03.12.2019 • Vakuum

Reine Drucksache

Neuartige Methode zur Druckmessung führt das Pascal auf universelle Eigenschaft von Heliumgas zurück.

Quasi als Neben­produkt bei den Arbei­ten zum „neuen“ Kelvin haben Wissen­schaftler der Physi­kalisch-Tech­nischen Bundes­anstalt (PTB) eine völlig neu­artige Methode zur Druck­messung rea­lisiert, die primär ist, also nur von Natur­konstanten abhängt. Als eine un­ab­hängige Methode kann sie zur Über­prüfung der genauesten Druck­mess­geräte dienen, bei denen die PTB welt­weit führend ist. Eine solche Über­prüfung war bisher nur im Bereich bis 100 000 Pascal möglich, nun aber bis 7 Milli­onen Pascal. Damit wurde zum ersten Mal ein Ver­gleich zwischen mecha­nischer und elektrischer Druck­messung mit einer relativen Unsicher­heit von weniger als 5 Million­stel durch­geführt. Zudem bietet die neue Methode einzig­artige Möglich­keiten zur Unter­suchung von Helium, einem wichtigen Modell­system in der Grund­lagen­physik. Über ihre Arbeiten berichten die Wissen­schaftler in der aktuellen Ausgabe von Nature Physics.

Abb.: PTB-Wissen­schaftler Christof Gaiser am...
Abb.: PTB-Wissen­schaftler Christof Gaiser am Di­elek­tri­zi­täts­kon­sta­nten-Gas­thermo­meter der PTB, mit dem die Kapa­zitäts­mes­sun­gen durch­geführt wurden. (Bild: PTB)

Wer schon mal einen Pfennig­absatz auf den Fuß bekam, hat vielleicht unter Schmerzen darüber nach­gedacht, dass Druck ja Kraft pro Fläche ist – genauer: das Ergebnis einer senk­recht auf eine Fläche wirken­den Kraft. Nach diesem Prinzip arbeiten auch die genau­esten Druck­messun­gen. Bei einem Kolben­mano­meter misst man den Gas­druck unter einem Kolben, dessen Fläche ganz genau bekannt ist, indem man die auf den Kolben wirkende Gewichts­kraft bestimmt. Die Kolben­mano­meter der PTB sind die derzeit genau­esten Druck­mess­geräte der Welt: Hoch­präzision­sgeräte, jedes von ihnen mit sehr großem Auf­wand hergestellt. Aber weil es Druck­bereiche gibt, in denen selbst die besten Kolben­mano­meter nicht so genau messen, wie es die Metrologen gerne hätten, gab es schon länger Bestre­bungen, alternative Druck­mess­ver­fahren zu ent­wickeln.

„Unser neues Verfahren ist im Prinzip sehr einfach: Es beruht auf der Dichte­be­stim­mung des Mess­gases Helium mittels einer Kapazitäts­messung. Dabei messen wir, inwieweit das Gas zwischen den Elektro­den die Kapazität eines hoch­stabilen, speziellen Konden­sators ändert“ erklärt PTB-Physiker Christof Gaiser. Weil in diese Methode nur eine uni­verselle Eigen­schaft von Helium­gas eingeht, die über die Di­elek­tri­zitäts­kon­stan­te aus­ge­drückt wird, ist sie eine primäre Methode.

Bei dem neuen elek­tri­schen Ansatz (Abb. unten rechts) lässt sich bei einer bekann­ten Temperatur T, die mit einem kali­brierten Wider­stands­thermo­meter R(T) er­mittelt wird, die durch das Mess­gas hervor­gerufene relative Ände­rung der Kapa­zität C(T) direkt mit dem Gas­druck ver­knüpfen. In die nötigen Ab-initio-Be­rech­nun­gen der Gas­eigen­schaften gehen die Di­elektri­zitäts­kon­stante und die Inter­aktion der Gas­teilchen ein: pab-initio(C,T, Gasab-initio).

Abb.: Klassische Druck­messung (links) mit dem Kolben­manometer gemäß pPB =...

Abb.: Klassische Druck­messung (links) mit dem Kolben­manometer gemäß pPB = Fg/Aeff (PB: pressure balance, also Kolben­mano­meter; Fg: Gravi­ta­tions­kraft; Aeff: effektive Fläche eines Kolben-Zylinder-Systems) und neuer elektrischer Ansatz (rechts) über Messung der relativen Ände­rung der Kapazität C(T) von Heliumgas bei einer bekannten Temperatur T. (Bild: PTB)

Damit haben Gaiser und seine Kollegen einen bahn­bre­chen­den theo­retischen Ansatz zum ersten Mal in die Praxis umgesetzt. Mike Moldover formu­lierte 1998 am ame­rika­nischen Metrologie­institut NIST die Idee, den Druck über eine elek­trische Messung (Kapazitäts­messung) unter Ver­wen­dung theore­tischer Berech­nungen der Gas­eigen­schaften von Helium zu messen. Die Reali­sierung dieser Idee erwies sich aller­dings in den Folge­jahren als große Heraus­forderung. Sowohl die Präzision­skapazitäts­messung als auch die not­wendigen hoch­stabilen Konden­satoren sowie die theoretischen Berech­nungen unter alleiniger Ver­wendung von Natur­kon­stanten (Ab-initio-Berechnungen) noch nicht mit der not­wendigen Genau­ig­keit zugänglich waren. Darüber hinaus fehlte auch noch eine au­sreichend gute Vergleichs­möglichkeit mit klas­sischen Kolben­mano­metern.

All die experi­mentellen Hürden wurden im Laufe der letzten zehn Jahre an der PTB aus dem Weg geräumt. Durch die Arbeiten im Rahmen der Neu­definition der Basis­einheit Kelvin, die dieses Jahr am 20. Mai mit der Ein­führung des verbes­serten Einheiten­systems ihren krönenden Ab­schluss fanden, wurden sowohl die klassische Druck­messung mit Kolben­mano­metern als auch die Kapazitäts­messung auf weltweit einzig­artiges Niveau gehoben. Mit den neuesten theo­retischen Berech­nungen verschie­dener Gruppen weltweit ist es nun erst­mals gelungen, den Druck von 7 Millionen Pascal, d. h. dem siebzig­fachen Normaldruck, mit einer relativen Un­sicher­heit von weniger als 5 Millionstel zu messen. Diese Messung wurde durch den Vergleich mit dem klassischen Kolben­mano­meter bestätigt. Es war der erste Vergleich zwischen mecha­nischer und elektrischer Druck­messung „auf Augen­höhe“.

Damit steht eine zweite Methode zur hoch­genauen Druck­kalibrierung zur Verfügung. Die Methode und der direkte Vergleich zum klassi­schen Druck­normal bieten zum einen die Möglichkeit theo­retische Be­rech­nungen von Helium, einem wichtigen Modell­system in der Atom­physik, zu über­prüfen. Darüber hinaus können auch andere Gase ver­messen werden und sowohl die Theorie als auch die Gas­metro­logie weiter­entwickelt werden.

PTB / LK

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