Raumfahrttechnik für Krisensituationen
Erste Projekte aus dem Bereich „Humanitarian Technologies“ gestartet.
Technologien, die für die Raumfahrt entwickelt werden, müssen für ihre Aufgabe im All extreme Anforderungen erfüllen: Die Systeme und Geräte müssen nicht nur robust, sicher, kompakt, leicht und einfach in der Handhabung sein, sondern auch zuverlässig und autonom funktionieren. Einen umfassenden und schnellen Überblick von oben bieten etwa Satellitentechnologien. Diese besonderen Eigenschaften sind auch auf der Erde wertvoll, nicht zuletzt zur Bewältigung von Naturkatastrophen und anderen Extremsituationen: Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) rief daher im vergangenen Jahr eine Initiative ins Leben, die Raumfahrttechnologien für die humanitäre Hilfe nutzbar macht und gezielt weiterentwickelt. Nun sind die ersten beiden Projekte aus dem Bereich „Humanitarian Technologies“ gestartet: Die mobil entfaltbare Pflanzenanbaueinheit „MEPA“ und das Projekt „Data4Human“, das spezielle Datendienste für die humanitäre Hilfe entwickelt.
In humanitären Krisensituationen ist die Nahrungsmittelversorgung eine der wichtigsten Aufgaben von internationalen Hilfsorganisationen. Frische Lebensmittel wie Obst und Gemüse sind jedoch kaum oder überhaupt nicht lieferbar. Zudem wird häufig auch eine mittelfristige Ernährungsquelle für die Menschen vor Ort benötigt. Ziel des DLR-Projekt MEPA (Mobil entfaltbare Pflanzenanbaueinheit) ist es, eine Möglichkeit zur Verfügung zu stellen, frische Nahrungsmittel in Notfallsituationen zu produzieren – in Flüchtlingscamps, nach Flutkatastrophen oder Erdbeben, bei Dürren und zusätzlich auch in beengten Siedlungsräumen. Das Know-how dazu bringen die Wissenschaftler des DLR-Instituts für Raumfahrtsysteme und des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin mit. Im Forschungsprojekt EDEN entwickeln und testen sie Gewächshäuser und Pflanzenzuchttechnologien für den Langzeitaufenthalt im Weltall. Auf der Forschungsstation Neumayer III (Alfred-Wegener Institut, AWI) in der Antarktis konnten dadurch bereits Tomaten geerntet werden.
Für den Einsatz in Krisengebieten haben die Experten insgesamt drei Systeme konzipiert. Allen Pflanzenanbaueinheiten ist gemeinsam, dass sie keine Erde benötigen, wiederverwendbar sind, eine schnelle Produktion ermöglichen – mit der ersten Ernte nach vier bis sechs Wochen – und individuell und einfach genutzt werden können.
In den kommenden zwei Jahren wird das DLR-Team die MEPA-Systeme spezifizieren, bauen und vor Ort testen. Für die bedarfsgerechte Entwicklung arbeiten die Wissenschaftler in enger Absprache mit dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (UN World Food Programm, WFP), dem Technischen Hilfswerk, Plan International und der nichtstaatlichen humanitären Hilfsorganisation ADRA.
Um in Krisenfällen wichtige Entscheidungen treffen und geeignete Maßnahmen einzuleiten zu können, benötigen humanitäre Hilfsorganisationen unter anderem aktuelle Lageinformationen. Oft jedoch stehen ihnen diese Informationen nicht zur Verfügung. Ein dringendes Anliegen ist den Akteuren daher der Zugang zu offen verfügbaren, zuverlässigen Datenquellen, auf lokaler und regionaler bis hin zu globaler Ebene. Im Rahmen des Projekts „Data4Human“ stellen das Earth Observation Center (EOC) des DLR sowie das DLR-Institut für Datenwissenschaften dazu ihre Expertise zur Verfügung: Gemeinsam mit humanitären Hilfsorganisationen entwickeln sie Analyseverfahren und Werkzeuge, um Daten von Satelliten, Flugzeugen, Drohnen, Bodensensoren und aus webbasierten Quellen bereitzustellen.
Im Bereich Datenverarbeitung bringt das DLR Methoden des maschinellen Lernens ein, die zum Bespiel Schadensanalysen von kritischer Infrastruktur nach einer Naturkatastrophe ermöglichen. Einen Technologieschub bietet auch die Kombination von „physikalischer“ Erdbeobachtung durch Satelliten mit der „digitalen“ Erdbeobachtung im Internet. Die fusionierten Daten können etwa zur besseren Beobachtung von Flüchtlingsströmen und Menschenrechtsverletzungen oder zur Analyse von Ernteverlusten in Afrika genutzt werden. Satellitendaten und Geodaten sollen zunehmend mit automatisch erfassten, web-basierten Informationen kombiniert und beispielsweise Daten von Nachrichtenportalen oder sozialen Netzwerken ausgewertet werden.
Darüber hinaus arbeiten die Wissenschaftler mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und anderen humanitären Hilfsorganisationen an weiteren Datenanalysen, wie etwa zur Dokumentation des Wiederaufbaus nach einer Katastrophe oder der Wirksamkeit humanitärer Hilfsmaßnahmen. Um diese vielfältigen Themen zu unterstützen haben sich die Fernerkundungsexperten und Datenwissenschaftler des DLR nun mit dem WFP, dem Deutschen Roten Kreuz und dem Humanitarian Open Street Map Team (HOT-OSM) zusammengeschlossen. Das Projekt „Data4Human“ läuft bis Ende 2021.
DLR / DE