Reißfestes Wasser
Zugstabilität von Wasser nach neuen Simulationen höher als erwartet.
Wasser kann über lange Zeit einer beachtlichen Zugbelastung standhalten. Experimente über die Stabilität von Wasser unter Zugbelastung kamen bis dato jedoch zu stark unterschiedlichen Resultaten. Forscher um Christoph Dellago von der Universität Wien entwickelten nun mit Hilfe von Computersimulationen ein mikroskopisches Modell, das die Stabilität von Wasser abhängig von der angelegten mechanischen Spannung quantitativ vorhersagt. Dabei zeigte sich, dass die Zugstabilität von Wasser höher ist als bisher angenommen.
Abb.: Momentaufnahme einer Simulation von Blasenbildung in Wasser unter Zugspannung. Durch das Wachsen einer Dampfblase (gelb) in Wasser (rot-weiß) geht das System von der flüssigen Phase in Dampf über. (Bild: G. Menzl, U. Wien)
Ein Nebeneffekt der Photosynthese von Pflanzen ist die Verdunstung von Wasser über die Blätter. Um den dadurch entstehenden Flüssigkeitsverlust auszugleichen, wird Wasser durch Unterdruck über dünne Kanäle vom Boden nach oben gezogen. Wasser kann unter solcher Zugbelastung, also unter negativem Druck, über lange Zeiten stabil bleiben, da die Anziehung zwischen den Molekülen dem Zug entgegenwirkt. Jedoch ist diese Stabilität unter Spannung immer zeitlich beschränkt: Nach einiger Zeit „unter Zug” geht Wasser von der flüssigen Phase in Dampf über. Im Zuge dieses Übergangs bilden sich mikroskopische Dampfblasen, welche so lange wachsen, bis die Flüssigkeit letztendlich unter der angelegten Spannung „reißt”.
Sowohl die Stabilität von Wasser unter Zugbelastung als auch der Prozess der Blasenbildung selbst, die Kavitation, sind von entscheidender Bedeutung für biologische Systeme und technische Anwendungen. Beispielsweise nützen Farne den abrupten Spannungsabfall durch Kavitation, um ihre Sporen wie ein Katapult wegzuschleudern. Kollabierende Dampfblasen können zum Beispiel an Schiffsschrauben oder Turbinenschaufeln zu Materialschäden führen.
Aufgrund dieser praktischen Relevanz untersuchen Wissenschaftler die Zugstabilität von Wasser schon seit über 300 Jahren experimentell. Unterschiedliche Messmethoden liefern jedoch stark voneinander abweichende Resultate für die Zugstabilität von Wasser – ein starkes Indiz für unbekannte Effekte bei der Messung, meint Christoph Dellago: „Da der Kavitationsprozess explosionsartig schnell abläuft und die entscheidenden Aspekte der Blasenbildung stattfinden, solange die Blasen sehr klein sind, ist eine Methode nötig, um Blasenbildung in Wasser mit molekularer Auflösung zu analysieren.”
Dieser Blick auf molekularer Ebene gelang einer internationalen Forschungskollaboration um Dellago mit Hilfe von Computersimulationen. Die aufwändigen Simulationen, die von Georg Menzl und Philipp Geiger am Hochleistungsrechner Vienna Scientific Cluster (VSC) durchgeführt wurden, erlauben eine Analyse der Blasenbildung mit enorm hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung. „In der Computersimulation können wir viele mögliche Fehlerquellen ausschließen, die potenziell zu Abweichungen in den experimentellen Resultaten führen”, erklären die Wissenschaftler.
Mithilfe dieser Simulationen entwickelten die Physiker der Universität Wien zusammen mit Forscher aus Madrid und Lyon eine mikroskopische Theorie, die das Auftreten von Kavitation in Wasser abhängig von der angelegten Spannung quantitativ vorhersagt und zeigt, dass Wasser unter Zug stabiler ist als von vielen Experimenten vorhergesagt. „Eine Erkenntnis, die erst durch Computersimulationen möglich wurde, in denen selbst winzigste Blasen genau beobachtet werden konnten”, so Christoph Dellago.
U. Wien / DE