Rätsel des „Roten Kruzifix“ gelöst?
Das Phänomen am Himmel des Jahres 775 erklärt sich womöglich doch durch kosmische Strahlung aus einem besonders starken Sonnenflare.
Letztes Jahr versetzten Messungen an den Baumringen alter japanischer Zedern weltweit Astronomen in Aufregung. Sie zeigten einen ungewöhnlich eine Isotopenverteilung mit einem starken Anstieg der kosmischen Strahlung um das Jahr 775. Über die Ursache gab es unterschiedliche Spekulationen. Die Sonne kam für viele Experten selbst mit ihren heftigsten Ausbrüche für einen so starken Partikelschauer nicht in Frage. Seitdem hat sich eine Kontroverse um die erhöhte kosmische Strahlung vor rund 1200 Jahren entfacht. Diese wurde durch ein historisches Dokument befeuert. Ein Eintrag in den „Angelsächsischen Chroniken“ beschreibt, wie am Himmel damals ein „Rotes Kruzifix“ erschienen sei.
Abb.: Baumringe wie diese erlauben eine jahresgenaue Datierung. In ihnen sind auch seltene Isotope nachweisbar, mit denen Forscher die Stärke der kosmischen Strahlung vor Jahrhunderten bestimmen können. (Bild: Arpingstone)
Einige Astronomen deuteten diese Leuchterscheinung als eine hinter dichten Staubschwaden verborgene Supernova. Sie hätte sich relativ nahe an der Erde befinden müssen, um einen so deutlichen Anstieg an Kohlenstoff-14 verursacht haben zu können, wie er in den japanischen Zedern vorlag. Allerdings fanden sich in chinesischen oder arabischen Annalen keine analogen Eintragungen zum Rote Kruzifix. Dort war die Astronomie zu jener Zeit aber deutlich weiter entwickelt als in Europa. Weiter ist unklar, wie eine so nah gelegene Supernova sich so gut hinter Staubschwaden „verstecken“ hätte können, dass sie der modernen Astronomie völlig entgangen ist.
Den Anstieg an kosmischer Strahlung im Jahr 775 konnten Wissenschaftler inzwischen auch an anderen Quellen nachvollziehen, und zwar weltweit. Es handelt sich folglich um ein globales und kein lokales japanisches Ereignis. Nicht nur Beryllium-10 aus polaren Eisbohrkernen, sondern auch die nun erstmals publizierten Daten einer deutschen Eiche aus dem Maingebiet weisen auf eine vergleichbar erhöhte kosmische Strahlung hin.
Ein internationales und interdisziplinäres Team hat deshalb die verschiedenen Daten mit einem globalen Modell des Kohlenstoffkreislaufs in Verbindung gebracht. Nach Meinung der Forscher haben die Autoren des ersten Papers zum Thema die Stärke des kosmischen Ereignisses deutlich überschätzt, etwa um einen Faktor fünf. Damit wäre weder eine Supernova noch ein Gammastrahlenausbruch erforderlich, um die beobachteten Mengen an Kohlenstoff-14 erklären zu können.
Stattdessen kommt aber nun doch ein Ausbruch unserer Sonne als Ursache in Frage. Dieser müsste zwar ein besonders starker und seltener Flare gewesen sein, wie er nur alle paar tausend Jahre vorkommt. Er läge aber immer noch im Bereich dessen, was die Sonne an zu leisten in der Lage ist. Und das „Rote Kruzifix“ wäre nach dieser Hypothese kein außergewöhnliches Himmelspektakel, sondern nur eine besonders ausgeprägte Aurora, wie sie zu jener Zeit häufiger gesichtet wurden.
Dirk Eidemüller
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