21.04.2016

Realitäts-Test für Quantenphysik

Gängige Testverfahren des lokalen und des makroskopischen Realismus unterscheiden sich in Ansprüchen an Parameterraum.

In der klassischen Welt besitzen Objekte vorgegebene Eigenschaften. Physikalische Einflüsse wirken streng lokal und Eigenschaften makroskopischer Systeme können im Prinzip gemessen werden ohne sie zu verändern. Diese Regeln kennzeichnen das Weltbild des „lokalen“ und des „makroskopischen Realismus“ und stehen im Widerspruch zur Quantenmechanik. Doch welche Theorie in welchem Rahmen gilt, ist noch nicht in allen Punkten ausgetestet und derzeit Gegenstand weltweiter Forschungs­aktivitäten.

Abb.: Die „no-signalling“ (NS) Annahme, Quantenmechanik (QM) und lokaler Realismus (LR) befinden sich in einem Wahrscheinlichkeitsraum der gleichen Dimension (links). Der Wahrscheinlichkeitsraum des makroskopischen Realismus (MR) hat unterschiedliche Dimensionen (rechts). Die Leggett-Garg-Ungleichungen (LGI) sind Schnitte durch den QM-Raum und grenzen MR nicht eng ein. Daher sind LGI nicht optimal für experimentelle Tests des MR. (Bild: MPQ)

Als optimales Werkzeug für die Widerlegung des lokalen Realismus in Quanten-Experimenten haben sich die sogenannten Bellschen Ungleichungen herausgestellt. Entsprechende Ungleichungen wurden in den vergangenen Jahrzehnten auch für die Überprüfung des makroskopischen Realismus herangezogen. Lucas Clemente und Johannes Kofler aus der Abteilung Theorie am Max-Planck-Institut in Garching haben jetzt gezeigt, dass in diesem Fall Ungleichungen aus grund­sätzlichen Erwägungen nicht das optimale Werkzeug sind. Ihre Ergebnisse offenbaren, dass sich die für den lokalen Realismus charakteristischen räumlichen Korrelationen und die für den makro­skopischen Realismus relevanten zeitlichen Korrelationen, angewendet auf die Quantenphysik, in ihrer mathe­matischen Struktur gravierend unterscheiden. Gleichzeitig liefern sie mit der „no-signalling-in-time“-Annahme ein neues und besseres Werkzeug für die Suche nach Zuständen von der Art der „Schrödinger-Katze“.

Zwei fundamentale Annahmen kennzeichnen das Weltbild des lokalen Realismus: Zum einen liegen die Eigenschaften von Objekten nicht im Auge des Betrachters, sondern sind fest vorgegeben. Zum andern können sich physikalische Einflüsse niemals schneller als mit Licht­geschwindigkeit ausbreiten. 1964 entdeckte John Bell, dass sich aus diesen Annahmen Einschränkungen für die möglichen Korrelationen zwischen Messungen an räumlich getrennten Objekten ergeben. Diese werden heute auch als die „Bellschen Ungleichungen“ bezeichnet.

1984 bewies Arthur Fine, dass alle lokal-realistischen Theorien den Bellschen Ungleichungen genügen müssen. Darüber hinaus lässt sich aus der Gültigkeit der Bellschen Ungleichungen folgern, dass es für die beobachteten Daten eine lokal-realistische Erklärung gibt. In den vergangenen Jahrzehnten haben quanten­physikalische Experimente wiederholt mit immer höherer Genauigkeit belegt, dass die Bellschen Ungleichungen verletzt werden können, z.B. wenn man es mit verschränkten Quanten-Zuständen von zwei oder mehr Systemen zu tun hat.

Damit gilt das Weltbild des lokalen Realismus in Bezug auf die räumlichen Korrelationen von Objekten als schlüssig widerlegt. Auch in der Quanten­mechanik gilt jedoch die „no-signalling“-Annahme, dass Signal­übertragung mit Über­licht­geschwindigkeit nicht möglich ist. Sie gehört zu den festen Säulen der Speziellen Relativitäts­theorie, und ihre Verletzung stünde im Widerspruch zur Kausalität: Sie würde implizieren, dass man mit der Vergangenheit kommunizieren kann. Quanten­experimente können daher nur die Bellschen Ungleichungen verletzen, nicht jedoch die „no-signalling“-Annahme.

