Rätsel um hochgeladene Ionen
Wie langsame Elektronen einem atomaren Cluster entfliehen können.
In den vergangenen dreißig Jahren wurden die Wechselwirkungen zwischen intensiven Lasern und Clustern in erster Linie als ein vielversprechender Weg angesehen, um hochenergetische Ionen und Elektronen zu erzeugen. In überraschendem Gegensatz zu diesem bis heute vorherrschenden Paradigma hat ein Forscherteam nun entdeckt, dass auch eine sehr große Zahl an relativ langsamen Elektronen in diesen Wechselwirkungen erzeugt werden. Diese niedrigenergetischen Elektronen stellen einen bisher fehlenden Zusammenhang her, um die Prozesse zu verstehen, die ein intensiver Laserpuls in einem Nanopartikel auslöst. Dies ist hochrelevant für die Abbildung von Biomolekülen auf ultrakurzen Zeitskalen.
Abb.: Simulation einer von Lasern induzierten Cluster-Explosion. (Bild: B. Schütte)
Wenn ein Nanopartikel einem intensiven Laserpuls ausgesetzt ist, verwandelt er sich in ein Nanoplasma, das sich extrem schnell ausdehnt. Verschiedene Phänomene finden dabei statt, die wichtig für Anwendungen sein könnten. Beispiele sind die Erzeugung hochenergetischer Elektronen, Ionen und neutraler Atome, die effiziente Erzeugung von Röntgenstrahlen, und sogar Kernfusion wurde beobachtet. Während diese Beobachtungen recht gut verstanden sind, hat eine andere Beobachtung, nämlich die Erzeugung hochgeladener Ionen, Forscher bisher vor ein Rätsel gestellt. Der Grund dafür ist, dass Modellrechnungen eine sehr effiziente Rekombination von Elektronen und Ionen im Nanoplasma vorhergesagt haben, was zu einer drastischen Reduzierung der Ladungszustände der Ionen führen würde.
Nun konnte ein internationales Forschungsteam vom Imperial College London, der Universität Rostock, dem Max-Born-Institut, der Universität Heidelberg sowie ELI-ALPS dieses Rätsel ansatzweise lösen. Winzige Cluster aus einigen tausend Atomen wechselwirkten mit ultrakurzen, intensiven Laserpulsen. Die Forscher fanden heraus, dass die große Mehrheit der emittierten Elektronen sehr langsam waren. Zudem wurden die niedrigenergetischen Elektronen mit einer Verzögerung im Vergleich zu den hochenergetischen Elektronen emittiert. Bernd Schütte, der die Experimente am Imperial College London durchgeführt hat und nun am Max-Born-Institut forscht, sagt: „Viele Faktoren wie zum Beispiel das Erdmagnetfeld beeinflussen die Bewegung langsamer Elektronen, was die Detektion sehr schwierig macht und erklärt, wieso diese Elektronen bisher noch nicht beobachtet wurden. Unsere Beobachtungen waren unabhängig von den spezifischen Cluster- und Laserparametern, und sie helfen uns dabei, die komplexen Prozesse auf der Nanoskala zu verstehen.“
Um die experimentellen Beobachtungen zu verstehen, haben Forscher um Thomas Fennel von der Universität Rostock und dem Max-Born-Institut die Wechselwirkung des intensiven Laserpulses mit dem Cluster simuliert. „Unsere atomistischen Simulationen haben gezeigt, dass die langsamen Elektronen aus einem Zwei-Stufen Prozess resultieren, wobei die zweite Stufe auf einem finalen Schwung beruht, der Forschern bisher entgangen ist“, erklärt Fennel. Zunächst löst der intensive Laserpuls Elektronen aus individuellen Atomen. Diese Elektronen bleiben im Cluster gefangen, da sie stark von den Ionen angezogen werden. Wenn sich diese Anziehung durch das Auseinanderdriften der Partikel während der Clusterexpansion verringert, wird die Bühne für den zweiten wichtigen Schritt bereitet. Dabei kollidieren schwach gebundene Elektronen mit einem hochangeregten Ion, was ihnen den finalen Schwung gibt, um dem Cluster zu entfliehen. Da diese korrelierten Prozesse sehr schwierig zu simulieren sind, waren die Computerressourcen des Norddeutschen Verbundes für Hoch- und Höchstleistungsrechnen (HLRN) wichtig, um das Rätsel zu lösen.
Das Ergebnis: die Emission langsamer Elektronen ist ein sehr effizienter Prozess ist, der es einer großen Zahl von langsamen Elektronen ermöglicht, dem Cluster zu entfliehen. Eine wichtige Konsequenz daraus ist, dass es sehr viel schwieriger für hochgeladene Ionen ist, Partner-Elektronen zu finden, mit denen sie rekombinieren können. Viele der Ionen verbleiben daher in hohen Ladungszuständen. Die Entdeckung der langsamen Elektronen kann erklären helfen, warum hochgeladene Ionen in Wechselwirkungen von intensiven Laserpulsen mit Clustern beobachtet werden. Diese Erkenntnisse könnten wichtig sein, da langsame Elektronen eine große Rolle für Strahlenschäden von Biomolekülen spielen, für die die Cluster ein Modell darstellen.
„Seit Mitte der 1990er Jahre haben wir an der Emission von energetischen Partikeln von atomaren Clustern in Laserfeldern gearbeitet. Es ist überraschend, dass bis jetzt die verzögerte Elektronenemission bei viel niedrigeren Energien übersehen wurde. Nun stellt sich heraus, dass dies ein sehr wichtiges Phänomen ist, das für die Mehrheit der emittierten Elektronen verantwortlich ist. Von daher könnte es eine große Rolle spielen, wenn kondensierte Materie oder große Moleküle jeglicher Art mit einem hochintensiven Laserpuls wechselwirken“, sagt Jon Marangos vom Imperial College London
FVB / JOL