04.05.2017

Raumzeit-Gezeiten interferometrisch bestimmt

Krümmung der Raumzeit erstmals mit Hilfe eines Atom-Interferometers gemessen.

Die Allge­meine Relativitäts­theorie und die Quanten­physik stehen als Theorien der modernen Physik neben­einander. Eine gemein­same Theorie, die die Physik des Größten und die Physik des Kleinsten verei­nigen könnte, ist derzeit noch nicht in Sicht. Umso wichtiger sind experimen­telle Daten, die die wechsel­seitigen Grund­lagen beider Theorie­gebäude überprüfen. Eine Tech­nologie, die sich in den letzten Jahren besonders schnell entwickelt hat und sich hierfür eignet, ist die Atom-Inter­ferometrie. Denn sie ist mittler­weile so präzise, dass sie die Messung funda­mentaler Eigen­schaften der Raumzeit anhand quanten­typischer Phänomene erlaubt.

Abb.: Anhand des Vergleichs zwischen zwei nahen Atom-Interferometern gelang den Forschern die Bestimmung der Krümmung der Raumzeit. (Bild: C. Cain / APS)

Eine Gruppe von Wissen­schaftlern um Mark Kasevich von der Univer­sität Stanford hat genau dies nun umgesetzt. Mit ihrem Atom-Inter­ferometer konnten die Forscher die Krümmung der Raumzeit messen, also die „Gezeiten­kräfte“ der Gravi­tation. Dies ist nicht nur mess­technisch sehr anspruchs­voll, sondern auch konzep­tionell interes­sant. Einer Gruppe ita­lienischer Physiker war es bereits 2015 gelungen, die Gravitations­konstante mit Hilfe eines Atom-Inter­ferometers extrem genau zu bestimmen. Das neue Experiment der Wissen­schaftler aus Stanford hatte nun die nächst­höhere Ableitung des Gravitations­potenzials im Visier.

Das Gravitations­potenzial selbst ist keine mess­bare Größe – seine Ableitungen jedoch schon. Die erste Ab­leitung entspricht der Beschleu­nigung im freien Fall. Sie hängt allerdings auch vom Bewegungs­zustand des Beobachters ab. Denn Grundlage der Allge­meinen Relativitäts­theorie ist gerade die Äqui­valenz von Schwerkraft und Be­schleunigung und damit auch die Äqui­valenz von träger und schwerer Masse. Die zweite Ableitung des Gravitations­potenzials hingegen ist ein Maß für die Krümmung der Raumzeit und hängt nicht vom Bewegungs­zustand des Beo­bachters ab. Mit ihren Messungen haben die Forscher also konzep­tionell gesehen die erste rein-gravi­tative Quanten­messung der Schwerkraft durch­geführt.

Hierzu nutzten die Wissen­schaftler ein Atom-Inter­ferometer, das sie mit ultra­kalten Rubidium­atomen betrieben, die eine Temperatur von nur noch 50 Nano­kelvin aufwiesen. Um den schwachen Effekt der Raumzeit­krümmung nachweisen zu können, elimi­nierten die Forscher zunächst den Einfluss der normalen Gravitations­beschleunigung, indem sie zwei nur dreißig Zentimeter entfernte Inter­ferometer miteinander verglichen und nur die Differenz der Interferenz­muster betrachteten. Dadurch konnten sie nicht nur die Erd­anziehung, sondern auch Schwingungen der Mess­apparate ausgleichen.

Die Forscher prä­parierten je rund eine Million Rubi­dium-Atome, die sie dann in einer zehn Meter hohen Fontäne nach oben strömen ließen, wobei sich die Atome 2,8 Sekunden lang im freien Fall befanden. Zunächst fokus­sierten die Forscher den Strahl mit einer Dipol-Linse. Dann führten sie mit starken Laser­pulsen eine räumliche Trennung der Wellen­funktionen der fallenden Atome herbei. Dadurch „spürte“ jedes Rubi­dium-Atom zugleich den Einfluss der Gravi­tation an ver­schiedenen Stellen. Dank des hohen Impuls­übertrags von rund 100 Photonen aus je einigen Dutzend Laserpulsen spalteten sich die Wellen­funktionen der einzelnen Rubi­dium-Atome auf eine Breite von rund dreißig Zenti­metern auf – ein enorm starker Effekt mit schweren Atomen.

Die Krümmung der Raumzeit führten die Forscher durch schwere Blei­klötze herbei, die sie neben einem der Inter­ferometer platzierten. Der Effekt der insgesamt 84 Kilogramm schweren Blöcke machte sich dank der hohen Präzision ihres Inter­ferometers bemerkbar – aller­dings nur bei einem der beiden Inter­ferometer. Das andere war mit einem Abstand von etwa dreißig Zenti­metern weit genug entfernt, dass dieser Effekt es kaum noch beein­flussen konnte. Insgesamt er­reichten die Wissen­schaftler eine Präzision von 0,6 nm/s2 bei der Bestimmung der Be­schleunigungs­differenz im Mess- und im Referenz-Inter­ferometer.

Diese Messungen waren nur möglich aufgrund der zahlreichen Verbes­serungen, die Atom-Inter­ferometer in den letzten Jahren erfahren haben und zu denen auch die Arbeits­gruppe der Forscher aus Stanford beigetragen hat. Mit weiteren Entwick­lungen könnten in den kommenden Jahren ganz neue Gebiete in die Reichweite der Atom-Inter­ferometrie gelangen. So ist die erreichte Phasen­stabilität bereits jetzt sehr hoch. Mit einem ähnlichen Aufbau halten die Wissen­schaftler nicht nur eine genauere Bestimmung der Gravitations­konstante, sondern auch die Messung des gravi­tativen Aharonov-Bohm-Effekts für möglich. Andere Möglich­keiten bestehen in Tests der Fein­struktur­konstante, im Nachweis von Gravitations­wellen im ansonsten nur schwer zugäng­lichen Frequenz­bereich von knapp einem Hertz oder sogar in der Suche nach möglichen ultra­leichten Teilchen der dunklen Materie, wie ver­schiedene Modellen sie vorher­sagen.

Dirk Eidemüller

JOL

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