25.06.2009

Rieselnder Sand bildet 'Tropfen'

Trockene Granulate haben eine merkliche Oberflächenspannung



Trockene Granulate haben eine merkliche Oberflächenspannung

Die erstaunlichen Eigenschaften von Granulaten lernt man meist schon als Kind im Sandkasten kennen. Doch trotz ihrer Vertrautheit geben Granulate noch immer zahlreiche Rätsel auf. So verhalten sich Granulate manchmal flüssig, manchmal fest. Wird Sand geschüttelt, z. B. bei einem Erdbeben, kann er wie eine Flüssigkeit fließen. Ist er hingegen in Ruhe, lässt er sich aufhäufen. Werden die Flanken eines Sandhaufens jedoch zu steil, so lösen sich aus ihnen Lawinen. Hingegen können sich Granulate, die durch Trichter rieseln, plötzlich in der Trichteröffnung festsetzen. Dieses vielfältige und komplexe Verhalten der Granulate hat jetzt einen neuen Aspekt gewonnen: Granulate besitzen eine sehr schwache Oberflächenspannung, die experimentell beobachtbare Konsequenzen hat.



Abb. 1: Fontänen aus Wasser (a) und Sand (b) schnüren sich ein und zerfallen in Tropfen bzw. Klumpen. (Bilder: (a) Cambridge Univ. Press, (b) American Physical Society)


In einer Flüssigkeit stoßen sich die Moleküle ab, wenn sie einander zu nahe kommen, ansonsten herrschen Anziehungskräfte. Sie führen zur Oberflächenspannung, die z. B. für die Tropfenbildung verantwortlich sind. Die Körner in einem Granulate stoßen sich bei Kollisionen ab, üben aber sonst keine merklichen Kräfte aufeinander aus. Dennoch kann ein Granulat einer Flüssigkeit verblüffend ähnlich sein. Lässt man etwa eine Stahlkugel in lockeren, feinen Sand fallen, so schießt der Sand in einer Fontäne hoch – ganz so, als ob die Kugel ins Wasser gefallen wäre. Beim Wasser führt die Oberflächenspannung dazu, dass die hochschießende Fontäne sich an vielen Stellen einschnürt und in Tropfen zerfällt. Diese Rayleigh-Plateau-Instabilität sollte bei den Sandfontänen eigentlich nicht auftreten, wenn Granulate tatsächlich keine Oberflächenspannung haben. Doch Detlef Lohse und seine Kollegen an der Universität Twente hatten beobachtet, dass sich auch die Sandfontänen einschnürten und in Klumpen zerfielen. Alle Versuche, dies ohne Oberflächenspannung zu erklären, blieben erfolglos. Jetzt haben Forscher in den USA dieses Rätsel gelöst.

Heinrich Jaeger und seine Mitarbeiter von der University of Chicago haben an herab rieselnden Granulaten untersucht, ob und unter welchen Bedingungen eine Rayleigh-Plateau-Instabilität auftrat. Das Granulat, das aus 107 µm großen Glaskugeln bestand, strömte durch eine millimetergroße Trichteröffnung und fiel in einen 2,5 m hohen luftleeren Zylinder. Für ihre Experimente ließen die Forscher eine Hochgeschwindigkeitskamera, die außerhalb des Zylinders an einer Führungsschiene befestigt war, herabfallen – und gepolstert landen. Mit der Kamera wurde die Entwicklung eines 3 cm langen Abschnitts des Granulatstroms von der Trichteröffnung bis zum Zylinderboden mit etwa 1000 Bildern pro Sekunde verfolgt. Da die Schwerebeschleunigung den Strom der Glaskugeln dehnte, wurde er immer dünner. Nach einer Fallstrecke von 55 cm zeigten sich die ersten Einschnürungen, nach 97 cm war der Strom in Klumpen zerfallen.



Abb. 2: Das herab rieselnde Granulat schnürt sich mit zunehmender Falltiefe (a-d) immer mehr ein und bildet schließlich Klumpen. (Bild: Nature)


Die Einschnürungen und die Klumpenbildung ließen sich verzögern oder ganz verhindern, wenn die Glaskugeln mit Aerosil beschichtet wurden. Das ist ein gängiges Mittel, mit dem man die Kohäsion von Pulvern verringert, deren mikro- und nanometergroßen Partikel leicht verklumpen. Die Aerosil-Beschichtung mit 10 bis 100 nm großen Quarzpartikeln wirkte auch bei den Granulaten. Sie machte die Kugeloberflächen rauer und hielt sie so auf größere Distanz, wodurch sich die Anziehungskräfte zwischen den Kugeln verringerten. Die Dynamik der Klumpenbildung zeigte, dass zwischen den Kugeln offenbar Anziehungskräfte von einigen Nanonewton auftraten. Elektrostatische Kräfte kamen dafür nicht in Frage: Sie waren zu schwach, da nur wenige Kugeln geringfügig elektrisch geladen waren. Mit einem Rasterkraftmikroskop haben die Forscher die Anziehungskraft zwischen zwei Glaskugeln direkt gemessen, indem sie die Kugeln in Kontakt brachten und dann auseinander zogen. Dabei traten tatsächlich Kräfte um 20 nN zwischen den unbeschichteten Kugeln auf, während sich die beschichteten Kugeln deutlich schwächer anzogen.

Perfekte Glaskugeln von ca. 100 µm Größe würden sich mit van der Waals-Kräften im Bereich von µN anziehen, die also viel größer wären als die beobachteten Kohäsionskräfte. Dass tatsächlich nur nN-Kräfte auftraten, lag vermutlich daran, dass auch die unbeschichteten Kugeln eine raue Oberfläche hatten. Kollidierten die Kugeln mit nicht zu großer Geschwindigkeit, so bleiben sie aufgrund der Kohäsion aneinander haften und es entstand ein Klumpen. Die kritische Geschwindigkeit lag bei etwa 0,5 mm/s und stimmte mit der gemessenen Höchstgeschwindigkeit überein, mit der sich die Kugeln in den Klumpen gegeneinander bewegen. Daraus haben die Forscher die spezifische Oberflächenenergie oder Oberflächenspannung der Granulatklumpen berechnet. Mit 0,1 µN/m war sie etwa fünf Größenordnungen kleiner als die Oberflächenspannung von Flüssigkeiten. Die Experimente zeigen aber auch, dass selbst diese geringe Oberflächenspannung die Granulatpartikel dazu bringen kann, zusammen zu klumpen.

RAINER SCHARF


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Weitere Literatur:

AL

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