Quantensprünge auf der Waage und im Zeitraffer 

Jahresrückblick Atom- und Quantenphysik 2020.

In den letzten Jahren haben die divergierenden Messungen zum Radius des Protons einige Fragen aufgeworfen. Von unver­standenen Messfehlern bis hin zu neuer Physik reichten die Hypothesen. Mit Hilfe einer neuen, komplementären Frequenzkamm-Methode haben Forscher um Theodor Hänsch vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik nun den Protonradius mit einer Präzision bis auf die dreizehnte Nachkomma­stelle bestimmen können. Die Ergebnisse sprechen für einen kleineren Protonradius und könnten helfen, dieses Rätsel zu lösen. Und Forscher der Alpha-Kollaboration am Cern konnten erstmals die Lamb-Verschiebung von Antiwasserstoff bestimmen. Hier kam es vorerst noch zu keinen rätsel­haften Ergebnissen. Sie passt innerhalb der erwartungs­gemäß noch nicht ganz kleinen Fehlerbalken zu denen von gewöhnlichem Wasserstoff. In Zukunft werden derartige Messungen aber zu wichtigen nieder­energetischen Tests des Standardmodells werden, mit denen Forscher insbesondere die CP-Symmetrie und die Frage nach dem Verhältnis von Materie und Antimaterie angehen wollen.

Dass auch mit wenigen Atomen überraschende Vielteilchen­effekte möglich sind, demonstrierte ein Heidelberger Team. Bereits mit nur sechs ultra­kalten Atomen, die in einem fokussierten Laserstrahl gefangen waren, konnten die Wissenschaftler in ihrem Quantensimulator das emergente Phänomen eines Phasenübergangs nachweisen, wie es für ein Vielteilchensystem erwartet wird. Ebenfalls in Heidelberg ließ sich erstmals die Massen­veränderung einzelner Atome bei einem Quantensprung ermitteln. Dieser relativistische Effekt ist zwar winzig klein. Mit Hilfe ihrer ultrapräzisen Pentatrap-Atomwaage konnten die Forscher ihn aber an Rhenium-Atomen feststellen, indem sie die Umlaufzeiten angeregter und unangeregter Atome in der Falle maßen. 

Erstmals gelang auch die Laserspektro­skopie an kurzlebigen Molekülen. Gerade an Molekülen, die sehr schwere, radioaktive Elemente enthalten, lassen sich bestimmte fundamentale Tests der Naturgesetze wie etwa die Überprüfung von Symmetrie­verletzungen durchführen. Am Isotopen­separator Isolde konnten Forscher kurzlebiges Radiummono­fluorid laserspektroskopisch untersuchen, wozu es aufwändig heruntergekühlt werden mussten. Eine andere ultrapräzise Methode zur Spektroskopie superschwerer Elemente hat ein weiteres Forscherteam entwickelt. Mit der Laserresonanz-Chroma­tographie lässt sich auch bei kleinsten Produktions­mengen Atom­spektroskopie betreiben, was gerade bei den schwer zu erzeugenden und oft sehr kurzlebigen superschweren Elementen notwendig ist. Die Idee bestand darin, die Produkte resonanter optischer Anregungen anhand ihrer charak­teristischen Driftzeit zu einem Teilchendetektor zu detektieren und nicht wie sonst üblich anhand von Fluoreszenzlicht.

Schnelle Messungen machen Quantenprozesse sichtbar

Ebenfalls mit äußerster Präzision ermittelte ein Wissen­schaftlerteam, wie lange ein Lichtpuls zur Durchquerung eines Wasserstoffmoleküls benötigt. Mit nur 247 Zeptosekunden ist dies die kürzeste Zeitspanne, die je gemessen werden konnte. Dazu bestrahlten die Forscher ein Wasserstoff­molekül mit Röntgenlicht aus Petra III am Desy, wobei der Röntgenpuls kurz nacheinander beide Elektronen aus dem Molekül herausschlug. Aus der Interferenz der entstehenden Elektronen­wellen ließ sich über ein Reaktionmikroskop diese ultrakurze Zeitdauer ermitteln. Nochmals deutlich hochenerge­tischere Pulse soll künftig die Gamma-Strahlen­quelle am Cern bereit­stellen. Nach den Plänen der Gamma Factory Initiative sollen spezielle Ionenstrahlen im SPS- und LHC-Speicherring mit Laserstrahlen zur Emission von hoch­intensiven Gammapulsen angeregt werden. Das könnte Spektroskopie an Atomkernen und neue fundamentale Tests möglich machen.

