12.05.2023 • Biophysik

Rekonstruktion der Sauerstoffbildung auf der Erde

Erkenntnisse können auch für die Produktion von grünem Wasserstoff bedeutsam sein.

Der molekulare Sauerstoff der Erdatmo­sphäre wird durch die licht­ge­triebene Spaltung von Wasser in Pflanzen, Algen und Cyano­bakterien gebildet. Diesen Prozess konnten Forscher jetzt in aufwändigen Experimenten mit Infra­rot­licht nach­verfolgt und mittels quanten­chemischer Simulationen nach­zu­verfolgen. Die Studie des Teams um Physiker der FU Berlin und der Universität L’Aquila in Italien liefert Einblicke in den biologischen Prozess, der wahr­scheinlich in den letzten drei Milliarden Jahren auf der Erde unverändert abgelaufen ist. Die Wissenschaftler betonen auch den Zusammenhang zur Produktion von grünem Wasserstoff oder anderen erneuer­baren Brennstoffen, die dem biologischen Vorbild folgt. „In technischen Systemen zur Produktion erneuerbarer Brennstoffe sind sowohl die Verwendung seltener Edel­metalle als auch hohe Energie­verluste ein Problem. Nun können gezielt edel­metall­freie Materialien entwickelt werden, bei denen die gekoppelte Bewegung der Elektronen und Protonen minimale Energie­verluste ermöglicht", sagt Holger Dau von der FU Berlin.

Abb.: Reaktions­zyklus der photo­syn­the­tischen Sauer­stoff­bildung....
Abb.: Reaktions­zyklus der photo­syn­the­tischen Sauer­stoff­bildung. (Bild: P. Greife, H. Dau, FU Berlin)

Die Photosynthese liefert die Energie für das Leben auf der Erde, indem sie Sonnenenergie in chemischer Form speichert. In der Photosynthese sowie auch in technischen Systemen für eine nachhaltige Treib- und Brennstoff­produktion ist die Wasser­spaltung eine zentrale Reaktion, mittels der mobile Elektronen und Protonen aus dem Rohstoff Wasser gewonnen werden können und molekularer Sauerstoff freigesetzt wird. Die heutige sauerstoff­reiche Atmosphäre der Erde resultiert aus der photo­synthe­tischen O2-Produktion während der Wasser­spaltung am protein­gebundenen Mangan-Cluster des Photosystems II der Pflanzen, Algen und Cyano­bakterien.

Die Bildung des O2-Moleküls beginnt in einem Zustand mit vier angesammelten Elektronen­löchern, dem S4-Zustand, der vor mehr als einem halben Jahrhundert postuliert wurde und seitdem rätselhaft geblieben ist. Die Forscher konnten jetzt diese fehlende Schlüssel­element in der photo­synthe­tischen O2-Bildung identi­fizieren. Nach mehr­jähriger Vorbereitung gelang ein aufwändiges Experiment, mit dem die Bewegungen der Elektronen und Protonen verfolgt werden konnten. Hierzu wurden Partikel des Photosystem II-Chlorophyll-Protein-Komplexes aus vierzig Kilogramm Spinat isoliert. Dann wurden über sieben Monate etwa drei Millionen Laserblitze gefeuert und für jeden von diesen der Zeitverlauf eines Infrarot­signals mit Mikro­sekunden­zeit­auf­lösung aufge­zeichnet.

Mehrere Terabyte an Messdaten wurden anschließend analysiert und ergaben in Kombination mit Molekül­mechanik-Berechnungen für fast 600.000 Atome und quanten­chemischen Simula­tionen das folgende Bild: Zunächst wird im Protein eine entscheidende Protonen­leer­stelle durch elektro­statisch fern­ge­steuerte Seiten­ketten­de­proto­nierung erzeugt. Anschließend wird in einem erstaun­lichen Einzel­elektronen-Multi­protonen-Trans­fer­ereignis ein reaktives Sauerstoff­radikal gebildet. Das ist der langsamste Schritt in der photo­synthe­tischen O2-Bildung mit nur moderater Energie­barriere und über­raschender entropischer Verlangsamung. Die Forscher identi­fizieren somit den zuvor rätsel­haften S4-Zustand als ein Sauerstoff­radikal­zustand. Auf seine Bildung folgen eine schnelle O-O-Bindung und O2-Freisetzung.

In Verbindung mit früheren Durch­brüchen bei experi­men­tellen und rechnerischen Unter­suchungen ergibt sich nun ein über­zeugendes atomis­tisches Bild der photo­synthe­tischen O2-Bildung, wie die Wissen­schaftler betonen. Die Studie liefert somit einen Einblick in einen biolo­gischen Prozess, der wahr­schein­lich seit drei Milliarden Jahren auf die gleiche einzig­artige Weise von statten gegangen ist, wodurch auch das wissens­basierte Design künstlicher Wasser­spaltungs­systeme unter­stützen wird.

FU Berlin / RK

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