Rätsel um Mars-Nordpol gelöst
Ablagerung und Erosion formten die nordpolare Eiskappe auf dem Roten Planeten.
Ablagerung und Erosion formten die nordpolare Eiskappe auf dem Roten Planeten.
Eine gewaltige Schlucht größer als der Grand Canyon und spiralförmig nach außen laufende Rinnen in der Eiskappe am Nordpol des Planeten Mars sind nicht durch fließendes Wasser, sondern über Jahrmillionen hinweg durch ein Wechselspiel aus Ablagerung und Erosion entstanden. Das zeigt die Auswertung von Radarmessungen mit dem amerikanischen Mars Reconnaissance Orbiter. Die Radar-Daten zeigen, dass die Eiskappe nicht aus gleichmäßigen Schichten besteht, wie bislang angenommen. Stattdessen zeigen die Schichten komplexe Strukturen, variieren in Dicke und Orientierung und verschwinden mitunter abrupt.
Abb.: Eiskappe am Nordpol des Planeten Mars. Die spiralförmig verlaufenden Rinnen sind gut zu erkennen, ebenso das Chasma Boreale. (Bild: NASA/JPL-Caltech/MSSS)
"Niemand hätte vermutet, dass es derart komplexe Strukturen in den Eisschichten gibt", erklärt Jack Holt von der University of Texas in Austin, einer der Projektleiter. "Die Schichten zeichnen die Geschichte der Eisbildung und der Erosion auf. Daraus können wir die Klimageschichte wesentlich detaillierter rekonstruieren als erwartet."
Die Eiskappe am Nordpol des roten Planeten ist rund drei Kilometer dick und bedeckt eine Fläche von etwa 700.000 Quadratkilometern. Besonders rätselhaft waren für die Forscher bislang zwei großräumige Strukturen in der Eiskappe: das Chasma Boreale, eine 560 Kilometer lange Schlucht, sowie eine Anzahl von Rinnen, die spiralförmig vom Zentrum der Eiskappe nach außen verlaufen.
Mit unterschiedlichen Szenarien haben die Wissenschaftler versucht, die Entstehung dieser Strukturen zu erklären. Vulkanische Hitze, so ein Ansatz, könnte das Eis von unten geschmolzen und zum Einbruch des Chasma Boreale geführt haben. Die spiralförmigen Rinnen dagegen sollten einem anderen Ansatz zufolge Spannungsrisse sein, die durch unterschiedliche Sonneneinstrahlung auf das Eis entstanden sind.
Doch der in den neuen Radardaten sichtbare Verlauf der Eis- und Staubschichten zeigt, dass die Strukturen primär durch Winderosion geformt wurden. Sie sind demnach nicht, wie bislang vermutet, in geologisch kurzen Zeiten entstanden, sondern im Verlauf von Jahrmillionen, während die Eiskappe selbst angewachsen ist. Die Topologie der älteren Eisschichten hat dabei die Windrichtungen beeinflusst und so das weitere Wachstum der Strukturen verstärkt und gesteuert.
Eine wichtige Rolle bei diesem Prozess spielen so genannte katabatische Winde, Strömungen aus relativ kühler, dichter Luft mit einer nach unten gerichteten Bewegungskomponente. Solche Winde wehen vom Nordpol des Mars über das Eisschild nach außen. Die Rotation des Planeten führt über die Corioliskraft zu einer Ablenkung der katabatischen Winde - sie wehen nicht gradlinig vom Pol nach außen, sondern folgen einem gebogen Verlauf. Entsprechend verlaufen auch die von diesen Winden erodierten Rinnen nicht gradlinig, sondern spiralförmig nach außen.
Der amerikanische Planetenforscher Alan Howard von der University of Virginia hatte ein solchen Prozess bereits 1982 auf Basis der Aufnahmen der Viking-Sonden für die Entstehung der Rinnen vorgeschlagen. Howard konnte seine damalige Idee jedoch nicht mit Messdaten untermauern. Die Radar-Messungen zeigen nun, dass die Schichten der Eisablagerungen im Bereich der Rinnen fast exakt so verlaufen, wie Howard es vermutet hat. Die Daten zeigen außerdem, dass die Rinnen relativ schnell eine stabile Morphologie erreicht hatten und dann im Verlauf von 2,5 Millionen Jahren 65 Kilometer in Richtung Pol gewandert sind.
Rainer Kayser
Weitere Infos
Weiterführende Literatur:
- J. Cutts, K. Blasius und W. Roberts: Evolution of Martian polar landscapes—interplay of long-termvariations in perennial ice cover and dust storm intensity. Journal of Geophysical Research 84, 2975 (1979)
- S. W. Squyres: The evolution of dust deposits in the Martian north polar region. Icarus 40, 244 (1979)
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