Rechentrick ermöglicht besseres Verständnis exotischer Materiezustände
Neues Verfahren ist relevant für Fusions- und Materialforschung.
Sie kommt im Inneren von Gasriesen wie Jupiter vor und entsteht kurzzeitig bei Experimenten zur Laserfusion: warme dichte Materie. Dieser exotische Materiezustand vereint Merkmale fester, flüssiger und gasförmiger Phasen. Warme dichte Materie realitätsgetreu zu simulieren, galt bislang als große Herausforderung. Einem internationalen Team unter Führung von Wissenschaftlern des Center for Advanced Systems Understanding am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf und des Lawrence Livermore National Laboratory in den USA ist es gelungen, diesen Materiezustand mit Hilfe eines neuen Rechenverfahrens deutlich genauer als zuvor zu beschreiben. Die Methode könnte die Laserfusion voranbringen und bei der Synthese neuer Hightech-Materialien helfen.

Warme dichte Materie, kurz WDM, ist gekennzeichnet durch Temperaturen von mehreren tausend bis zu hundert Millionen Kelvin und Dichten, die teils die von Festkörpern übersteigen. „Solche Bedingungen finden wir zum Beispiel im Innern von Gasplaneten, in braunen Zwergen oder in den Atmosphären von weißen Zwergen”, erläutert Tobias Dornheim, Nachwuchsgruppenleiter am CASUS. „Auf der Erde kann sie bei Meteoriteneinschlägen entstehen oder beispielsweise in Experimenten mit starken Lasern erzeugt werden.“
WDM ist unter anderem für die Materialforschung interessant. Zum Beispiel lassen sich durch Kompression und Erhitzung von Kunststoffen winzige Diamanten erzeugen. Auch für die Fusionsforschung spielt WDM eine zentrale Rolle, speziell bei der lasergetriebenen Trägheitsfusion. Hier wird eine Kapsel mit Fusionstreibstoff – typischerweise die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium – durch intensiven Laserbeschuss so stark erhitzt und komprimiert, dass die Atomkerne verschmelzen, wodurch wiederum Energie frei wird. „Beim Beschuss der Fusionskapsel mit den Lasern durchläuft der Wasserstoff den Zustand der warmen dichten Materie“, erläutert Tilo Döppner vom LLNL. „Um bei Fusionsversuchen einen Energiegewinn zu erzielen, müssen wir den WDM-Zustand so gut wie möglich verstehen”, ergänzt Laserexperte Döppner, der etliche Fusionsexperimente an der National Ignitional Facility des LLNL maßgeblich begleitet hat.
Bei diesem Verständnis helfen Computersimulationen. Die üblichen Simulationstechniken stoßen jedoch an Grenzen. „Das Problem ist, dass WDM ein Zwischenzustand ist – weder Festkörper noch Flüssigkeit oder voll ionisiertes Plasma“, erklärt Maximilian Böhme, der 2024 am CASUS promoviert hat, um anschließend seine wissenschaftliche Laufbahn als Lawrence Fellow am LLNL fortzusetzen. „Die meisten vorhandenen Modelle beinhalten eine Reihe von Näherungen und erreichen deshalb häufig nicht die nötige Genauigkeit.”
Eine exakte Methode wäre die Pfadintegral-Monte-Carlo-Simulation PIMC. Im Prinzip erlaubt sie eine vollständige quantenmechanische Beschreibung der WDM, scheitert aber meist am Vorzeichenproblem: Um Materialeigenschaften ohne Näherungen berechnen zu können, müssen die jeweiligen Beiträge aller Elektronen innerhalb eines Materials addiert werden. Obwohl Elektronen negativ geladen sind, schwankt die Wellenfunktion, mit der ihr Quantenzustand beschrieben wird, zwischen positiv und negativ. Diese gegensätzlichen Beiträge zur PIMC-Simulation können sich gegenseitig aufheben. Mit jedem zusätzlichen Teilchen im System steigt die Anzahl der Kombinationen dieser vorzeichenbehafteten Beiträge, die für eine genaue Berechnung relevant sind, exponentiell an. Selbst die leistungsstärksten Supercomputer der Welt können PIMC-Simulationen daher oft nur für wenige Teilchen berechnen.
Hier setzten Dornheim und sein Team an. „Wir haben imaginäre Teilchenstatistiken eingeführt, die zwar physikalisch nicht real sind, aber als Rechentrick helfen, das Vorzeichenproblem zu entschärfen”, erklärt Dornheim. „Damit konnten wir die exakte PIMC-Methode erstmals auf ein realistisches Material anwenden, in diesem Fall Beryllium.”
Hier kommen weitere, von Döppner verantwortete Experimente am LLNL ins Spiel, bei denen Berylliumkapseln über das Zehnfache ihrer Feststoffdichte komprimiert und mit den 192 Laserstrahlen des NIF erhitzt wurden. Gleichzeitig durchleuchteten Röntgenstrahlen die winzige Probe. Das gestreute Röntgenlicht verriet, wie dicht und heiß die Materie während der Laserkompression wurde. „Früher hat man bei der Analyse der Röntgenstreuungsdaten relativ einfache Modelle herangezogen”, sagt Dornheim. „Mit unserem neuen Verfahren können wir jetzt wichtige Parameter wie die Dichte und Temperatur näherungsfrei aus dem Streusignal bestimmen.”
Tatsächlich ergab die Analyse, dass die Dichte der Probe geringer war als bisher – auf Basis zuvor verwendeter Modelle – angenommen. „Unsere Erkenntnisse sind entscheidend für die zukünftige Modellierung des Fusionsprozesses von Wasserstoff”, betont Jan Vorberger vom Institut für Strahlenphysik am HZDR. „Die bisherigen Simulationen zur Kompression einer Fusionskapsel gehen womöglich von falschen Annahmen aus. Unsere Methode liefert ein präzises Diagnosewerkzeug, um die Prozesse genauer zu analysieren.” Neben der Diagnostik könnten künftig auch Zustandsgleichungen mit Hilfe des neuen Verfahrens gewonnen werden – also die Beziehungen zwischen Druck, Temperatur und Energie. Solche Daten sind für die Entwicklung von Fusionskraftwerken, aber auch das Verständnis von Exoplaneten relevant.
Für den Herbst 2025 plant das Team eine neue Versuchsreihe an der NIF. „Wir wollen die Diagnostik weiter verfeinern und herausfinden, wie empfindlich unsere Methode auf kleine Änderungen reagiert“, erläutert Dornheim. So sollen die Berechnungen künftig nicht nur bestehende Daten erklären, sondern aktiv dabei helfen, neue Experimente zu planen und zu optimieren – etwa für die Entwicklung effizienterer Fusionskapseln.
HZDR / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
T. Dornheim et al.: Unraveling electronic correlations in warm dense quantum plasmas, Nat. Commun. 16, 5103 (2025); DOI: 10.1038/s41467-025-60278-3 - Frontiers of Computational Quantum Many-Body-Theory (T. Dornheim), CASUS – Center for Advanced Systems Understanding, Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf
- National Ignition Facility, Lawrence Livermore National Laboratory, Livermore, USA