Quanten beim Springen zuzusehen, hätte Niels Bohr bestimmt Freude bereitet. Mit einem Laser untersuchten Forscher eine Quantenmessung, wobei sie die Quanten­zustände zu unter­schiedlichen Zeiten festhielten. Diese Aufnahmen ließen sich zu einer Zeitreihe zusammensetzen, so dass die konti­nuierliche Entwicklung des Messvorgangs sichtbar wurde. Mittels Pump-Probe-Spektroskopie im extremen Ultraviolettgelang es einem anderen Team, das Schwingungsmuster von Elektronen in Argon-Atomen über Inter­ferenzen aufzuzeichnen. Auf solche Weise sollten sich auch viele andere atomare und molekulare Prozesse untersuchen lassen. Und in einem Hyper-Hyperkagome-Gitter haben Forscher eine dreidimensionale Spin-Flüssigkeit entdeckt. In einem solchen System dominieren Quantenfluktuationen die magnetischen Wechsel­wirkungen aufgrund geometrischer Zwänge im Kristall­gitter. Selbst bei Temperaturen nahe am absoluten Nullpunkt sind die Spins gezwungen zu fluktuieren. 

Hallendes Vakuum und heiße Bose-Einstein-Kondensate

Das Quantenvakuum ist eines der rätsel­haftesten Phänomene der modernen Physik. Vakuumfluktuation erzeugen normalerweise nur winzige, kaum nachweisbare Effekte. In speziellen Halbleiter­strukturen lassen sich diese aber verstärken. Beim Ausschalten der Kopplung von Licht- und Materiefeldern führt dies zu einem Nachhallen des Quantenvakuums. Damit könnten sich künftig quantenchemische Prozesse beeinflussen lassen. Und fliegt man beschleunigt durch das Quantenvakuum, so befindet man sich plötzlich in einem Wärmebad voller Teilchen. Dieser Unruh-Effekt ist mit der Hawking-Strahlung von schwarzen Löchern verwandt. Nach einem interes­santen theoretischen Vorschlag könnte dieser Effekt in Bose-Einstein-Kondensaten verwirklicht werden. Denn während diese Kondensate bislang üblicher­weise bei extrem tiefen Temperaturen existieren, könnten derartige Experimente in Zukunft einfacher werden. In einem schnell gekühlten Magnongas entsteht ein Bose-Einstein-Kondensat bei Raum­temperatur. Dabei stellt sich das Kondensat von selbst ein, ohne dass man seine Entstehung forcieren muss.

Es ist eine bereits fünfzig Jahre alte Vermutung, dass die elektrische Ladung eines Elektrons und sein Spin sich in einer lediglich eindimen­sionalen Quantenwelt voneinander trennen lassen. Dass dies auch der Realität entspricht, konnten Forscher nun mit Hilfe eines Quanten­simulators experimentell bestätigen. In einer Kette aus Atomen wanderten Ladungs- und Spinstörungen getrennt voneinander und sogar in entgegen­gesetzte Richtungen. Ladung und Spin waren völlig unabhängig voneinander, was zu interessanten Anwendungen in der Quanten­informations­verarbeitung führen könnte. Ein anderes Team konnte in Halbleiter-Nanopunkten den strahlenden Auger-Prozess bestätigen, der bislang ebenfalls nur theoretisch vorhergesagt war. Auch das ist interessant für die Quantenkommunikation, weil sich damit die quanten­mechanischen Energieniveaus von Quantenpunkten präzise charakterisieren lassen. Und Josephson-Oszillationen sind nicht auf Supraleiter beschränkt, sondern lassen sich auch in einem zweidimensionalen Fermigas beobachten. Dies gelang Forschern anhand einer Atomwolke aus nur wenig tausend Atomen, die bei Temperaturen von wenigen Mikrokelvin supraflüssig wurde. Der Transport von gespeicherten Photonen in einer Atomwolke ist einem anderen Team geglückt. Die Forscher sperrten die Lichtteilchen in eine Wolke aus ultrakalten Rubidiumatomen und bewegten dieses Speichermedium anschließend über 1,2 Millimeter. Solche Photonen­förderbänder könnten künftig auch für die Quanten­informations­verarbeitung nützlich werden.

