28.11.2017

Rapide rosa röntgen

Neuartiger Aufbau ermöglicht breitbandige serielle Synchrotron-Röntgen­kristallographie.

Ein neu entwickelter Versuchsaufbau ermöglicht die Röntgen­struktur­analyse von Biomolekülen wie beispielsweise Proteinen mit viel weniger Proben­material und kürzeren Belichtungs­zeiten als zuvor. Mit breit­bandiger Röntgen­strahlung lassen sich Protein­kristalle an Synchrotron-Strahlungs­quellen erheblich effizienter und schneller untersuchen. Allerdings war dies bisher aufgrund der hohen Streu­strahlung nur mit sehr großen Kristallen möglich. Der neue Versuchs­aufbau reduziert die unerwünschte Streustrahlung erheblich und ermöglicht die serielle Kristallo­graphie mit breit­bandiger Synchrotron­strahlung, dem „Pink Beam“.

Abb.: Der neu entwickelte Aufbau reduziert die störende Streustrahlung deutlich, indem der Pink-Beam-Röntgenstrahl durch dünne Metall­röhrchen geleitet wird und so die Röntgen­kamera vom Streulicht abschirmt. (Bild: DESY, J. Bergtholdt)

Die Röntgenkristallographie ist das Arbeits­pferd der Protein­struktur­analyse: Für diese Technik werden Kristalle des zu untersuchenden Protein gezüchtet und dann mit Röntgen­strahlung – zum Beispiel aus einem Synchrotron – untersucht. Das Röntgen­licht wird von den Protein­kristallen auf charakteristische Weise abgelenkt, und aus dem resultierenden Beugungs­muster lässt sich die innere Struktur des Kristalls und damit des Proteins atomgenau berechnen.

Im Unterschied zur konventionellen Röntgen­kristallographie, bei der meist ein einzelner oder relativ wenige große Protein­kristalle untersucht werden, durchleuchtet die serielle Kristallo­graphie hundert bis hundert­tausende sehr kleine Protein­kristalle. Die gewonnenen Informationen werden anschließend zu einem Datensatz zusammengesetzt, aus dem sich die Kristall­struktur bestimmen lässt. An Röntgenlasern (XFELs) wird die Methode schon vielfach angewendet. Durch deren sehr kurze Röntgen­blitze ist es dort zudem möglich, chemische und Enzym-Reaktionen zeitaufgelöst zu untersuchen.

„Serielle Kristallographie lässt sich auch gut an Synchrotron­strahlungs­quellen anwenden. Allerdings dauern die Messungen hier durch die Verwendung von mono­chromatischem Röntgenlicht mit einer bestimmten Farbe und der daraus resultierenden geringeren Intensität der Röntgen­strahlung länger,“ erklärt Henry Chapman, leitender Wissenschaftler bei DESY. Die Forscher verwenden also am Synchrotron üblicherweise nur einen kleinen Teil des erzeugten Lichts für die Untersuchung „Zudem werden für einen vollständigen Datensatz deutlich mehr Kristalle – oft mehrere zehntausend – benötigt. Da die Belichtungs­zeiten am Synchrotron relativ lang sind, konnten viele Reaktionen, die schnell ablaufen, bisher nur an Röntgen­lasern zeitaufgelöst untersucht werden“, sagt Chapman.

Durch Verwendung des Pink Beam lässt sich die serielle Kristallographie auch am Synchrotron mit sehr kurzen Belichtungs­zeiten umsetzen. Denn statt eines schmalen Wellenlängen­bereichs wird hierbei poly­chromatische, also „mehrfarbige“ Röntgen­strahlung verwendet. Dieser Pink Beam enthält ein relativ breites Spektrum und ist dadurch viel intensiver. Mit dem Pink Beam lassen sich daher auch sehr schnelle Reaktionen an Synchrotron­quellen untersuchen. Zudem lassen sich die Experimente wesentlich schneller durchführen, da durch die Verwendung des breiten Spektrums viel weniger Kristalle für eine Struktur­bestimmung benötigt werden als bei der Verwendung vom mono­chromatischer Röntgen­strahlung mit nur einer „Farbe“.

Bisher ließ sich jedoch noch keine serielle Kristallo­graphie mit dem Pink Beam durchführen, da bei diesen Untersuchungen die auftretende unerwünschte Streustrahlung die Mess­ergebnisse erheblich beeinträchtigt hat. „Die Streustrahlung entsteht dadurch, dass das Röntgenlicht zur Untersuchung der Probe nicht nur von den Molekülen im Kristall, sondern auch am Probenhalter oder der Luft, die die Probe umgibt, gestreut wird“, erklärt Max Wiedorn, DESY-Koautor der Studie. „Bei Experimenten mit dem Pink Beam ist das eigentliche Messsignal schwächer, da es sich auf die verschiedenen ‚Farben’ verteilt. Daher hat der Streu­untergrund hier einen deutlich negativeren Effekt auf das Messergebnis als bei vergleichbaren Messungen mit mono­chromatischer Strahlung.“

Die Forscher haben daher einen neuen Messaufbau entwickelt, mit dem die störende Streustrahlung weitestgehend unterdrückt wird. Dazu verwenden sie einerseits einen Proben­halter aus Silizium, der das Röntgenlicht nicht störend streut, und sorgen andererseits dafür, dass sich extrem wenig Luft im Weg des Röntgenstrahls befindet. Unmittelbar vor und hinter der Probe wird der Röntgenstrahl dazu von einem dünnen Metall­röhrchen umschlossen, das verhindert, dass die auftretende Streustrahlung auf die Röntgenkamera trifft. Zudem wird die Luft direkt an der Probe weitest­gehend durch einen Strom von Heliumgas verdrängt, welches viel weniger Streustrahlung erzeugt als Luft. Durch die Unterdrückung der Streustrahlung ist es den Forschern nun erstmals gelungen, die dreidimensionale Struktur von zwei Proteinen mit serieller Kristallo­graphie im Pink Beam sehr genau zu bestimmen. Die entsprechenden Messungen wurden an der BioCARS-Messstation an der Synchrotron­strahlungs­quelle Advanced Photon Source (APS) in den USA durchgeführt.

„Ein großer Vorteil der Methode liegt darin, dass mit ihr sehr genaue Struktur­untersuchungen von Proteinen durchgeführt werden können, aber nur ein Bruchteil des Probenmaterials benötigt wird“, betont DESY-Forscher Meents vom Center for Free Electron Laser Science (CFEL), einer Kooperation von DESY, Universität Hamburg und der Max-Planck-Gesellschaft. „Andersherum lassen sich durch die sehr geringe benötigte Probenmenge und die Schnelligkeit der Methode sehr viele Untersuchungen in kurzer Zeit durchführen, wie zum Beispiel in der Pharma­forschung, wo untersucht wird, welche möglichen Wirkstoffe an ein Protein binden, das an einer Krankheit beteiligt ist.“

Zudem lassen sich die Messungen bei Raum­temperatur durchführen, wodurch sich strukturelle Änderungen, wie sie zum Beispiel bei der Bindung eines Wirkstoffs an ein Zielprotein auftreten, in Zukunft auch zeitabhängig untersuchen lassen. Dabei erreicht die neue Methode eine sehr hohe zeitliche Auflösung von 100 Pikosekunden, was mit der bisher eingesetzten mono­chromatischen Röntgen­strahlung am Synchrotron nicht möglich war.

DESY / DE

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