16.02.2004

Rendezvous im Sonnensystem

Mit dem Start der Kometensonde «Rosetta» beginnt einer der spannendsten Flüge in der Geschichte der Raumfahrt.

Mit dem Start der Kometensonde «Rosetta» beginnt einer der spannendsten Flüge in der Geschichte der Raumfahrt.

Kourou (dpa) - Europas Raumfahrt steht vor einem einzigartigen Abenteuer, das an die utopischen Visionen des Jules Verne erinnert. Die beim Start drei Tonnen schwere Sonde «Rosetta» soll nach einer mehr als zehnjährigen Reise tief in das Sonnensystem einen Kometen begleiten und umkreisen. Ein Mini-Labor der Sonde landet auf dem kosmischen «Schneeball», nimmt Bodenproben und untersucht sie. Auf einem 13-monatigen Flug im Duo der Sonne entgegen verfolgt «Rosetta», wie der Komet den Schweif bildet. Mit dem Start der kastenförmigen Kometensonde am 26. Februar auf dem Weltraumbahnhof Kourou beginnt also einer der spannendsten Flüge in der Geschichte der Raumfahrt.

«Niemand hat bisher so ein Vorhaben gewagt. Rosetta ist eine der anspruchsvollsten Missionen, die je unternommen wurden», erklärt der Wissenschaftsdirektor der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), David Southwood. Der leitende Wissenschaftler des «Rosetta»-Projekts, Gerhard Schwehm, fiebert dem außergewöhnlichen Rendezvous mehr als 675 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt bereits jetzt äußerst gespannt entgegen: «Wir betreten Neuland, denn noch nie gab es eine längere Begegnung mit einem Kometen - vor allem aber können wir als erste bei dem Erwachen eines Kometen aus der Eisstarre hautnah dabei sein», so schwärmt der Deutsche von diesem Tete-à-tete in der Ferne.

Diese Rakete vom Typ Ariane 5 soll am 26. Februar die Raumsonde Rosetta vom Weltraumbahnhof Kourou ins All befördern. (Quelle: ESA/CNES/ARIANESPACE)

Ursprünglich sollte «Rosetta» bereits vor etwa einem Jahr zu dem kleinen Kometen «Wirtanen» starten, der aus dem «Tiefkühlschrank» des Sonnensystems der Wärme entgegen rast. Der Flug wurde dann aber nach dem Fehlschlag beim Premierenstart der neuen europäischen Trägerakete Arians-5-plus sicherheitshalber verschoben. Für ihre Kometenmission, die von der ESA in Paris als «so bedeutsam wie die erste Mondlandung» gepriesen wird, musste daraufhin ein anderer Schweifstern ausgewählt werden. Die Wahl fiel auf «Tschurjumow-Gerassimenko». Für den Lander «Philae» galt es, noch rasch einen Aufprall-Dämpfer zu entwickeln - der neue Zielkomet hat eine um das 30fache größere Anziehungskraft.

Wenn die «Rosetta»-Sonde am ESA-Weltraumbahnhof bei Kourou in Französisch-Guyana abhebt, wird unweigerlich die Utopie einer Reise auf einem Kometen wieder wach, die Jules Verne vor rund 130 Jahren beschrieb. Der Astronom Palmyrin Rosette steigt bei Verne flugs von der Erde auf einen Kometen über. Benannt ist die Sonde allerdings nach dem bekannten Inschriftenstein, den ein Soldat Napoleons bei der ägyptischen Stadt Rosette entdeckte. Dieser Stein half dem Gelehrten Jean-Francois Champollion, die Hieroglyphen zu verstehen. «Rosetta» trägt nun dazu bei, die Ursprünge des Sonnensystems zu «entziffern».

Kostenpunkt: eine Milliarde Euro. Und wie beim Mars Express steckt viel deutsche Wertarbeit in dem Projekt. Ingenieure der EADS Astrium in Friedrichshafen wirkten entscheidend mit. Der kleine Lander wurde unter Führung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt, Max-Planck-Institute stellen unter anderem eine Kamera.

Mit dem Vorbeiflug ihrer Giotto-Sonde am Halleyschen Kometen im Jahr 1986 bewiesen die Europäer, wie leistungsfähig sie auf dem Feld der Kometenforschung sind. Bis «Rosetta» daran anknüpfen kann, werden zehn Jahre und zehn Monate vergehen. In einem Schlingerkurs durch das Planetensystem muss die Sonde vier Mal mit «Swing-by-Manövern» in den Schwerkraftfeldern von Erde und Mars Schwung holen, um auf den Kurs zu «Tschurjumov-Gerassimenko» (auch 67P genannt) zu gelangen. Als erste solar betriebene Sonde dringt «Rosetta» in diese Weiten vor.

Erst im November 2014 bricht nach einer fünf Milliarden Kilometer langen Reise die Zeit des Stelldicheins mit dem Kometen an. Er hat sich seit dem Entstehen des Sonnensystems vor 4,6 Milliarden Jahren kaum verändert und ist somit eine wertvolle «urzeitliche Fundgrube». Die Hauptsonde wird sich dem Kometen bis auf einen Kilometer nähern.

«Rosetta» bringt 21 Instrumente zu dem Treffen im Weltall mit, 10 davon auf dem 100-Kilo-Landegerät. Von dem Kometen ist nur bekannt, dass er etwa vier Kilometer lang ist. Das Landegerät soll mit zwei Harpunen auf dem unförmigen Schweifstern festgemacht werden, Bilder aus nächster Nähe machen und nach Bohrungen in die Kometenkruste Proben von Eis und Gasen aus bis zu 30 Zentimeter Tiefe entnehmen.

Während der Orbiter mit seinen Instrumenten hochauflösende Fotos macht sowie Form, Dichte, Temperatur und chemische Zusammensetzung des Kometenkerns erkundet, «reitet» der Lander auf dem Kometen der Sonne entgegen. Das Abenteuer endet, wenn «Tschurjumov-Gerassimenko» dem Stern am nächsten war und in das äußere Sonnensystem weiterreist.

Zurück zum Heimatplaneten brauchen die Bilder und Daten von dem Kometen 50 Minuten, obwohl sie in Lichtgeschwindigkeit reisen. Eine riesige neue ESA-Parabolantenne (Durchmesser 35 Meter) in New Norcia bei Perth in Westaustralien hält die Verbindung zu «Rosetta»: um so nach dem Geheimnis der Hieroglyphen letzte Fragen des Alls lüften zu helfen - wie unser Sonnensystem und mit ihm die Erde entstanden ist.

Hanns-Jochen Kaffsack, dpa

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