Rasende Blasen
Dynamik von Gasblasen in viskoelastischen Flüssigkeiten geklärt.
Es ist ein lange bekanntes Rätsel, das in vielen industriellen Produktionsprozessen sehr relevant ist: die sprunghaft unterschiedlichen Aufstiegsgeschwindigkeiten von Gasblasen in viskoelastischen Flüssigkeiten. Ein Beispiel dafür sind viele Haarshampoos: Stellt man eine durchsichtige, fast ganz gefüllte Flasche davon auf den Kopf, so sieht man die eingeschlossene Luft als Blase in ungewöhnlicher Form aufsteigen. In vielen Industrieprozessen treten solche Flüssigkeiten als Lösungen von Polymeren auf, die häufig durch Begasung mit Sauerstoff angereichert werden müssen. „Wir wissen seit etwa sechzig Jahren, dass die Aufstiegsgeschwindigkeit von Gasblasen in viskoelastischen Flüssigkeiten bei einem kritischen Blasendurchmesser sprunghaft zunimmt. Die Blasen steigen dann plötzlich bis zu zehnmal schneller auf. Das spielt für die kontrollierte Begasung dieser Flüssigkeiten eine fundamentale Rolle. Gleichzeitig war unklar, was diesen sprunghaften Geschwindigkeitsanstieg verursacht“, erläutert Günter Brenn vom Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung der TU Graz.
Mit einer Kombination aus Simulation, Experiment und theoretischen Analysen haben die Teams von Günter Brenn an der TU Graz und Dieter Bothe an der TU Darmstadt das Rätsel nun gemeinsam gelöst. Sie haben herausgefunden, dass die Wechselwirkung der Polymermoleküle mit der Strömung rund um die Gasblasen zu dem merkwürdigen Geschwindigkeitsverhalten der Blasen führt. Mit diesem Wissen kann nun der Sauerstoffeintrag in diese Lösungen genauer vorausberechnet werden, womit Apparaturen etwa in der Biotechnologie, in der Verfahrenstechnik und in der pharmazeutischen Industrie besser ausgelegt werden können.
„Die Strömung rund um die Blase führt dazu, dass sich dort die gelösten Polymermoleküle verformen. Diesen Zustand mögen die Moleküle nicht besonders. Sie wollen so schnell wie möglich zum entspannten, unverformten Zustand zurückkehren“, sagt Brenn. Wenn diese Rückkehr zum entspannten Zustand schneller geht als der Transport der Moleküle bis zum Äquator der Blase, dann bleibt die Blase langsam. Dauert die Rückkehr zur Entspannung hingegen länger als die Reise zum Blasenäquator, dann wird in der Flüssigkeit eine Spannung frei, die die Blase anschiebt. Das führt zu einer Selbstverstärkung, da nachfolgende Polymermoleküle nun erst recht bis unterhalb des Äquators kommen, sich dort entspannen und wiederum eine Schubkraft freisetzen.
Neben der hohen Praxisrelevanz dieser Erkenntnis, insbesondere für die oben genannten Anwendungsbereiche, ergeben sich auch Konsequenzen in der Grundlagenforschung. „Es hat sich herausgestellt, dass eine weitere überraschende Eigenschaft des Strömungsfeldes dieser Lösungen diesem von uns gezeigten molekularen Mechanismus zugeordnet werden kann: nämlich der negative Nachlauf der Gasblase“, so Dieter Bothe von der Arbeitsgruppe Analysis des Fachbereichs Mathematik der TU Darmstadt. Das ist ein Bereich im Strömungsfeld unter der Blase, in dem normalerweise die Flüssigkeit mit kleiner Geschwindigkeit der Blase hinterherläuft. Bei den polymeren Flüssigkeiten ist es aber umgekehrt: dort ist die Flüssigkeitsbewegung entgegen der Blasenbewegung orientiert. Diese Flüssigkeitsbewegung kommt durch dieselbe Spannung zustande, die auch die Blase anschiebt. Aus diesem Verständnis können sich Möglichkeiten zur Steuerung von Strömungsvorgängen ergeben.
TU Graz / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
D. Bothe et al.: On the molecular mechanism behind the bubble rise velocity jump discontinuity in viscoelastic liquids, J. Non-Newt. Fluid Mech. 302, 104748 (2022); DOI: 10.1016/j.jnnfm.2022.104748. - Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung, TU Graz
- Analysis (D. Bothe), Fachbereich Mathematik, TU Darmstadt