Rätselhafte Größe leichter Kalzium-Isotope
Hochpräzise Messungen verbessern die Beschreibung von Isotopenradien.
Da alle Atomkerne eine nahezu konstante Dichte in ihrem Inneren aufweisen, erwartet man, dass die Größe eines Atomkerns mit der Anzahl seiner Konstituenten kontinuierlich anwächst. Besonders genau messen kann man die Ladungsradien der Kerne, also die mittlere Ausdehnung ihrer Ladungsverteilung, entlang einer Isotopenkette. Von den stabilen Kernen ausgehend, bei denen Protonen und Neutronen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, gelangt man durch Hinzufügen oder Entnehmen von Neutronen zu neutronenreichen oder protonenreichen Kernen. Dabei stellt man allerdings fest, dass die Radien in einer viel komplexeren Weise variieren, als man es nach diesem einfachen Bild erwartet.
Von speziellem Interesse sind in diesem Zusammenhang die Kalzium-Isotope. Die beiden Isotope 40Ca und 48Ca besitzen praktisch den gleichen Radius, dazwischen verändern sich die Radien in einem charakteristischen Zick-Zack-Muster, und 52Ca besitzt einen überraschend großen Radius, wie sich bereits in früheren Untersuchungen zeigte. Obwohl dieses Muster von bestehenden Theorien teilweise reproduziert werden konnte, sind doch viele der existierenden Theorien kaum in der Lage, die komplexen Größenschwankungen der Ladungsradien zu erklären. Unterhalb des leichtesten stabilen Isotops 40Ca war nur der Ladungsradius von 39Ca bekannt, da es sehr schwierig ist, die protonenreichen Isotope zu produzieren.
Der Radius eines Kalziumkerns ist winzig klein, etwa 3,5 Femtometer, und die zu messenden Variationen sind noch einmal zweihundert Mal kleiner. Hinzu kommt, dass die protonenreichen Isotope sehr kurzlebig sind. 36Ca existiert beispielsweise nur für eine Zehntelsekunde. Die winzigen Veränderungen ihrer Ladungsradien konnten nun mit einer empfindlichen Methode der Laserspektroskopie am BECOLA-Experiment des National Superconducting Cyclotron Laboratory an der Michigan State University in den USA erstmals gemessen werden. Forscher der TU Darmstadt um Wilfried Nörtershäuser haben zu dem Experiment die von Bernhard Maaß entworfene Nachweisregion beigesteuert, in der das Fluoreszenzlicht der seltenen Kalzium-Isotope detektiert wurde. Dieses sehr effiziente System war ausschlaggebend für die erfolgreiche Messung des Ladungsradius des exotischsten der untersuchten Isotope 36Ca, das mit einer Rate von nur fünfzig Atomen pro Sekunde erzeugt wird.
In der Untersuchung wurden die Ladungsradien dreier protonenreicher Kerne mit den Massenzahlen A=36, 37, 38 erstmals gemessen. Diese stellten sich als viel kleiner heraus als von theoretischer Seite vorhergesagt und sind erneut eine Herausforderung für die Theorie. Es gelang der Forschergruppe, durch eine Anpassung des theoretischen Modells, die speziell diese neuen Daten im Blick hatte, eine deutlich verbesserte Beschreibung entlang der gesamten Isotopenkette von 36Ca bis 52Ca zu erzielen. Dieser Erfolg ist einem besseren Verständnis der speziellen Weise, in der die Protonen außerhalb des kompakten Kerns in vergleichsweise großen Abständen von der Kernoberfläche miteinander in Wechselwirkung treten, zuzuschreiben. Dazu muss man wissen, dass die Dichte der Protonen am Kernrand nicht schlagartig auf null abfällt, sondern über eine endliche Distanz abklingt. Obwohl man in den äußeren Bereichen nur wenige Protonen antrifft, hat deren Verhalten aufgrund des großen Abstandes vom Zentrum offenbar einen signifikanten Einfluss auf den mittleren Ladungsradius. Das verbesserte Verständnis an dieser Stelle wird einen großen Einfluss auf die weitere Entwicklung globaler Kernmodelle haben.
TU Darmstadt / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
A. J. Miller et al.: Proton superfluidity and charge radii in proton-rich calcium isotopes, Nat. Physics, online 11. Februar 2019; DOI: 10.1038/s41567-019-0416-9 - Experimentelle Atom- und Kernphysik radioaktiver Nuklide (W. Nörtershäuser), Institut für Kernphysik, Technische Universität Darmstadt
- BECOLA – Beam Cooling and Laser Spectroscopy, National Superconducting Cyclotron Laboratory, Michigan State University, USA