierls-Phase zwischen den Gitterorten davon abhängt, ob ein Atom sein Dimer mit einem anderen Atom mit entgegengesetztem Spin teilt oder nicht.
Der Schritt zur Entwicklung von Eichfeldern, die an ultrakalte Materie gekoppelt sind, ist wichtig. Ultrakalte Atome in optischen Gittern sind bereits als vielseitige Plattform für Quantensimulationen etabliert, einschließlich der Emulation komplexer elektronischer Phänomene, die in Festkörpermaterialien auftreten. Die aktuelle Arbeit zusammen mit jüngsten Entwicklungen aus anderen Gruppen, verspricht, dass in nicht allzu ferner Zukunft auch komplexere Quanteneichfelder untersucht werden können, insbesondere solche, die in der Hochenergiephysik auftreten und aktuelle klassische Simulationsansätze an ihre Grenzen bringen.
Eine Stärke des neuen Ansatzes ist, dass er für die Konstruktion einer Vielzahl von quantisierten Eichfeldern verwendet werden kann, über das spezifische Szenario hinaus, das nun experimentell untersucht wurde. Dies zeigen die Forscher ;anhand theoretischer Überlegungen. Und da die Arbeit auch exquisite experimentelle Kontrolle über ein fein abstimmbares atomares Vielkörpersystem demonstriert, gibt es jetzt die klare und faszinierende Aussicht auf ein modernes Orrery, das Einblicke nicht in Bewegungen am Himmel gewährt, sondern tief in die Quantenwelt.
ETHZ / JOL