Das Gegenstück zur Verschränkung von Quantensystemen, aus der sich die Verletzung der Bellschen Ungleichungen beim lokalen Realismus ergibt, ist das berühmte Paradoxon von Schrödingers Katze als Test für die Gültigkeit des makroskopischen Realismus. Gemäß diesem Gedanken­experiment kann die Katze in einen Überlagerungszustand gebracht werden, in dem sie gleichzeitig tot und lebendig ist. Solche Überlagerungs­zustände existieren erwiesenermaßen für mikroskopische Objekte. Die meisten Physiker hadern jedoch mit dem Umstand, dass die Quantenmechanik im Prinzip ein solches seltsames Verhalten auch auf makroskopischer Skala erlauben würde. Im Weltbild des makroskopischen Realismus ist eine Super­position makro­skopischer Zustände dagegen strikt verboten, und makro­skopische Objekte können gemessen werden, ohne sie gleichzeitig zu verändern.

1985 zeigten Anthony Leggett und Anupam Garg, dass sich aus den Annahmen des makro­skopischen Realismus Einschränkungen ergeben in Bezug auf die zeitlichen Korrelationen, die zwischen aufeinander folgenden Messungen an einem einzelnen Quanten­system auftreten können. Analog zu den Bellschen Ungleichungen für den lokalen Realismus lassen sich somit auch für den makroskopischen Realismus Ungleichungen definieren, denen diese zeitlichen Korrelationen genügen müssen.

In den vergangenen Jahren wurden diese „Leggett-Garg-Ungleichungen“ in vielen Experimenten verletzt, allerdings nur mit mikroskopischen Quanten­systemen, die den makroskopischen Realismus nicht widerlegen können. Ob es tatsächlich möglich ist, makroskopische Objekte wie eine aus­gewachsene Katze in einen Super­positions­zustand zu bringen, ist experimentell noch nicht entschieden. Es ist eine der spannendsten noch offenen Fragen, die die Grundlagen der Physik betreffen.

Auch wenn es im lokalen Realismus um räumliche Korrelationen zwischen wenigstens zwei Systemen geht und beim makro­skopischen Realismus um zeitliche Korrelationen von Messungen an einem einzelnen Objekt, so bestehen doch viele Analogien zwischen den Konzepten, und die entsprechenden Bellschen und Leggett-Garg‘schen Ungleichungen sind in ihrer mathematischen Struktur fast identisch. Die Arbeit von Clemente und Kofler hat nun einen bemerkenswerten und bislang unbekannten fundamentalen Unterschied aufgedeckt: Mit einer ausgeklügelten Analyse der Dimensionen von Wahrscheinlichkeits­räumen gelang es ihnen zu beweisen, dass das von Arthur Fine für den lokalen Realismus postulierte Theorem nicht auf das Weltbild des makroskopischen Realismus übertragen werden darf. Mit anderen Worten, die Leggett-Garg-Ungleichungen bilden – im Gegensatz zu den Bellschen Ungleichungen für den lokalen Realismus – keine optimale Grenze für die makro-realistischen Theorien (siehe Abbildung).

Der Grund dafür ist interessanterweise die zeitliche Analogie zu der „no-signalling“-Annahme. Die „no-signalling-in-time“-Annahme fordert, dass die Ergebnisse späterer Messungen an makro­skopischen Objekten nicht von früheren Messungen abhängen dürfen. Diese Regel gilt im makroskopischen Realismus, wird aber in der Quanten­mechanik verletzt. „Im Gegensatz zu den Leggett-Garg-Ungleichungen ist die Kombination aller „no-signalling-in-time“-Bedingungen sowohl notwendig als auch hinreichend für den makroskopischen Realismus“, erklärt Clemente. „Das offenbart einen entscheidenden Unterschied zwischen den räumlichen Korrelationen bei Tests des lokalen Realismus und den zeitlichen Korrelationen bei Tests des makro­skopischen Realismus.“

Physiker, die mit ihren Experimenten den makroskopischen Realismus widerlegen wollen, sollten sich demzufolge nicht mehr auf die Legget-Garg-Ungleichungen fokussieren, wie sie es viele Jahre lang gemacht haben. „Die Leggett-Garg-Ungleichungen schränken den Parameterraum, in dem mögliche Verletzungen des makroskopischen Realismus gefunden werden können, unnötig stark ein“, ergänzt Kofler. „Die ‚no-signalling-in-time’-Bedingung ist nicht nur besser, sondern sogar optimal für experimentelle Tests, ob die Schrödinger-Katze in der Natur existieren kann.“

MPQ / DE

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