26.04.2023

Rätsel um Anregung von α-Teilchen

Theoretisch bestimmte und gemessene Kernkräfte stimmen nicht überein.

Am Mainzer Teilchen­beschleuniger „Mami“ hat die A1-Kolla­boration im Rahmen der Doktorarbeit von Simon Kegel die Anregung eines α-Teilchens von seinem Grundzustand zum ersten angeregten Zustand neu und mit bisher unerreichter Genauigkeit systematisch vermessen. Die Gegenüber­stellung von Experiment und aktuellen Berechnungen aus der zugehörigen Nieder­energie-Theorie zeigt, dass die Anregung von α-Teilchen basierend auf dem heutigen Verständnis von Kernkräften nicht korrekt beschrieben wird – und wirft damit viele Fragen auf. 

Abb.: Aufbau des MAGIX-Experiments - Mainz Gas Injection Target Experiment....
Abb.: Aufbau des MAGIX-Experiments - Mainz Gas Injection Target Experiment. (Bild: JGU)

Die Eigenschaften von Atomkernen wie etwa Größe oder Bindungsenergie werden maßgeblich von den Kernwechsel­wirkungen zwischen den Protonen und Neutronen innerhalb des Kerns bestimmt. Diese Wechsel­wirkungen lassen sich einerseits phänomeno­logisch beschreiben, andererseits können sie mittels moderner Ansätze systematisch berechnet werden, wobei insbesondere die chirale effektive Feldtheorie großes Potential verspricht. Je größer der Kern ist, desto komplizierter werden die Rechnungen, weshalb sich naturgemäß kleinere Kerne anbieten, um verschiedene Aspekte der Theorie heraus­zuarbeiten und mittels experi­menteller Daten zu überprüfen.

Der Atomkern eines 4He-Atoms besteht aus zwei Protonen und zwei Neutronen. Aufgrund der geringen Anzahl von Bestandteilen eignet er sich hervorragend für solche systematischen Untersuchungen und ist einer der am umfassendsten unter­suchten Atomkerne. An „Mami“ wurde nun die Anregung eines α-Teilchens von seinem Grundzustand in den ersten angeregten Zustand präzise untersucht. Dazu wurde der Monopol-Übergangs-Formfaktor in einem Elektronstreu­experiment bei kleinen Impulsüberträgen von den Elektronen auf den Kern vermessen mit dem Ziel, die Daten mit der derzeit besten theoretischen Vorhersage zu vergleichen. Die Genauigkeit dieser neuen Daten übertrifft die aus früheren Experimenten dramatisch, zumal die älteren Datensätze jeweils nur einen Teil des nun vermessenen Impulsüber­tragbereichs abdeckten.

Die nun extra­hierten Formfaktoren aus Experiment und Theorie zeigen zwar einen ähnlichen Verlauf als Funktion des Impulsübertrags, weichen jedoch signifikant um etwa einen Faktor Zwei voneinander ab. Die bisherigen Messungen hatten eine Diskrepanz zur Theorie bereits nahegelegt, die experi­mentellen Unsicher­heiten waren aber zu groß, um daraus Schlüsse ziehen zu können. Aufgrund der nun gesteigerten Präzision kann gefolgert werden, dass die Anregung des α-Teilchens nicht mittels der aktuell verfügbaren Beschreibung von Kernkräften akkurat reproduziert werden kann.

„Das Experiment wurde mit herausragend guter Kontrolle der systema­tischen Unsicher­heiten durchgeführt. Die Unstimmigkeiten mit den besten theoretischen Berechnungen sind somit ein ernster Hinweis darauf, dass entweder ein wichtiges Element der Kernwechsel­wirkungen übersehen wird, das sich bei diesem Monopolübergang besonders deutlich zeigt, oder dass die Eigenschaften des ersten angeregten Zustands des α-Teilchens sehr stark von kleinsten Details der Kernkräfte abhängen. Beide Möglich­keiten sind sehr interessant und inspirieren uns zu weiteren Studien“, sagt Concettina Sfienti.

Und tatsächlich bieten sich an dem gerade im Bau befindlichen Beschleuniger „Mesa“ auf dem Campus hervor­ragende Möglich­keiten zu experi­mentellen Folgeuntersuchungen. Im energie­rückgewinnenden Modus von Mesa wird ein Elektronen­strahl mit beachtlich hoher Strahlintensität bereitgestellt, der am Magix-Experiment mit einem Gas-Jet-Target zur Kollision gebracht wird. Die gestreuten Teilchen können mittels Magnet­spektrometern nachgewiesen werden, die für niedrige Energien optimiert sind. Dies erlaubt Messungen bei noch kleineren Impuls­überträgen als bei A1. Auch von theoretischer Seite her ist angedacht, Licht ins Dunkel dieses Nieder­energie-Rätsels für die Kernkräfte zu bringen. So sollen die Berechnungen des Übergangs-Formfaktors in der Gruppe von Sonia Bacca von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Rahmen chiraler effektiver Feldtheorie systematisch verbessert und im Detail studiert werden.

JGU Mainz / JOL

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