03.04.2023 • BiophysikThermodynamik

Richtungsabhängige Reibung in Biomolekülen entdeckt

Wichtiges Puzzleteil für das Verständnis von Reibung in technischen Anwendungen und biologischen Komplexen.

Proteine bilden einen Großteil der mikro­skopischen Maschinerie von Zellen und verrichten während ihrer Funktions­zyklen Arbeit. Entsprechend folgen sie den Gesetzen der Thermo­dynamik, weisen eine Energie­umwandlungs­effizienz auf und verlieren während ihrer Zyklen Energie – was aus makro­skopischer Sicht einer schein­baren Reibung entspricht. Auf der mikro­skopischen Skala sind bekannte Reibungs­quellen die innere Reibung von Proteinen, die durch die Anregung innerer Schwingungen entsteht, und die Lösungs­mittel­reibung durch die Beschleunigung von sie umgebenden Lösungs­mittel­molekülen. Diese führen zur Erwärmung des Proteins beziehungs­weise des Lösungs­mittels.

Abb.: Die Wissen­schaftler fanden heraus, dass die Reibung bei der...
Abb.: Die Wissen­schaftler fanden heraus, dass die Reibung bei der Liganden-Disso­zi­a­tion über­raschen­der­weise mit dem an­ge­leg­ten Winkel zu­nimmt. (Bild: S. Wolf, U. Frei­burg)

In Einzel­molekül­experi­menten und Simulationen an einem Modell-Protein-Liganden-Komplex fand ein inter­diszi­pli­näres Forschungs­team der Uni Freiburg und des MPI für Biophysik in Frankfurt jetzt eine neue, richtungs­abhängige Reibungsart in Proteinen. „Bisher hatte noch niemand beobachtet, dass Reibung in Biomolekülen eine Richtungs­abhängigkeit hat“, erklärt Steffen Wolf von der Uni Freiburg.

Für ihre Einzel­molekül-Experi­mente verwendeten sie eine neuartige Methode, die stereo­graphische Einzel­molekül­kraft­spektro­skopie, die auf Raster­kraft­mikro­skopie basiert. Diese Technik erlaubt es, Liganden aus einem an eine Oberfläche gebundenen Protein nicht nur entlang einer einzigen, sondern entlang aller drei karte­sischen Koordinaten heraus­zu­lösen. Dabei fanden die Wissen­schaftler heraus, dass die Reibung bei der Liganden-Disso­ziation über­raschender­weise mit dem angelegten Winkel zunimmt. Anschließend bildeten die Forscher das Experiment in Computer­simula­tionen nach. Dabei stellten sie fest, dass die Arbeit beim Disso­ziieren eines Liganden von seiner Bindungs­stelle von der genauen Richtung abhängt, in die die Zugkraft ausgeübt wird.

Die Forscher fügten die Ergebnisse aus Experiment und Simulationen zusammen und erkannten, dass die Ursache für die winkel­abhängige Reibung in der undefinier­baren und zufälligen Orientierung der an die Oberfläche gebundenen Proteine entlang ihrer Rotation­sachse im Experiment liegt. Das Team wiederholte die Einzel­molekül-Zugexperi­mente, um statistisch aussage­kräftige Ergebnisse zu erzielen. Dabei bindet der Ligand bei jeder Messung an ein anderes Protein. Somit wurde bei jeder Messung ein Ligand unter demselben Winkel zur Oberfläche heraus­gezogen, aber über verschiedene Bereiche des zufällig orientierten Proteins. Da diese Orientierung – im Versuchs­aufbau wie in der realen Welt – nicht definiert werden kann und jede Messung somit nicht exakt reversibel wieder­holbar ist, werden jedes Mal unter­schied­liche Energie­mengen in das Biomolekül eingetragen. Der nicht reversible Teil dieser Energiemenge geht als Wärme an das System verloren. Der entsprechende Effekt wirkt wie eine Reibungs­quelle, die die Forscher als anisotrope Reibung bezeichnen.

„Wir gehen davon aus, dass diese bisher unbekannte und funda­mentale Art der Reibung in jeder Bioassemb­lierung auftritt, bei der eine Zufällig­keit in der Proteinausrichtung zusammen mit der Richtungs­abhängig­keit der angewendeten Kraft vorliegt“, sagt Biophysiker Bizan Balzer von der Uni Freiburg. Das sei zum Beispiel in biomole­kularen Motoren oder in kraft­sensitiven Membran­proteinen der Fall, aber auch bei Prozessen wie dem Blutfluss, wo Kräfte auf zufällig orientierte Proteine ausgeübt werden. „Anisotrope Reibung ist damit ein weiteres wichtiges Puzzleteil für das Verständnis von Reibung sowohl in technischen Anwendungen als auch in biologischen Komplexen im Allgemeinen.“

U. Freiburg / RK

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