Neue Ideen für Quantencomputing und Quanteninternet

Es gibt eine Vielzahl von Modellsystemen für Quanten­computer, die allesamt ihre Vor- und Nachteile besitzen. Nicht zuletzt Quantencomputer auf Ionenbasis gelten als vielver­sprechend, da sie geringe Fehlerraten aufweisen. Dies ist insbesondere für eine Skalierung hin zu ernsthaft konkurrenzfähigen Quantencomputern mit vielen Qubits bedeutsam. Eine besondere Variante solcher Systeme sind Quantencomputer mit Rydberg-Ionen, mit denen sich besonders schnelle und gut anzusprechende Quanten­prozessoren bauen lassen. Ein solches System konnte nun ein internationales Team realisieren. Wenn allerdings beim Quantenrechnen die Quanteninformationen verloren gehen, kann der Rechenprozess irreversibel unterbrochen werden. Abhilfe schaffen kann hier nur eine solide Quantenfehlerkorrektur. Ein neues Konzept erlaubt es nun Ionenfallen-Quanten­computern, dank einer solchen Korrektur den Verlust von Qubits in Echtzeit auszugleichen. Diese Fähigkeit sollte sich auch auf andere Quantencomputer­architekturen und Quanten­kommunikations­protokolle übertragen lassen. Nicht nur für die Quanten­kommunikation interessant sind Fehlstellen-Zentren in Kristallen, da sie besonders geschützte Spin-Zentren mit hohen Kohärenzzeiten aufweisen. Während Stickstoff-Fehlstellen in Diamant sich bereits einiger Popularität erfreuen, ist es erstmals gelungen, Spinzentren auch in Bornitrid-Kristallen experimentell nachzuweisen. Das sollte künftig auch für Hetero­strukturen mit diesem Material spannende Möglich­keiten eröffnen.

Um Daten abhörsicher per Quantentele­kommunikation übertragen zu können, benötigt das Quanteninternet der Zukunft neuartige Lösungen. Denn bei konventionellen Übertragungs­techniken gehen zu viele Photonen verloren oder der empfindliche Quantenzustand wird gestört. Ein Quanten-Modem mit Erbiumatomen läuft jetzt bei gängigen Telekom-Frequenzen, wie sie weltweit in Glasfaserkabeln genutzt werden. Mit Hilfe solcher Schnittstellen könnte es möglich werden, die Kosten für Quantenkommunikation zu begrenzen, weil man damit auf einen guten Teil der herkömm­lichen Infrastruktur zurückgreifen könnte. Aber auch in einem Quanteninternet sind je nach verwendeter Übertragungs­technik Lauschangriffe denkbar – etwa wenn die kommunizierenden Geräte nicht absolut vertrauens­würdig sind, wovon gängige Verschlüsselungs­protokolle üblicherweise ausgehen. Ein neues Quanten-Kommunikations­protokoll arbeitet mit künstlichem Rauschen, um ein Ausspähen auch dann zu verhindern, wenn die Infra­struktur nicht vertrauenswürdig ist. 

Will man leistungs­fähige Quanten­computer realisieren, könnte es sich als sinnvoll erweisen, mehrere kleine Quantenrechner zusammen­schalten. Hierzu benötigt man eine leistungsfähige Quantenverbindung. Die Stand März längste solche auf Mikrowellen basierende Verbindung steht an der ETH Zürich. Sie ist fünf Meter lang und basiert auf supraleitenden Schwingkreisen, die Mikrowellen-Photonen hin und her schicken können. Mit optischen Mitteln sind Quanten-Links über deutlich größere Entfernungen möglich. Einem Forscherteam gelang es, eine Verschränkung zwischen den Quanten­eigenschaften eines Atoms und eines Photons über eine Glasfaserstrecke von zwanzig Kilometern zu erzeugen. Das ist ein vielversprechender Schritt auf dem Weg hin zu Quantennetzwerken. Auch hierfür war es notwendig, die für die Experimente genutzten Übergänge im nahen Infrarot per Frequenzkonversion in die absorptionsarme Telekom-Wellenlängen um 1550 Nanometer umzuwandeln. Über noch größere Distanz, nämlich über 96 Kilometer Glasfaserstrecke unter dem Meer, konnten Forscher eine quanten­kryptographische Verbindung zwischen Sizilien und Malta einrichten. Hin und zurück liefen die Photonen sogar 192 Kilometer, was ebenfalls eine neue Bestmarke bedeutet. Wie diese Ergebnisse zeigen, ist ein europäisches Quanten­netzwerk keine Utopie mehr.

Dirk Eidemüller

 

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